Editorial

März 2006

Die politische Linke der Bundesrepublik steht vor einer schwierigen Neupositionierung. Die Linkspartei ist in den Bundestag eingezogen. Das neoliberale Projekt befindet sich in einer Akzeptanzkrise, ein mehrheitsfähiges alternatives Reformkonzept existiert aber bisher nicht. Die große Koalition hat ihre Tätigkeit aufgenommen und schickt sich an, die an den Dogmen von Liberalisierung, Wettbewerb und Globalisierung ausgerichtete Politik der Vorgängerregierung fortzusetzen und die Spielräume für weitergehenden Sozial- und Demokratieabbau auszutesten. Im außerparlamentarischen Raum nehmen soziale Auseinandersetzungen an Intensität zu: Das zeigen die zahlreichen Aktionen und Streiks gegen Entlassungen, Betriebschließungen, Arbeitszeitverlängerung und nationale und EU-weite Deregulierung sozialer Standards. AEG, der Ärztestreik, Gate Gourmet oder „port package“ sind Stichworte. Gewerkschaften, soziale und globalisierungskritische Bewegungen und die neu etablierte parlamentarische Linke müssen ihr Verhältnis zueinander klären und ihre Zusammenarbeit auf solide Grundlagen stellen. Ein von allen gewünschtes emanzipatorisches Projekt erfordert Dialog, Kritikfähigkeit und Kooperation. Die Linksfraktion im Bundestag steht unter hohem Erwartungsdruck.

Vor diesem Hintergrund haben wir Vertreter der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken um Stellungnahmen zur anstehenden Positionierung der Linken gebeten. Eckart Spoo umreißt zwei aus seiner Sicht zentrale Bereiche der Demokratisierung: die Medien und den Bereich der Verkürzung und intelligenten Umverteilung von Arbeitszeit. Richard Detje und Horst Schmitthenner skizzieren Aufgaben der Linken aus gewerkschaftlicher Sicht. Peter Wahl entwickelt Vorschläge zum zukünftigen Verhältnis von Linkspartei und globalisierungskritischen Bewegungen. Wolfgang Gehrcke geht davon aus, dass die Linke neue strategische Allianzen vor allem im außerparlamentarischen Raum bilden muss. Heinz Stehr definiert das Selbstverständnis der DKP sowohl gegenüber WASG und Linkspartei.PDS als auch gegenüber den außerparlamentarischen Bewegungen als das einer konsequent antikapitalistischen Kraft, die vor allem auf die Mobilisierung der außerparlamentarischen sozialen Bewegungen setzt. Fragen nach Programmatik und Organisationsstruktur einer neuen linken Partei stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Harald Werner. Er leitet die Anforderungen an eine neue Partei aus der Analyse der bestehenden Macht- und Herrschaftsstrukturen und dem vorfindlichen Massenbewusstsein ab. Die Überwindung der neoliberalen Hegemonie setzt Blockbildung der Linken voraus. Axel Troost, Norman Paech und Judith Dellheim umreißen in ihren Beiträgen Aufgaben der parlamentarischen Linken zu Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Außen- und Sicherheitspolitik und der Lösung der speziellen Probleme Ostdeutschlands. Die Fragestellung dieses Themenblocks wird auch in anderen Rubriken fortgesetzt, z.B. unter „Berichte“ über Orientierungsdiskussionen der Linken in Berlin und Frankfurt/M. („Die Linke in Bewegung“; „Ausgerechnet: Sozialismus“) oder in den Beitrag von Jürgen Leibiger über Grundfragen einer alternativen Wirtschaftspolitik („Zwischen Marx und Keynes“).

Vor dem Hintergrund sich zuspitzender sozialer Polarisierung und betrieblicher und sozialer Konflikte hat das lange Zeit rückläufige Interessen an Fragen der Klassenanalyse und Klassenstruktur wieder zugenommen. Z war als Partner an einer Tagung zur Klassentheorie beteiligt, die im vergangenen Herbst in Köln stattfand. Darüber berichtet Hans Günter Bell. Ben Diettrich rückte bei der Tagung das Problem der zunehmenden sozialen Marginalisierung in den Mittelpunkt und diskutierte seine Bedeutung für gewerkschaftliche Politik. Margareta Steinrücke untersuchte die beiden Aspekte sozialer Ungleichheit, Geschlechterungleichheit und Klassenungleichheit, in ihrem Zusammenhang und bezog dabei Ansätze sowohl der feministischen als auch der Klassentheorie ein. Die Tagungsbeiträge von Frank Deppe und Olaf Groh erscheinen in Z 66 (Juni-Heft). Das Projekt Klassenanalyse@BRD stellt Ekkehard Lieberam vor. Das Projekt wurde vor drei Jahren von der Marx-Engels-Stiftung initiiert und kann, wie der Bericht zeigt, inzwischen auf eine ganze Reihe erhellender Beiträge zum Antagonismus der heutigen bundesdeutschen Klassengesellschaft verweisen.

Unsere früheren Beiträge zu China setzen wir in diesem Heft mit zwei Artikeln fort. Helmut Peters stellt ein neues Buch des chinesischen Sozialwissenschaftlers Zhang Guangming vor, das sich als marxistischer Beitrag zur aktuellen innerchinesischen Diskussion um die Zukunft der Gesellschaft versteht. Zum Verständnis der Diskussion dokumentieren wir einen Auszug aus dem Buch (Übersetzung H. Peters). Darin schreibt Zhang der Marktwirtschaft eine entscheidende demokratisierende Rolle bei der aus seiner Sicht notwendigen Auflösung zentraler staatsozialistischer Machtstrukturen zu, die mit der ökonomisch-sozialen Rückständigkeit Chinas zusammenhängen. Er setzt darauf, dass diese Marktwirtschaft erst die Bedingungen für eine entfaltete sozialistische Gesellschaft hervorbringen werde. Peters hält es dagegen für nicht ausgeschlossen, dass sich unter Führung der kommunistischen Partei eine Art nationaler Kapitalismus herausbilden werde, der als Vorbereitung auf einen neuen, späteren Übergang zum Sozialismus genutzt werden könne. Ebenso denkbar sei aber auch, dass die kapitalistische Entwicklung und die völlige Integration in den kapitalistischen Weltmarkt überwiege.

Unter den weiteren Beiträgenbeschäftigt sich Hans-Jörg Schimmel mit dem Problem der erweiterten Reproduktion bei Rosa Luxemburg und Marx. Tilman Brand untersucht die Aktivitäten der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Uwe-Jens Heuer würdigt Person und Werk des marxistischen Rechtstheoretikers (und Z-Autoren) Hermann Klenner. Thomas Collmer („Hegels Begriff der Negativität“) unternimmt es, einen der Grundbegriffe der hegelschen Philosophie zu erläutern. Thomas Metscher antwortet seinem Kritiker Edgar Radewald in Z 64 und verbindet dies mit einer Kritik an verschiedenen Beiträgen zur Postmoderne in den zurückliegenden Z-Heften. Anregungen zur weiteren Diskussion der marxistischen Linken liefern, so hoffen wir, auch die Beiträge der Rubriken Zuschriften, Berichte und Buchbesprechungen, für die den Autorinnen und Autoren zu danken ist.