Prekärer Sektor – Erfahrungen, Einstellungen, Gegenstrategien

Die italienischen Gewerkschaften und das Prekariat

Dezember 2006

1. Die rechtlichen Aspekte: Was man unter Prekarität versteht

Für die Arbeitnehmer oder abhängig Beschäftigten („lavoratori subordinati“ oder „lavoratori dipendenti“) gelten in Italien insbesondere die Bestimmungen des „Statuto dei lavoratori“ („Arbeitnehmerstatut“ – eingeführt mit dem Gesetz Nr. 300/1970). Es legt ihre Rechte und die grundlegenden Schutzbestimmungen fest und regelt die Rechte der Interessenvertretung am Arbeitsplatz. Die „Contratti collettivi nazionali di lavoro“ (CCNL), die landesweit gültigen Tarifverträge, regeln die Rechte, die Pflichten und die damit verbundenen Schutzbestimmungen, wie z.B. bezahlter Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Eingruppierungen und Entgelte, Ausübung von gewerkschaftlichen Tätigkeiten.

Anders bei den freien Mitarbeitern (selbstständig arbeitende Auftragnehmer, „lavoratori autonomi“ oder „lavoratori indipendenti“). Für sie gelten vorrangig die Bestimmungen des italienischen Zivilgesetzbuches und weiterer Einzelgesetze. Sie genießen – so wie die abhängig Beschäftigten – die Sozialstaatsleistungen wie alle italienischen StaatsbürgerInnen (z.B. Krankenversorgung, kostenlose Schulbildung für die Kinder), aber sie zahlen niedrigere Rentenbeiträge (etwa 20 Prozent des Einkommens, in Vergleich zu 33 Prozent für die abhängig Beschäftigten) und beziehen daher auch geringere staatliche Rentenleistungen.

Ein Arbeitsverhältnis ist als prekär einzustufen, wenn es vertragsgemäß nach einer bestimmten Dauer endet. Daher sind die Arbeitsverträge der freien Mitarbeiter per se prekär, da sie mit der Fertigstellung des Produktes bzw. der Ausführung der Dienstleistung in der mit dem Auftraggeber vereinbarten Zeit bzw. mit der Erbringung der Leistung enden.

Die Arbeitsverträge der abhängig Beschäftigten können hingegen unbefristet – d.h. gesichert – oder befristet – d.h. prekär – sein. Auch für die abhängig Beschäftigten mit befristetem Arbeitsvertrag gelten die landesweit gültigen Tarifverträge wie für diejenigen mit unbefristetem Arbeitsvertrag und sie können denselben Gewerkschaften beitreten wie jene.

Die charakteristische Schwäche des prekär abhängig Beschäftigten im Verhältnis zum Arbeitgeber hängt mit der Macht des Letzteren zusammen, bei Ablauf der Vertragsdauer den befristeten Vertrag nicht zu verlängern bzw. nicht in einen unbefristeten Vertrag umzuwandeln.

Das typische Arbeitsvertragsmodell ging in Italien im Arbeitsrecht, in der Rechtssprechung, in der politischen Kultur und in der Praxis der Vereinbarungen lange Zeit von abhängig Beschäftigten in Vollzeit und ohne Befristung der Arbeitsverträge aus. Befristete Arbeitsverträge konnten – gesetzlich geregelt – nur nach sehr strengen Maßstäben für deren Begründung abgeschlossen werden. Diese Gesetze sahen eine Kontrolle der Gewerkschaften über entsprechende Unternehmensentscheidungen und die Einhaltung der in den landesweit gültigen Tarifverträgen festgelegten Quoten für befristete Arbeitsverträge im Verhältnis zu den unbefristeten vor, außerdem eine detaillierte Reglementierung der Verlängerung solcher Verträge und die Pflicht, bei Verstoß seitens des Arbeitgebers die Beschäftigten unbefristet einzustellen.

Zur Bekämpfung der Prekarität wurden eine Reihe wichtiger Bestimmungen zur Sicherheit der Arbeitsverhältnisse eingeführt: das noch heute gültige Verbot von Entlassungen ohne wichtigen Grund, verbunden mit der Pflicht zur Wiedereinstellung in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten, die (in den letzten Jahren durch die Mitte-rechts-Regierung geänderten) Bestimmungen zur Verhinderung bzw. starken Eingrenzung von Outsourcing, oder die Regularien bei Massenentlassungen im Falle von Unternehmenskrisen.

Auch die allmähliche Einführung der Teilzeit bei den abhängig Beschäftigten, die anfangs, in den 1980er Jahren, sowohl politisch als auch gewerkschaftlich sehr bekämpft wurde, unterlag vielen Regeln und Einschränkungen, da man einen unsachgemäßen oder unfreiwilligen Gebrauch seitens der Beschäftigten befürchtete.

Trotz der gesetzlichen und vertraglichen Absicherung der abhängig Beschäftigten gab es immer eine große Instabilität der Arbeitsverhältnisse – auch aus strukturellen Gründen, besonders in der Landwirtschaft, im Handel, im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Bauwesen und im künstlerischen Bereich. Ein großes Ausmaß unsicherer Beschäftigung verbarg sich zudem hinter der niedrigen Beschäftigungsrate des Landes, das schon immer hohe Anteile an Schwarzarbeit aufwies, d.h. nicht angemeldeter und daher keinerlei Regelungen unterworfener Beschäftigung.

Im Bereich der freien Mitarbeit haben sich Beschäftigungsformen entwickelt, die es auch im Rahmen des Zivilgesetzbuchs sehr oft erlauben, scheinselbstständige Arbeit für Tätigkeiten zu nutzen, die faktisch alle Merkmale der abhängigen Beschäftigung aufweisen. Für eine Vielzahl von selbstständigen Arbeitsverhältnissen, die eine „kontinuierliche und koordinierte Zusammenarbeit“ („collaborazione coordinata e continuativa”, co.co.co.) mit dem Arbeitgeber darstellen, wurden Anfang der 1970er Jahre in umfassenderem Maße die gesetzlichen Modalitäten geregelt, nach denen die abhängig Beschäftigten bei Vertragsverletzung seitens des Arbeitgebers ein Gericht anrufen können. Gerade bei diesen selbstständigen Tätigkeiten, die in der Rechts- und Gewerkschaftssprache „parasubordinati“ („arbeitnehmerähnlich“) genannt werden, hat sich ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein beträchtlicher Anteil an prekärer Beschäftigung konzentriert – der Arbeitsvertrag kann einige Monate, aber auch ein Jahr oder länger dauern, weil er formal mit der voraussichtlich notwendigen Zeit für die Fertigstellung bzw. Ausführung des mit dem Auftraggeber vereinbarten Produkts bzw. der vereinbarten Dienstleistung verbunden ist. Solcherart Beschäftigte werden oft von den Unternehmen (aber auch von der öffentlichen Verwaltung) bevorzugt, da sie fast immer weniger kosten als die abhängig Beschäftigten. Sie sind darüber hinaus faktisch mehr als letztere der Macht ihres Auftrag-/Arbeitgebers unterworfen, da sie deren vertraglich festgelegte Sicherheiten nicht genießen. Sie haben keine Möglichkeit, sich in Gewerkschaften zu organisieren, da ihre Arbeitsbedingungen nicht durch einen Tarifvertrag geregelt sind, sondern bloß durch Einzelverträge mit dem Auftraggeber.

In den ersten zwanzig Jahren nach Einführung der „arbeitnehmerähnlichen“ Tätigkeit wurde diese Möglichkeit nicht so oft „illegal“ ausgenutzt. Die damalige Rechtssprechung tendierte dazu, die Existenz von Merkmalen einer abhängigen Beschäftigung anzuerkennen. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen wurden die Auftraggeber dann gezwungen, die Betroffenen einzustellen. Damals erlaubte es die Art der Arbeitsorganisation mit größerer Sicherheit als heute, die Merkmale einer tatsächlichen Selbstständigkeit und Nichteingliederung in die produktionstechnische Struktur des Unternehmens, die für die arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten typisch sind, zu erkennen. Aber in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre war die Zahl der arbeitnehmerähnlichen Personen schon enorm gestiegen. Man suchte nach einer Methode, um sie besser zu schützen; die Rentenreform von 1995 führte dann auch für die arbeitnehmerähnlichen und andere Beschäftigte eine spezielle Pensionskasse ein. Die eingezahlten Beiträge (1/3 Beschäftigte, 2/3 Auftraggeber, mittlerweile etwa 18 Prozent des Entgelts) führen aber in der Mehrzahl der Fälle am Ende des Arbeitslebens zu sehr niedrigen Renten, zumal die zugrunde liegenden Einkommen für solche Tätigkeiten im Durchschnitt niedrig sind. Später wurden auch Bestimmungen zum Mutterschutz, für den Krankheitsfall und die Familienzulage eingeführt.

Die arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten machen mittlerweile einen hohen Anteil der prekären Arbeitsverhältnisse aus. Sehr häufig verbergen sich dahinter in Wirklichkeit abhängige Beschäftigungsverhältnisse. Der Zuwachs von „arbeitnehmerähnlichen“ Beschäftigten geht auch auf die 1997 gesetzlich (Gesetz Nr. 196) eröffnete Möglichkeit für die öffentliche Verwaltung zurück, solche Arbeitsverhältnisse zu begründen. Man schätzt deren Zahl heute auf über 150 Tausend (in allen Entgeltstufen), vor allem im Gesundheitswesen, in den örtlichen Verwaltungen, in Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse sind heute überwiegend im Gesetz Nr. 30/2003 geregelt. Dieses Gesetz wurde von der letzten Mitte-rechts-Regierung verabschiedet. Seine Funktion bestand vornehmlich darin, das Arbeitsrecht und die Regeln des Arbeitsmarktes grundsätzlich zugunsten der Unternehmen zu verändern.

Die wichtigsten prekären Arbeitsverhältnisse

Befristeter Arbeitsvertrag: Dazu zählen auch die so genannten Verträge mit gemischtem Rechtsgrund (d.h. vor allem die „contratti di formazione-lavoro“ – Ausbildungsverträge), bei denen der Arbeitgeber die – oft nicht eingehaltene – Pflicht hat, auch die Ausbildung außerhalb der Arbeit sicherzustellen; sie sehen eine Einstufung in niedrigere Lohn-/Gehaltsgruppen und daher ein geringeres Entgelt vor;

Arbeitnehmerüberlassung (oder Leiharbeit), bei denen ein Unternehmen oder eine öffentliche Verwaltung (Entleiher genannt) die Arbeit einer Person nutzen kann, indem es sich an ein Unternehmen wendet, einen so genannten Verleiher (dies sind die Zeitarbeitsfirmen). Der „Leiharbeiter“ muss die vom Entleiher gewünschte Qualifikation haben, ist seinen Weisungen unterworfen und während seiner Beschäftigung in diesem Unternehmen findet für ihn der landesweit gültige Tarifvertrag für die jeweilige Sparte Anwendung. Das Gesetz Nr. 30 aus dem Jahr 2003 hat auch noch einige andere Arbeitsvertragsarten für abhängig Beschäftigte eingeführt, die noch prekärer sind, wie die Abrufarbeit oder das Job-Sharing, auf die allerdings die Unternehmen selbst wenig zurückgegriffen haben.

Bei den „arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten“ wurde durch dieses Gesetz die so genannte Projektarbeit („collaborazione a progetto“) für die privaten Unternehmen ermöglicht: sie können nicht mehr auf die „collaborazioni coordinate e continuative“ zurückgreifen, die der öffentlichen Verwaltung noch zur Verfügung stehen. In Wirklichkeit erlaubt auch die Projektarbeit in den meisten Fällen, abhängige Beschäftigung zu kaschieren.

Das Gesetz hat z.B. die Praktika derart geregelt, dass man Schüler, Schulabgänger und Hochschulabsolventen sehr oft ohne Bezahlung für die Ausführung von Tätigkeiten einsetzen kann, die typisch für abhängig Beschäftigte sind.

Darüber hinaus wurde mit dem Gesetz Nr. 30/2003 die Unsicherheit der abhängig Beschäftigten vergrößert, indem es für die Unternehmer einfacher geworden ist, erhebliche Teile ihrer Tätigkeiten auszugliedern; für die Beschäftigten, die in die neuen outgesourceten Unternehmen übergehen, finden die landesweit gültigen Tarifverträge einer anderen Sparte Anwendung, die weniger vorteilhaft für sie und kostengünstiger für die Unternehmen sind.

Weitere prekäre Arbeitsverhältnisse finden sich bei mitarbeitenden Genossenschaftsmitgliedern oder „stillen Beteiligungen“ an Unternehmen, wie es in den kleinen Handelsbetrieben oft der Fall ist.

Es gab also einen massiven Wildwuchs von Arbeitsvertragsarten: das italienische Statistische Amt (Istituto Nazionale di Statistica, ISTAT) hat, inklusive aller Unterarten, 47 gezählt. In diesem Durcheinander gehen sehr oft die Arbeitnehmerrechte verloren.

Drei weitere Merkmale des Arbeitsmarktes führen darüber hinaus zu der Vermutung, dass eine noch erheblich größere Zahl prekärer Arbeitsverhältnissen in Italien besteht:

1. Die niedrige Beschäftigungsrate (niedriger als in der Mehrzahl der europäischen Länder), hinter der sich Schwarzarbeit versteckt (der Anteil der Schwarzarbeit am gesamten Bruttoinlandsprodukt wird auf etwa 20 Prozent geschätzt; Schwarzarbeit ist in allen Gegenden des Landes verbreitet, jedoch stärker im Süden, wobei vor allem Einwanderer, und insbesondere die so genannten Illegalen so beschäftigt werden).

2. Das Vorhandensein eines im Vergleich mit den meisten europäischen Ländern viel höheren Anteils an Selbstständigen; dieses Phänomen hängt mit dem verspäteten Übergang von einer überwiegend landwirtschaftlichen zu einer industriellen Ökonomie, mit der Verbreitung des Kleinhandwerks, des Handels und der Einzelunternehmen zusammen. Hinzu kamen in jüngster Zeit noch die ganzen organisatorischen Änderungen in den Unternehmen, so wie der Anstieg des Dienstleistungssektors. Die hohe Selbstständigenzahl ist aber auch ein Zeichen für eine große Anzahl an scheinselbstständigen Arbeitsformen.

3. Die hohe Fluktuation in den Unternehmen, d.h. die Zu- und Abgänge in einem Jahr, hinter denen sich zum Teil unfreiwillige Mobilität versteckt.

Und schließlich gibt es noch ein negatives Merkmal des italienischen Arbeitsmarktes, das erwähnt werden muss: das Fehlen von angemessenen Sozialmaßnahmen für alle Arbeitslosen (das Arbeitslosengeld entspricht durchschnittlich höchstens 50 Prozent des letzten Entgelts; es wird nach restriktiven Bestimmungen und durchschnittlich für nicht länger als 8 Monate im Jahr gewährt) und das Fehlen eines wirksamen Ausbildungssystems, das die berufliche Weiterbildung der Arbeitslosen erlaubt.

2. Die Gewerkschaften und das Prekariat in der Arbeitswelt

Eine Vorbemerkung zu den italienischen Gewerkschaften

In Italien sind zahlreiche Gewerkschaftsorganisationen aktiv, die insgesamt etwa 50 Prozent der abhängig Beschäftigten organisieren. Die größten Organisationen in allen Produktionsbereichen, mit etwa 40 Prozent der abhängig Beschäftigten, sind die drei Gewerkschaftsbünde, so genannt weil sie die umfassenden Interessen der Beschäftigten vertreten, über die spezielleren Interessen hinaus, die von den einzelnen Spartengewerkschaften vertreten werden; letztere sind nach Produktionsbereichen (Metaller, Chemiebeschäftigte, öffentlicher Dienst usw.) unterteilt und gehören den jeweiligen Gewerkschaftsbünden an. Sie sind die Erben der ersten sozialistisch geprägten Gewerkschaft, die Anfang des letzten Jahrhunderts in Italien gegründet wurde, und der Gewerkschaftsarbeit katholischer Prägung, die damals – auch wenn weniger bedeutsam – insbesondere in der Landwirtschaft aktiv war. Während des Faschismus wurden diese Gewerkschaften aufgelöst und waren verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde daraus ein einziger Gewerkschaftsbund gebildet, aber schon Ende der 40er Jahre zerbrach diese Einheit wegen der starken politischen Auseinandersetzungen, die auch durch die internationale Lage hervorgerufen wurden. So entstanden die CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro), kommunistischer und sozialistischer Prägung, die CISL (Confederazione Italiana dei Sindacati dei Lavoratori), katholischen Ursprungs und die UIL (Unione Italiana del Lavoro), sozialistischer, sozialdemokratischer und republikanischer Herkunft.

Seit Mitte der 1960er Jahre versuchten diese Gewerkschaften gemeinsame Ziele zu verfolgen, trotz unterschiedlicher gewerkschaftspolitischer Auffassung und einiger schwerer Konflikte. Trotz dieser Schwierigkeiten werden sie wegen ihrer Vertretungsmacht und ihres Ansehens sowohl von den abhängig Beschäftigten als auch von den Arbeitgeberverbänden und den öffentlichen und politischen Institutionen als der wichtigste Ansprechpartner angesehen. 2005 hatte die CGIL etwas mehr als 2,6 Mio. abhängig beschäftigte Mitglieder (plus etwa 2,5 Mio. Rentner, da sich die Rentner in Italien in eigenen Gewerkschaften organisieren können, die auch den Gewerkschaftsbünden angehören), die CISL etwa 2,1 Mio. (plus 2,2 Mio. Rentner) und die UIL etwa 1,2 Mio. (plus 500.000 Rentner). Es gibt darüber hinaus zahlreiche weitere Gewerkschaftsorganisationen mit insgesamt etwa 1,5 Mio. abhängig Beschäftigten, die ihre Wurzeln nicht in der gesamten Arbeitswelt haben, sondern jeweils in besonderen Bereichen präsent sind. Ihrer gewerkschaftlichen Ausrichtung nach können sie grob in zwei Gruppen unterteilt werden: die korporatistisch orientierten Gewerkschaften und die Basisgewerkschaften. Trotz grundsätzlicher Differenzen gibt es oft auf der Betriebsebene eine Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaftsbünden und den anderen Gewerkschaften. Die Vertretung der Interessen der prekär Beschäftigten erfolgt (wie die der unbefristet Beschäftigten) über die Gewerkschaften des jeweiligen Produktionsbereichs.

Die „Prekären“ in den Gewerkschaften

Für die „arbeitnehmerähnlichen Personen“ bildeten die Gewerkschaftsbünde (CGIL, CISL und UIL) ab Mitte der 90er Jahre spezifische Organisationsstrukturen innerhalb des jeweiligen Gewerkschaftsbundes; diese hatten die Aufgabe, die Interessen jener Beschäftigten zu vertreten, die neue Merkmale im Vergleich zu den traditionell vertretenen Mitgliedern aufwiesen und sich nun auch organisieren konnten. Andererseits haben einige Spartengewerkschaften in den letzten Jahren beschlossen, diese Beschäftigte direkt aufzunehmen und zu vertreten.

Diese Entscheidung festigte die Beziehung mit diesem Teil der Arbeitswelt. Jedoch gab und gibt es einige organisatorische Schwierigkeiten, da diese Beschäftigten z.B. kein Recht auf Versammlungen und gewerkschaftliche Arbeit in den Betrieben haben; darüber hinaus gilt für sie der erpresserische Druck seitens der Arbeitgeber, mehr noch als für die Beschäftigten mit befristetem Arbeitsvertrag. Typisch für diese sehr unstabilen Arbeitsverhältnisse ist auch die Fluktuation: so ist die Zahl der organisierten Beschäftigten hier sehr niedrig. Sie betrug 2005 etwa 23.000 Mitglieder sowohl für die CGIL wie für die CISL. Die Gewerkschaftsbünde haben offensichtlich Schwierigkeiten, von diesen Teilen der Arbeitswelt als wirkungsvolle Interessenvertretung anerkannt zu werden.

Die von der CGIL, der CISL und der UIL überwiegend gewählten Interventionen haben zwei Ziele. Einerseits die Unterzeichnung von Vereinbarungen mit den Unternehmen bzw. den öffentlichen Verwaltungen, in denen ein individueller Musterarbeitsvertrag festgelegt wird, an den sich die Arbeitgeber bei jedem „arbeitnehmerähnlichen Verhältnis“ zu halten verpflichten. Festgelegt werden sollen gleichmäßige Bestimmungen bezüglich Entgelt (Mindestvertragslaufzeit, Mindestlöhne) sowie Regelungen im Krankheitsfall, Mutterschutz, Urlaub, Ausübung der Gewerkschaftsrechte usw. Darüber hinaus sollen die Rechte der abhängig Beschäftigten so weit wie möglich ausgeweitet werden. In den letzten Jahren wurden viele solcher Vereinbarungen – mehr als 100 – unterzeichnet. Andererseits werden Aktionen organisiert, die auch die abhängig Beschäftigten einbeziehen, verbunden mit dem Ziel, Festeinstellungen zu erwirken. Weiter werden von den Gewerkschaften auf nationaler Ebene auch allgemeinere Aktionen organisiert, um Vorschläge zur Überwindung bzw. Regelung der verschiedenen prekären Arbeitsverhältnisse zu unterstützen. Bei solchen Aktionen gab es in den letzten Jahren häufig eine Zusammenarbeit zwischen der CGIL oder einigen ihrer Spartengewerkschaften – z.B. Metaller, öffentlicher Dienst, Schule – und einigen der so genannten Basisgewerkschaften.

Auf Betriebsebene oder der Ebene der öffentlichen Verwaltung bilden sich oft Gruppen von prekär Beschäftigten, die gegen ihre Form der Beschäftigung aufbegehren. Diese Kämpfe finden außerhalb der Gewerkschaftsorganisationen statt, aber es gibt Versuche, mit diesen Allianzen zu schließen.

Einer der wichtigsten Unterschiede in der Politik der Gewerkschaftsbünde einerseits und der Basisgewerkschaften und der Gruppen von prekär Beschäftigten andererseits sind ihre Ziele: Zielen letztere mit ihren Aktionen und Arbeitskämpfen vornehmlich auf eine Festeinstellung, so wollen die Gewerkschaftsbünde auch die Ausweitung der Sicherheiten auf die „arbeitnehmerähnlich Beschäftigten“ erreichen, womit sie nach Ansicht der Basisgewerkschaften die Logik der Prekarität akzeptieren. Für die Gewerkschaftsbünde geht es hingegen um den Versuch, möglichst viele Rechte auf die „arbeitnehmerähnlich Beschäftigten“ auszuweiten, falls das Hauptziel eines festen Arbeitsverhältnisses verfehlt wird.

Der Kampf gegen die Prekarität der Arbeit ist zu einer Priorität der Gewerkschaftsbünde, insbesondere der CGIL, geworden; beim letzten Gewerkschaftskongress im Frühjahr haben viele ihrer Spartengewerkschaften diesen Kampf als erste Priorität definiert. Die Prekarität der Arbeit ist zu einem beherrschenden Thema der sozialen und politischen Diskussion im Lande geworden, und im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen im Frühling wurde sie von den Mitte-links-Parteien als eins der ersten Probleme genannt, die es zu lösen gelte.

In den großen Aktionen und Streiks der letzten Jahre gehörten der Kampf gegen die Prekarität, die Ausweitung der Rechte und deren Einklagbarkeit zu den Kernelementen der Forderungen. Es entstehen in diesem Zusammenhang schon Traditionen: zu den typischsten und mittlerweile etablierten Veranstaltungen zum 1. Mai, die von den „Basisgewerkschaften“, von Gruppen prekär Beschäftigter und linken Verbänden und Parteien organisiert werden, zählt seit einigen Jahren eine nationale May-Day-Parade in Verbindung mit ähnlichen Veranstaltungen in anderen europäischen Städten, um vorrangig die Überwindung der prekären Verhältnisse in der Arbeitswelt und die Einführung eines garantierten Mindestlohns unabhängig von der individuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt zu fordern. Den katholischen Wurzeln Italiens entsprechend wurde auch ein Schutzpatron, San Precario, erfunden: seine Statue wird bei den Demonstrationen getragen, und an ihn wendet man sich und betet für eine Lösung der persönlichen Probleme. San Precario soll aber auch die Leidens- und Ausbeutungsgeschichte der prekär Beschäftigten symbolisieren, die so groß ist, dass sie die Heiligsprechung verdienen.

Einige der zahlreichen Tarifauseinandersetzungen und Kämpfe der letzten Jahre haben eine nationale Bedeutung erlangt. So die erfolgreichen längeren Streiks vor drei Jahren bei FIAT in Melfi (in der Region Basilikata). Gefordert wurde unter anderem die unbefristete Einstellung der Beschäftigten mit befristeten bzw. mit Ausbildungsverträgen. Die wichtigste Auseinandersetzung der letzten Monate ist die der prekär Beschäftigten in den Call Centern eines großen Unternehmens, ATESIA, das Dienstleister für andere Großunternehmen ist. Hier ist das Ziel, für etwa 3.000 Betroffene die Verträge von „arbeitnehmerähnlicher“ auf abhängige Beschäftigung umzuwandeln. In den letzten Monaten ist auch die Neuverhandlung des landesweit gültigen Tarifvertrages der ZeitungsjournalistInnen von Bedeutung: es gab mehrere Streiks, und weitere sind für die nächsten Wochen angekündigt. Einer der wichtigsten Streitpunkte mit den Verlegern ist eben deren Unwillen, die mittlerweile ausufernde Nutzung prekärer Arbeitsformen, unter denen sogar die Praktika überwiegen, einzuschränken oder zu regeln.

3. Strategie und Haltung der Gewerkschaften

Die Strategie der Gewerkschaften bezüglich der Prekarität der Arbeitsverhältnisse hat sich in den zurückliegenden Jahren analog zu der Entwicklung dieser Beschäftigungsformen verändert. Es gab Auseinandersetzungen in und unter den Gewerkschaften, und Differenzen sind noch heute vorhanden.

Rückblick

Um die heutige Lage zu beschreiben ist ein kurzer Rückblick notwendig: Mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit nach der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre und den ersten großen Unternehmensumstrukturierungen fing eine Diskussion und eine heftige Auseinadersetzung innerhalb der Arbeiterbewegung an. Ein Teil der Arbeitssuchenden aus den marginalisierten Bereichen und die damaligen Gruppierungen der neuen Linken warfen den Gewerkschaften und den traditionellen linken Parteien vor, nur die Interessen der „abgesicherten“ Beschäftigten zu verteidigen. Interessanterweise wurde in der Diskussion über die Änderungen, die die Mitte-rechts-Regierung mit dem Gesetz 30/2003 zur „Regelung“ des Arbeitsmarktes eingeführt hat, der gleiche Vorwurf von den Befürwortern dieses Gesetzes erhoben – allerdings mit offensichtlich anderer Intention.

Tatsächlich wurden damals und in den 80er Jahren die Auswirkungen der Umstrukturierungen der Unternehmen und des öffentlichen Dienstes überwiegend durch die Lohnausgleichskasse („cassa integrazione guadagni“, staatlich finanzierte Lohnausgleichszahlungen bei einer Reduzierung der Arbeitsstunden bzw. Arbeitslosigkeit) und die Frühberentung kompensiert.

Gleichzeitig wurden die Fähigkeit und Möglichkeit, die Änderungen in der Organisation der Arbeit in den Betrieben zu verhandeln, immer geringer. Der Rückgang der Beschäftigtenzahlen in den Großunternehmen und ihr Anstieg in den kleinen und mittleren Unternehmen und im Dienstleistungssektor bereiteten den Gewerkschaften große Probleme, die ihre Stärke eben in den Großunternehmen, untern den Festangestellten mit niedriger und mittlerer Einstufung hatten. Das Phänomen der Prekarität erlangte erst dann größere Aufmerksamkeit, als der Bereich der „informellen“ Arbeit wuchs.

Aber in Italien haben sich die soziale und politische Auseinandersetzung und die öffentliche Diskussion über das Problem des Prekariats ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verstärkt: Der Übergang von der fordistischen Produktionsweise zu einer internationalisierten Wirtschaft mit stark deregulierten Märkten, der schon 20 Jahre zuvor eingesetzt hatte, vergrößerte auch den Drang zur Deregulierung des Arbeitsmarktes. Damals griff die erste Mitte-links-Regierung mit dem Gesetz Nr. 196/1997 in einige Bereiche des Arbeitsmarktes ein und führte u.a. die Zeitarbeit ein, die es vorher in Italien nicht gab. In diesen Jahren wuchs die „arbeitnehmerähnliche“ Beschäftigung. Die Mitte-rechts-Regierung änderte zwischen 2001 und 2006 durch eine systematische Gesetzgebung einige grundlegende Aspekte des Arbeitsrechts: Ziel war es, den Unternehmen mehr Macht zu geben, sowohl in den Unternehmen selbst als auch auf dem Arbeitsmarkt, und die Kontrollbefugnis der Gewerkschaften einzuschränken. Dies geschah in den Unternehmen z.B. durch die Möglichkeit individueller Verhandlungen zwischen dem einzelnen Beschäftigten und dem Unternehmen, mit denen die Bestimmungen der landesweit gültigen Tarifverträge außer Kraft gesetzt wurden, oder indem man den Unternehmen mehr Befugnisse bei der einseitigen Festlegung der Arbeitszeit gewährte. Im Arbeitsrecht wurden die Gründe für befristete Arbeitsverhältnisse erweitert und eine Vielzahl von neuen Arbeitsvertragsarten, die prekäre Beschäftigungsverhältnisse erlauben, eingeführt.

Positionen, Forderungen, Bewegungen

Die Haltung der Gewerkschaften zu diesen Regierungsentscheidungen wies deutliche Unterschiede auf: Die CGIL wendete sich insbesondere gegen die Ausweitung der befristeten Arbeitsverträge und die Flexibilisierung der Arbeitszeit und unterschrieb im Juni 2002 nicht die Vereinbarung, die von der Regierung mit den anderen Gewerkschaftsbünden, den korporatistisch orientierten Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden geschlossen wurde, den so genannten „Pakt für Italien“.

Die Mitte-rechts-Regierung versuchte auch, die Anwendung des Artikels 18 des Arbeitnehmerstatuts, der für Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten vorschreibt, ungerechtfertigt gekündigte Arbeitnehmer wiedereinzustellen, einzugrenzen. Der Widerstand gegen diesen Vorstoß wurde zum Zeichen für den Widerstand gegen den ganzen Prozess der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und drückte sich in Streiks und Demonstrationen aus, die von der CGIL organisiert wurden. Die wichtigste Demonstration fand am 23. März 2002 in Rom mit etwa zwei Millionen Teilnehmern aus ganz Italien statt und führte schließlich dazu, dass die Regierung auf die Änderung des Artikels 18 verzichten musste.

Um den Widerstand gegen die Gesetze der Mitte-rechts-Regierung mit konstruktiven Vorschlägen zu ergänzen erarbeitete die CGIL zusammen mit Arbeitsrechtlern spezifische Vorschläge für neue Gesetzesbestimmungen, die bezüglich der Prekarität die Einführung eines Systems von Sozial- und Weiterbildungsmaßnahmen und eine Veränderung der Arbeitsvertragsarten vorsah: Vorgeschlagen wurde eine Definition „wirtschaftlich abhängiger Arbeit“, die die Zweideutigkeiten scheinselbständiger Arbeitsformen abschaffen soll. Insgesamt wurden fünf Volksbegehren erarbeitet, für die in den Jahren 2002 und 2003 über fünf Millionen Unterschriften gesammelt wurden (notwendig sind in Italien 500.000 Unterschriften).

In der jetzigen Phase möchte die CGIL in der Auseinandersetzung mit der neuen Mitte-links-Regierung – auch durch die bereits in Vorbereitung befindlichen Aktionen – folgende Ziele erreichen:

- Die Abschaffung bzw. deutliche Änderung des Gesetzes Nr. 30/2003 und seiner Anwendung und der anderen von der Mitte-rechts-Regierung verabschiedeten Gesetzen über den Arbeitsmarkt, angefangen bei allen Bestimmungen, die neue prekäre Arbeitsvertragsformen eingeführt haben und die Umstrukturierungen der Unternehmen und Outsourcing fördern.

- Weiter soll die Schwächung der kollektiven Verhandlungs- und Vertretungsmacht rückgängig gemacht werden.

- Gleichzeitig wird gefordert, dass der unbefristete Arbeitsvertrag wieder als übliche Einstellungsart bei der abhängigen Beschäftigung durchgesetzt wird. Hier folgt man den Vorschlägen, die in den letzten Jahren in den europäischen Institutionen formuliert wurden.

- Des Weiteren will man die Anzahl der verschiedenen Arbeitsvertragsarten von heute 47 auf sechs oder sieben verringern. Hier will man die Zweideutigkeit der „arbeitnehmerähnlichen Beschäftigung“ überwinden, indem man den Begriff der „wirtschaftlich abhängigen Arbeit“ einführt (der auch in den letzten Jahren innerhalb der europäischen Institutionen diskutiert wurde), der es erlauben würde, besser als jetzt tatsächlich selbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu erkennen. Mittlerweile ist man der Meinung, dass es notwendig ist, die Bestimmungen des Arbeitnehmerstatuts auch auf die nicht abhängigen Beschäftigungsformen auszuweiten, bei Berücksichtigung ihrer Besonderheiten.

Seit vielen Jahren wird über die Notwendigkeit, ein neues Arbeitnehmerstatut zu erarbeiten, diskutiert; mögliche Gesetzesvorschläge wurden formuliert, aber bis heute konnten die politischen Voraussetzungen nicht geschaffen werden, um zu einer wirklichen Verbesserung zu gelangen.

Bei zwei anderen wichtigen Punkten, für die die CGIL eine Neuformulierung der geltenden Gesetze verlangt, besteht Übereinstimmung mit der CISL und der UIL:

1. Die Einführung eines Systems von Sozialmaßnahmen, mit dem ein angemessenes Einkommensniveau für alle Beschäftigten gesichert wird, die arbeitslos werden und nach neuer Beschäftigung suchen, und der Aufbau eines Aus- und Weiterbildungssystems, das die Chancen der Wiedereingliederung im Arbeitsleben erhöht.

2. Gesetzliche und vertragliche Maßnahmen zur drastischen Reduzierung der Schwarzarbeit.

Dies sind in Kürze die wichtigsten Ziele der CGIL bezüglich der Prekarität der Arbeit, immer im Bewusstsein der Schwierigkeiten, die einer tatsächlichen Durchsetzung dieser Ziele im Wege stehen. Es muss noch einmal betont werden, dass bezüglich eines Teils dieser Vorschläge mit der CISL und der UIL keine Übereinstimmung besteht, und dass die korporatistisch orientierten Gewerkschaften sich nicht für die Lösung der Probleme des Prekariats engagieren. Den „Basisgewerkschaften“ und einem Teil der linken Basisgruppen gehen die Ziele nicht weit genug. Sie finden es wichtiger, sich auf das Ziel eines garantierten Mindestlohns für alle zu konzentrieren, unabhängig von der individuellen Stellung auf dem Arbeitsmarkt.

Diese mangelnde Übereinstimmung zwischen den größeren Gewerkschaftsorganisationen erschwert natürlich die Aktionen und Kämpfe, die für eine Veränderung des jetzigen Zustands notwendig sind, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sowohl Unternehmerverbände als auch einige Teile der Linken eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes befürworten.

(Übersetzung aus dem Italienischen: Nicoletta Negri)