Faschismus: Geschichte, Forschung, Medien

Das Dritte Reich des Guido Knopp

Vom medialen Umgang mit der Nazivergangenheit

Dezember 2007

„Die moderne Mediengesellschaft“, so die ernüchternde Bilanz Eric Hobsbawms, „hat der Vergangenheit zu einer beispiellosen Bedeutung und einem enormen Machtpotential verholfen. Heutzutage wird mehr Geschichte denn je von Leuten umgeschrieben oder erfunden, die nicht die wirkliche Vergangenheit wollen, sondern eine, die ihren Zwecken dient. Wir leben heute im großen Zeitalter der historischen Mythologie.“[1] Wir werden im Folgenden einen dieser Mythologen kennen lernen.

Guido Knopp, 1948 geboren, ging nach seiner Promotion im Fach Geschichte als Redakteur zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dann zur Welt am Sonntag und arbeitete seit 1978 beim ZDF. 1984 avancierte er zum Leiter der von ihm gegründeten Redaktion Zeitgeschichte.[2] Schon seine ersten Dokumentarfilme waren auf die Chefetage des Dritten Reiches zentriert[3] und bewiesen bereits, so der amerikanische Historiker Wulf Kansteiner, Knopps „Geschick“, „den Nationalsozialismus so darzustellen, daß seine Deutungen für große Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft akzeptabel waren“.[4] Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der neue Mann 1991 mit der vom russischen Fernsehen co-produzierten Serie über den Russlandfeldzug Der verdammte Krieg. Den Durchbruch schaffte er 1995 mit dem Sechsteiler Hitler – Eine Bilanz[5], der sich strikt an Joachim Fests Biographie orientierte: Hitler war für Knopp „der Schreibtischtäter Nummer eins“, ohne den „der ganze Spuk“ zerfallen wäre.[6]­ Zwei Jahre später, am 14. Januar 1997 um 20.15 Uhr folgte unter dem Titel Hitlers Helfer[7] die erste Staffel einer neuen Serie, die zum Quotenrenner und zur erfolgreichsten historischen Sendung im deutschen Fernsehen wurde.[8] Bis heute in immer neuen Folgen fortgesetzt [9] hat sie das Genre des Dokumentarfilms neu definiert und die Darstellung des Dritten Reiches im Fernsehen umgewälzt.

Die Einzelnen und der Eine

Die ersten sechs Teile beschäftigten sich mit Heß, Himmler, Goebbels, Göring, Speer und Dönitz. Wie Spielfilme nach Drehbuch inszeniert und montiert, haben die Biographien mit Rekonstruktion von Geschichte wenig im Sinn, sondern gleichen eher Scherenschnitten, die durch Auslassung von Geschichte entstanden sind. Über die Tatsache, daß Goebbels einer der Exponenten des sozialrevolutionären Flügels der Partei war und Hitler ausschließen wollte, bevor er zu ihm überlief, erfährt man eben sowenig wie über die Techniken seiner Propaganda und die Reichweite der mentalen Gleichschaltung. Himmlers besonderer Beitrag für das NS-System ist mit den Stichworten SS-Orden und KZ-System nur ungenügend beschrieben. Seine „Leistung“ war die Umwandlung des „emotionalen“ Straßenterrors der SA in die „vernunftgeleitete“ Vernichtungskapazität von arbeitsteiligen Apparaten und mobilen Mordkommandos. Und Görings Rolle als Sprengmeister der demokratischen Institutionen, als Pate der Wiederaufrüstung und Plünderer der jüdischen Vermögen bleibt bei Knopp völlig im Dunkeln.

Auch über den Schattenriß der Charaktere staunt man: Heß, der Auslandsdeutsche, Kriegsfreiwillige und Flieger im Ersten Weltkrieg, erlebt durch Hitler seine „Erweckung“ und findet in ihm den „Messias“, dem er mit dem Englandflug seine Karriere und mit dem Schweigen in Nürnberg sein Leben opfert. Himmler, der „schmale, kränkliche Mann“, braucht kräftige Helfer, um vom Rand ins Zentrum zu kommen. Um den letzten Schritt von der Randfigur zum Hauptdarsteller zu schaffen, muß er zum Verräter werden: Röhm hat er ausgelöscht, Heydrich hätte er vernichtet, selbst Hitler, seinen Gott, hat er am Ende durch Verrat zu entthronen versucht. Goebbels, der Herr des schönen Scheins und der täuschend echten Lügen, ist zugleich der die Mordlust anstachelnde und als Kindermörder abtretende Baron Samedi des Regimes. Der Starke, der Haß und Gewalt predigt, ist selbst ein Schwächling, behauptet der Film: Der „arbeitslose“ Dichter und der von „Komplexen“ bedrängte Krüppel Dr. Goebbels braucht zum Leben den starken Mann und zum Wohlbefinden die starken Worte. Göring, der Abenteurer, erfüllt die Prophezeiung seiner Mutter auf originelle Weise. Er wird beides – ein großer Mann und ein großer Krimineller. Die Krankenakte einer psychiatrischen Klinik in Schweden zeigt angeblich den wirklichen Göring – „brutaler Hysteriker mit schwachem Charakter“. Speer, der die Bauwunder der Antike zu übertreffen sucht und deswegen die Berliner Juden ausquartiert und der Gestapo zutreibt, der den Krieg mit einem Rüstungswunder gewinnen will und dafür Millionen von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen verbraucht: „Immerzu“, so erklärt uns der Film, „muß Speer beweisen, was er leisten kann. Wie als Student dem Vater, so will es jetzt der Minister dem Führer recht machen“.

Was Knopp uns hier liefert, sind keine durch Biographie- und Generationsforschung gestützten Psychogramme, sondern vulgärpsychologische Phantasien: Wir erleben Speer im Kerker einer lebenslangen Vater-Sohn-Beziehung, die Jünger-Meister Variante bei Heß, die unentrinnbare Verstrickung von Haß und Selbsthaß bei Goebbels, schließlich den siamesischen Zwilling Schwäche und Gewalt, der die Namen Göring und Himmler trägt. Diese aus yellow press und Talkshows bekannte Küchenpsychologie wird auch an den Protagonisten der folgenden Staffeln exekutiert: Baldur von Schirach findet im Führer den Vater, Freisler ist schon durch sein Schulzeugnis – Fleiß und Betragen: gut – als Anpasser ausgewiesen, Ribbentrop ist von früh an nur eins – der Aufsteiger, Udet ist süchtig auf Fliegen, Keitel auf Uniformen, Wernher von Braun will auf den Mond, Porsche ist als Technik-Maniac auf die Welt gekommen, Jodl und Manstein dienten im Kindesalter als Leibpagen am bayerischen und sächsischen Königshof, ihr künftiger Weg in den Kerker von soldatischem Gehorsam und Hitler-Loyalität war damit entschieden.

Man könnte das unter Satire buchen und so stehen lassen. Das hieße jedoch, die Wirkung von Knopp zu unterschätzen. Knopp verdient, ernst genommen und analysiert zu werden. Dann wird ein zentrales Defizit erkennbar. Seine melodramatischen homestories kennen nicht das Wechselspiel von individuellen Prägungen und traditionellen, gesellschaftlich verankerten Konditionierungen, sie vermögen die Erfahrung einer Generation nicht zu erfassen und sie zu den polit-ökonomischen Wirkkräften der Zeit in Beziehung zu setzen, erzählen nichts von den lange vorhandenen Feindbildern oder Ideologien und wie diese in einer bestimmten historischen Situation als Weltanschauung zur Radikalisierung ganzer Schichten der Gesellschaft und zum Kollaps der bestehenden Institutionen führten. Knopp, das ist offensichtlich, hat keine Vorstellung von Gesellschaft. Er kennt nur die Einzelnen und den Einen.[10]

Der Pakt mit dem Teufel

„Die neue Dokumentarreihe“, so erklärte es 1997 das Presseheft zur Ausstrahlung der Serie Hitlers Helfer, „widmet sich den Paladinen, die das Profil der Diktatur prägten. Sie waren Träger der Macht – und ihre Vollstrecker. […] Die Psychogramme aller dieser Männer helfen bei der Antwort auf die Frage, wie es dazu kommen konnte. Sind es ganz normale Verbrecher? Ausgestattet mit der gleichen kriminellen Energie, die ihren Chef beseelte? Oder ganz normale Deutsche, die durch ganz besondere Bedingungen und Zufälle in ganz besondere Positionen kommen konnten, die es ihnen möglich machten, ganz besondere Verbrechen zu begehen?“[11] Der Pressetext, außergewöhnlich bei diesem Genre, macht nachdenklich.

Die Einführung von zwei Kategorien von Naziverbrechern – den normalen und den besonderen – bestätigt einen schon vorher gehegten Verdacht: daß zwischen den Nazis der ersten Stunde und denen, die später dazu stießen, unterschieden werden muß. Die ersteren, belehrt uns Knopp, waren durch den schmählichen Zusammenbruch des Reiches, den Schandfrieden von Versailles und die revolutionären Nachkriegswirren aufgewühlt und stießen in diesem Zustand einer politischen Erregung auf Hitler. Die Heß, Himmler, Göring und Goebbels erfuhren diese Begegnung mit Hitler als „Erweckungserlebnis“, als „Überwältigung“ und wurden ihm hörig. Sie waren fortan „mit der gleichen kriminellen Energie [ausgestattet], die ihren Chef beseelte“ und wurden, wie dieser, zu „normalen Verbrechern“. Bei Speer und Dönitz dagegen wird die Hinwendung zu den Nazis als ein Akt freier Entscheidung dargestellt und zum „Pakt mit dem Teufel“ stilisiert. Der schwindelerregende Erfolg des unbekannten jungen Architekten, verrät uns Knopp, das ist „die Geschichte von Faust und Mephisto“: zum größten Baumeister aufsteigen um den Preis, zum Komplizen eines Verbrechers zu werden. Und den ebenso ruhmsüchtigen U-Boot-Fanatiker Dönitz, der um Schiffe schachert und mit dem Leben seiner Leute bezahlt, nennt unser Chronist mit einem ebenso literarischen Verweis „des Teufels Admiral“. Wie Speer und Dönitz verkaufen auch der Kunstflieger Ernst Udet, der Wüstenfuchs Erwin Rommel, der Blitzkriegsstratege Alfred Jodl, der wissensdurstige Arzt Josef Mengele, die Autolegende Ferdinand Porsche und der Raketenmann Wernher von Braun ihre Seele dem Satan.[12]

Bei diesem Deal in der Kreativabteilung des Regimes muß es dann wohl regelmäßig zu dem eigentümlichen Zustand der „Verstrickung“ gekommen sein, von dem niemand so recht weiß, was es damit auf sich hat, außer, daß der davon Betroffene wenig Chancen hat, sich aus seiner mißlichen Lage zu befreien.[13] Besonders zu bedauern sind diejenigen, die sich nicht selbst „verstricken“, sondern „verstrickt werden“. So ergeht es der ganzen Wehrmacht und vor allem ihrer Generalität – Hitlers Kriegern.[14] Ihr Verhältnis zum Führer wird mit einem Begriff gefaßt, den man bei Generälen am wenigsten erwartet – den des „Gefangenen“. Sie seien, erzählt Knopp, Gefangene ihres eigenen Zögerns geworden wie Paulus, des Gehorsams wie Manstein, der Loyalität wie Jodl, des Eides wie Keitel oder der Idee vom Vaterland wie Canaris.[15] Alle waren sie von Grund auf „unpolitisch“ und sind nur Hitlers „dunkler Faszination“ mehr oder weniger „verfallen“.[16]

Wenn man darunter die Abstinenz von Parteipolitik versteht, waren die Genannten vor 1933 alle unpolitisch. Aber sie alle sind nicht ins Dritte Reich gekommen, ohne zu wissen warum. Sie waren hochpolitisch. Maximilian von Weichs, im Krieg Oberbefehlshaber diverser Armeen und Heeresgruppen, hat rückblickend seine und seiner Generalskameraden Haltung so beschrieben: „Versklavung durch den Versailler Vertrag, Uneinigkeit der bürgerlichen Parteien, ständig wechselnde Regierungen, Wirtschaftskrisen, infolgedessen Zunahme des Kommunismus hatten uns mürbe gemacht für die Versprechungen des National-Socialismus“.[17] Und Albert Speer, der am erfolgsreichsten und lebenslang die Legende vom unpolitischen Fachmann propagierte, hat am Ende Gitta Sereny mit fast identischen Sätzen seine Gründe für den Schwenk zu den Nazis erzählt und sein Geständnis so zugespitzt: „Wenn man sich für Hitler engagierte, war man auch politisch engagiert.“[18]

Teppich und Tapete

Geschichte kommt für Knopp als Sog daher. Kaum hat man den knappen Satz registriert, der Held stamme „aus gutem Hause“ oder komme „aus einer wohlhabenden Familie“, rasch einen Blick auf das Foto des aufgeweckten Zwei- oder Dreijährigen geworfen, vielleicht noch das obligatorische Klassenbild aus Schule oder Kadettenanstalt zur Kenntnis genommen, verschlingt einen buchstäblich das Inferno des Ersten Weltkrieges: die Einschläge der Granaten mit den Explosionswolken aus Dreck und Eisen, die verdreckten und übernächtigten Soldaten in den Unterständen, der Sturmlauf ins feindliche Feuer, dazwischengeschnitten, je nach Waffengattung des Helden, Husaren beim Aufgalopp, feuernde Geschützbatterien, Flieger im Luftkampf, abtauchende Torpedoboote. Dann das Kriegsende November 1918: meuternde Soldaten, mit Karabinern auf den Straßen oder mit Maschinengewehren in einem Gebäude verschanzt, eine Gruppe Verhafteter wird abgeführt, einmarschierende Freicorps und als Kommentar – „Anarchie“, „Chaos“, „wirre Zeiten“. Dann erscheint der, der den Ausweg weiß: auf der Bühne drohend und schreiend oder am Straßenrand mit gerecktem Arm die Marschkolonnen seiner Männer grüßend. Das Unheil, sieht man, nimmt seinen Lauf, zunächst noch verzögert. Dann hat die Weimarer Republik ihren kurzen Auftritt: Ebert mit Zylinder, leichtbekleidete Tänzerinnen in Berliner Nachtbars und Revuetheatern. Schnitt und noch einmal Chaos und Anarchie: Schlangen wartender Arbeitslose, Saalschlachten, Straßenkämpfe, Kommunistische Agitatoren, LKWs mit SA-Kommandos. Und das glückliche Ende: Hitler als Reichskanzler, das Kabinett tritt zusammen, der nächtliche nicht abreißende Fackelzug, Fahnen, SA, Horst-Wessel-Lied, der Führer grüßend am Fenster seines neuen Amtssitzes.

Diese Bildfolgen, die die Nazi-Mythe von der Passion des deutschen Volkes und dessen Erlösung durch Hitler erzählen, wiederholen sich von Film zu Film. Geschichte wird mit der Zeit zu etwas, das zur Einrichtung gehört – wie ein Teppich oder wie eine Tapete. Sie hat alles Fremdartige und alles Beängstigende verloren, sie hinterläßt keine Fragen und keine Zweifel. Dies Gefühl hält an, wenn Deutschland zu Nazideutschland geworden ist. Nur wenige immer wiederkehrende Bildmotive – Militärparaden und Rheinlandbesetzung, Reichsparteitag und Reichsautobahnen. Dann das Entstehen des Großdeutschen Reiches: der „Anschluß“ und die „Zerschlagung der Resttschechei“, die Blitzkriege im Westen und Norden, Luftkämpfe und brennendes London, noch einmal Blitzkrieg und der Anfang vom Ende: Einmarsch in die Sowjetunion, siegreiche Kesselschlachten, dann das Unheil vor Moskau, die Katastrophe bei Stalingrad und das Finale: Invasion, Deutschland im Kessel, Zusammenbruch. Auch die Darstellung des Holocaust folgt diesem Muster: Knopp reichen drei immer wiederkehrende Motive.

Die Geschichte ist in diesen Standard-Einstellungen erstarrt. Aus ihrem disparaten und komplexen Material ist ein Rahmen geworden, der die Wahrnehmung lenkt und kanonisiert. Saul Padover, ein amerikanischer Offizier, der als Mitarbeiter der Abteilung für psychologische Kriegsführung ab Herbst 1944 in den befreiten Gebieten Deutsche interviewt hat, ist zum ersten Mal auf dieses von Wochenschauen, Zigarettenbildchen und Hitlerreden geprägte homogene Geschichtsbild gestoßen.[19] Es hat in den Köpfen von großen Teilen der älteren Generation bis heute überlebt. Fünfzig Jahre nach Padovers bahnbrechender Studie, sind deren Ergebnisse in einem Interviewprojekt bestätigt. Es gibt, das ist die Bilanz, offenbar „so etwas wie einen gesellschaftlich standardisierten Assoziationsraum der NS-Vergangenheit, und dieser Raum scheint mit einem klar begrenzten und bekannten Inventar von Bildern und Tönen ausgestattet zu sein.“ Abweichungen davon werden, wie ein Experiment im Rahmen des Projekts gezeigt hat, mit Irritation aufgenommen.[20] Jetzt ahnt man, warum Knopp die Geschichte so und nicht anders erzählt: Seine Zuschauer sollen sich darin wie zu Hause fühlen.

Hitler lebt

Guido Knopp hat 1988, also lange vor seinem Durchbruch als Medienstar, in einem von ihm mitherausgegebenen Handbuch Geschichte im Fernsehen so etwas wie eine programmatische Erklärung abgegeben.[21] Ausgehend von den Möglichkeiten des Mediums, neben der Vermittlung von Kenntnissen auch „Neugier, Anteilnahme, Spannung und Betroffenheit“ zu wecken,[22] formulierte er folgende Ziele: 1. Er wolle Themen aus der jüngsten Vergangenheit präsentieren, „die uns besonders nahegehen“ und dadurch die Chance bieten, daß der Zuschauer sich darin „wiedererkennt oder sich identifizieren darf“. 2. Er wolle ein Fernsehen, in dem „Geschichte ‚menschlich’“ dargestellt, also „personalisiert“ werde;[23] 3. Er wolle, ohne Bildung oder gar Spezialwissen vorauszusetzen, Sendungen machen, die „für Lieschen Müller […] ebenso wie für Dr. Elisabeth Müller“ paßten.[24]

Wir verstehen jetzt, warum Knopp biographische Filme macht und dabei nicht die Monster, sondern „ganz normale Deutsche“ auswählt, die nur aufgrund geschichtlicher Umstände in „besondere Positionen“ geraten sind und dadurch in „besondere Verbrechen“ verstrickt wurden, warum er diese faustischen Helden als Charaktere präsentiert, die von allbekannten Gefühlen – von Ehrgeiz und dem Rausch des Erfolges, von Anpassung und Unterwerfung, von Minderwertigkeitskomplexen und dem Wunsch nach Anerkennung – angetrieben werden, warum er die disparaten und irritierenden Bilder und Töne der Vergangenheit standardisiert und zähmt. Sein Fernsehen liefert Geschichte zum Wiedererkennen und Menschen wie du und ich. Um das zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht.

In allen Filmen der Serie gibt es einen unbestrittenen und allzeit präsenten Mittelpunkt – Hitler. Er beherrscht die Szene in allen Rollen. Als Redner in der Kampfzeit oder als Staatsmann – Hitler ein einziges Kraftzentrum. Der Feldherr: bei Paraden, am Kartentisch, die Front inspizierend – Hitler ein Soldat unter Soldaten. Der Sieger: am Fenster nach der Machtübernahme, bei den Olympischen Spielen, auf dem Heldenplatz in Wien oder nach dem Triumph im Westen – Hitler das Objekt der Verzückung. Der Führer: Fahnenweihe, Totenehrung, Reichsparteitag – Hitler der entrückte Gesandte der Vorsehung.

Nürnberg ist das Zentrum des Kultes, hier wird Jahr für Jahr der Bund zwischen Führer und Gefolgschaft rituell gefeiert. Der Mittelpunkt aber, von dem alles ausgeht und wohin alles zurückkehrt, ist der Berghof. An diesem magischen Ort, fern von den Menschen, auf Augenhöhe mit den Gipfeln, im Angesicht des Schicksals, wirkt der Führer. Hier denkt er nach, hier bespricht er sich mit den engsten Mitarbeitern, hier fällt er die Entscheidungen, hier ist er in kurzen Pausen auch einmal Mensch, mit jungen Hunden oder Kindern, hierhin zitiert er diejenigen, die, wie Goebbels, gestrauchelt sind oder solche wie Porsche, die ihm das Zukunftsprojekt VW vorführen, hier schaut er, mit dem Rücken zum Betrachter, lange und schweigend in die Zukunft.

Der Berghof ist der einzige Ort, der fast in jedem Film und immer als farbige Sequenz vorkommt. Das Material entstammt einem Amateurfilm von Eva Braun, der Hitler-Intima. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum diese Privataufnahmen so wirkungsvoll sind. Es liegt auch daran, daß sie nicht in schwarz-weiß, sondern in Farbe gedreht sind. Farbe, weil sie unserer Wahrnehmung entspricht, überspringt den natürlichen Abstand, der allem Vergangenen anhaftet. Sie schafft Nähe und stellt Intimität her.[25] Sie liefert, was Knopp wünscht: Hitler „zum Anfassen“.[26]

Die Herkunft des privaten Berghof-Films wird dem Zuschauer nicht mitgeteilt. Das gilt auch für die Masse des sonst verwendeten historischen Filmmaterials. Es stammt sämtlich aus den Archiven Nazideutschlands, stellt also kein Abbild dieser Epoche, sondern deren von Goebbels fabriziertes Selbstbild dar. Der Hitler, der in Knopps Geschichtsfernsehen auftaucht, ist derselbe, den Millionen von Volksgenossinnen und Volksgenossen damals im Kino zu sehen bekamen. Sein Fernsehen ist die Naziwochenschau mit anderen Mitteln: Es reproduziert noch einmal „die ideologische Weltsicht der Nazis“ und lässt sie für den Betrachter zur „historischen Wirklichkeit“ werden.[27] Ein Kritiker hat Knopp vorgeworfen, er inszeniere „die mediale Verlängerung des Führerprinzips in die Gegenwart“.[28] Er hat recht: Hitler lebt.

Es wäre falsch, deshalb in Knopp einen heimlichen Nazi zu sehen oder ihn als sinistren Apologeten der Nazizeit abzustempeln. Aber er verfolgt mit seiner Intimisierung und Trivialisierung von NS-Geschichte ein eindeutiges politisches Ziel. Es wird in Punkt vier der oben zitierten programmatischen Erklärung offen ausgesprochen: Die Orientierung auf ein Massenpublikum sei besonders notwendig in einem Land, das sich wegen der „lästigen Erbschaft“ aus „Hitler-Diktatur und Holocaust“ mit seiner Identität schwer tue;[29] sein Fernsehen, verspricht Knopp, könne die auseinanderklaffenden Extreme von „Trauerarbeit“ und „Identitätsfindung“ in Balance bringen und das bei den Deutschen offensichtliche „Defizit an ‚Wir-Bewußtsein’“ beseitigen helfen.[30] Das heißt im Klartext, er will etwas im Umgang mit der Nazizeit ändern. Die konträren Haltungen von Schuldanerkenntnis und entsprechender Trauerarbeit bei den einen und die Betonung der Normalität und der Kontinuität der deutschen Geschichte trotz der Nazis bei den andern soll im versöhnenden und identitätsstiftenden Wir aufgehoben werden. Kohl prägte dafür, im Zusammenhang der von ihm propagierten „geistig-moralischen Wende“, den Begriff der „Normalisierung“, und der Historikerstreit lieferte die schrille Musik dazu.[31] Aus dieser Zeit stammt Knopps Vorstellung von der Geschichtsschreibung als Dienst am „nationalen Konsens“[32] und vom Fernsehen, wie wir gleich sehen werden, als Mittel der Re-Reeducation.

Wissen, Nichtwissen, Nichtwissenwollen

„Zwei Drittel unseres Publikums“, so hat der Chefhistoriker vom Lerchenberg in einem Rechenschaftsbericht mitgeteilt, „sind älter als 50 Jahre. Aus unzähligen Briefen und Gesprächen erfahren wir fast täglich, daß gerade unsere Art der Aufarbeitung älteren Menschen hilft, die eigene Geschichte besser zu verstehen.“[33] Das ist, wie Nachfragen ergaben, keine Übertreibung.[34] Knopps neumontierte, aber in ihrer visuellen Botschaft unveränderten Wochenschau-Versionen beamen den Zuschauer zurück in eine Zeit, da Deutschland und jeder Deutsche Weltgeschichte machte. Das noch einmal auszukosten und nach zu erleben, ist, wie die Zuschauerzahlen zeigen, ein Ereignis. Knopps Fernsehen hat über die Jahre so etwas wie eine nach Millionen zählende anonyme Selbsthilfegruppe der Nazi- und Kriegsgeneration gestiftet. Wie bei einem Rollenspiel wird im geschützten Raum der eigenen vier Wände noch einmal die Zeit des Dritten Reiches mit all seinen rauschhaften Triumphen und furchtbaren Enttäuschungen durchgespielt.

Der Religionsphilosoph Klaus Heinrich hat darauf hingewiesen, daß die Realgeschichte beim zweiten Blick ein Ingredienz erkennen läßt, das er „Faszinationsgeschichte“ nennt: „In dem, was fasziniert durch die reale Geschichte hindurch, sind unerledigte Konflikte, nicht ausgetragene Spannungen, ist das nichtgelöste Problem jeweils präsent.“[35] In diesem knappen Satz ist beschrieben, warum die Nazizeit nicht vergehen will. „Unerledigte Konflikte“, das könnte der immer noch gefühlte klaffende Riß zwischen den unendlichen Hoffnungen eines nationalen wie individuellen Aufbruchs und das totale Scheitern beider Gewißheiten am 8. Mai 1945 sein. „Nicht ausgetragene Spannungen“, damit könnten die unversöhnten Extreme vom Rausch der entgrenzten Gewalt in Krieg und Völkermord und von der Rückkehr in den Zivilisationskerker der Moral gemeint sein. „Das nicht gelöste Problem“, das könnte die Umschreibung für die trotzige Leugnung der eigenen Schuld oder für die ganz inwendig spürbare Scham sein. Knopps Filme helfen nicht dabei, diese Themen durchzuarbeiten, im Gegenteil, sie arbeiten sie weg. Sie katapultieren mit ihren Bildern und Tönen die älteren Zuschauer noch einmal in die Erregungszustände von damals und liefern mit seinem Kommentar gleichzeitig den Sicherheitsgurt für die unvermeidliche Landung in der Gegenwart.

Als Beispiel möge der 2004 gedrehte Film über den General dienen, der fünf Jahre lang Hitlers engster militärischer Mitarbeiter war, Alfred Jodl. Ausgehend vom Kommissarbefehl, den dieser unterzeichnet hatte, verweist der Kommentar auf das Schicksal der Gefangenen und der Juden beim Überfall auf die Sowjetunion. „Millionen werden ermordet“. Dann die Frage: „Was weiß Jodl vom Jahrhundertmord?“ Als Antwort der eingespielte Originalton von dessen Aussage in Nürnberg: Er habe niemals, mit keiner Andeutung, mit keinem Wort und mit keinem Schriftstück von der Vernichtung der Juden gehört. Der Kommentar setzt nach: „Der wichtigste Manager des Krieges an Hitlers Seite, weiß er wirklich nichts von dessen eigentlichem Ziel? Oder will er sich nicht erinnern?“ Ein Zeitzeuge, Jodls Neffe, hat als Soldat bei Minsk eine Judenerschießung beobachtet und will von seinem Onkel wissen, was es damit auf sich hat. Der läßt ihm ausrichten, er habe keine Ahnung von so was, das sei „alles Sache von Bormann“. Der Kommentar: „Nach dem Krieg wird Jodl sagen, wenn er gewußt hätte, daß Hitler ein Verbrecher ist, dann hätte er die Konsequenz gezogen. Selbstbetrug.“ Vorlage eines Dokuments, in dem der General der Wehrmacht die Deportation der dänischen Juden mitteilt. „Er ist kein Mörder, aber einer, der das Morden möglich macht.“ Zum Abschluß der Sequenz der Kommentar: „Jodls Welt ist mit Stacheldraht umzäunt. Hier im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen verbringt er den größten Teil der Kriegsjahre. Im Bunker oder in seiner eigenen Baracke finden mehr als 5000 Besprechungen mit Hitler statt. Eine Welt fernab der Wirklichkeit, eine Mischung aus Kloster und KZ, wird Jodl später sagen. Ein Ort, an dem das Gewissen seinen Dienst versagt.“

Lassen wir lästige Details einmal beiseite, wie die Vorstellung, das Gewissen sei ein Apparat, der sich an- und abschalten lässt und der manchmal auch kollabiert: Zusammenbruch des Netzes, Stromausfall, Blackout. Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche. Die zitierte Sequenz, die fünf Minuten gedauert hat – viel Zeit bei einem Film von 45- Minuten Länge – läßt die Methode erkennen, mit der Knopp die faszinierende Reise seiner Zuschauer zurück in die Vergangenheit begleitet und moderiert. Er konfrontiert sie zwar mit den Belegen einer anderen Wirklichkeit, als sie auf seinen Goebbels-Clips zu sehen ist, er spricht von Verbrechen, von Morden, von Millionen Opfern, aber gleichzeitig entlastet er diejenigen, die als Täter all dieser Taten in Frage kommen könnten – die Protagonisten seiner Filme.

Knopp tut das auf ganz unverfängliche Weise – er fragt. Weiß Jodl etwas von dem Mord an den Juden? War das nicht Sache der Partei, also Bormanns? Oder hat er etwas gewußt, aber weggesehen? Hätte er Konsequenzen gezogen, wenn er etwas gewußt hätte? Will er sich nur nicht erinnern, obwohl er etwas oder vielleicht alles gewußt hat? Wenn Jodl sich aber sogar am Judenmord beteiligt hat, war er dann Mörder oder ging es nur um Beihilfe zum Mord? Auch wenn ein belastendes Dokument oder die kritische Aussage eines Zeitzeugen eine einzelne Frage beantwortet und damit erledigt, die Summe der Fragen produziert einen Nebel von Zweifeln, in denen sich die Kontur der Fakten und die Gewißheit des Urteils wie in einem chemischen Bad auflösen.

Der Jodl-Film ist einer der differenziertesten der gesamten 24-teiligen Serie. Aber das Muster ist, wie bei einem weltweit inszenierten Lloyd-Webber-Musical, zu Beginn schon festgelegt worden und wird, abgesehen von kleinen Variationen, unverändert beibehalten. Was wußte Speer, der Herr über Millionen Arbeitssklaven, von deren Vernichtung durch Arbeit? Was wußte der HJ-Chef Schirach davon, daß seine Hitlerjungen für Vernichtungskrieg und Opfertod erzogen wurden? Hat Dönitz, während des Krieges, mit konkreten Fakten über den Judenmord konfrontiert, das sofort verdrängt? Hat Keitel weggesehen, als der Führerzug in der Ukraine die Massengräber von Ermordeten passierte? Haben Braun und Porsche die toten KZ-Häftlinge nicht gesehen, die bei ihren Projekten draufgingen? Kann man Manstein als Mörder bezeichnen, weil er im Herbst 1941 einen berüchtigten Befehl erließ, mit dem er den Judenmord der Einsatzgruppen billigte? Dann eine kleine Variation des Musters durch die Frage nach den Motiven: „Was ist Manstein? Antisemitisch, opportunistisch oder nur ehrgeizig?“ Eine ähnliche Frage geht an Schirach, der später Wien judenfrei gemacht hat: „Ist der Gauleiter ahnungslos, ist er gleichgültig oder machtlos angesichts des Schicksals der verschleppten Juden?“ Offensichtlich hängt von der Antwort, ob Manstein Nazi oder bloß Opportunist, ob Schirach gefühllos oder machtlos war, alles ab. Da aber diese Frage nach der Motiv- oder Gefühlslage des Protagonisten nicht beantwortet werden kann, bleibt der gesamte Vorgang unabgeschlossen. Die viel entscheidendere Frage nach der Tatbeteiligung ist darüber längst aus dem Blick geraten.

Zur Meisterschaft entwickelt wird das im Jodl-Film auftauchende Motiv des Nicht-Hinschauen-Wollens. Ribbentrop, der seine Botschafter in den besetzten Gebieten Europas anwies, die dort durchgeführten Judendeportationen zu unterstützen, wußte genug, „um ganz genau zu wissen, daß er nicht mehr wissen will.“ Porsche „konnte wissen. Aber es hat ihn wohl nicht interessiert“. Und Speer darf, mit gewohnt selbstkritischer Raffinesse, selbst das Wort ergreifen: „Ich hätte verstehen müssen, wenn ich hätte verstehen wollen“. Den Höhepunkt dieser argumentativen Pirouetten liefert eine Passage, bei der es auch um die Rolle der Wehrmacht geht. Nachdem der Zuschauer darüber informiert wurde, daß Keitel über Himmlers Rassenkrieg an der Front und in den Todesfabriken Bescheid wusste, stellt der Kommentar – über den Bildern einer Kolonne fröhlich durch die russische Steppe marschierender Landser – die inhaltsschwere Frage: „Wissen, Nichtwissen, Nichtwissenwollen?“

Knopp weiß, daß Nicht-Hinschauen-Wollen zwar moralisch fragwürdig sein mag, aber keinen juristischer Tatbestand erfüllt, also keine Strafverfolgung auslöst. Und er weiß, daß er mit dem Wechsel der Perspektive – von der Frage nach der Beteiligung an Verbrechen zu der nach dem Wissen um Verbrechen – punktgenau beim Lieblingssatz der Deutschen nach 1945 gelandet ist – man habe von alledem nichts gewußt. Seine Filme greifen diesen Satz auf und liefern für Opa und Oma genügend Material, nachfragende Enkel ruhig zu stellen. „Den Deutschen im Dritten Reich“, schrieb Die Zeit, „wurde vorgeworfen, sie hätten aus Selbstschutz eine Lebensform des Halbwissens kultiviert. Aber verhält sich nicht geradezu komplementär zum Verdrängten und halb Gewußten der Nazizeit das raunend ‚Halbgeschehene’ der Knoppschen Filme? Die Rekonstruktion ungesehner Vorgänge nach dem Schema von Akte XY – Ungelöst?“[36]

Präziser kann man es nicht sagen: das gnädige, weil entlastende Halbdunkel der Geschichte. Knopp betreibt nicht nur einen „Revisionismus der Form“, wie das Feuilleton nicht müde wird zu betonen,[37] er arbeitet, was wichtiger ist, massiv an der Umdeutung der Verläufe und der Wirkkräfte der Geschichte Nazideutschlands. Den Quasi-Freispruch und die moralische Entlastung, die Hitlers Helfer gewähren, geht zu gleichen Teilen auch an deren Zuschauer. Sie teilten mit den Prominenteren auf dem Bildschirm, daß sie nichts gewußt oder nur vom Hörensagen etwas erfahren und vielleicht auch nicht immer genau hingeschaut hatten. Mit Verbrechen jedenfalls hatten sie nie etwas zu tun gehabt. Dafür waren Hitler und seine Bande verantwortlich gewesen. Diese frohe Botschaft brauchten die Angehörigen der Nazi-Generation in den bewegten neunziger Jahren, als Christopher Browning, Daniel Goldhagen, Victor Klemperer und die erste Wehrmachtsausstellung eine ganz andere Geschichte erzählten. Knopp hat auf darauf reagiert.[38]

60 Millionen Gehilfen

Es geht in den 24 Folgen der Serie, die jüngst mit „Hitlers Idolen“ – Max Schmeling, Heinz Rühmann und Leni Riefenstahl – um drei weitere Filme komplettiert worden ist, nicht nur um die medienwirksame Bestätigung der klassischen Ausrede, man habe von allem nichts gewußt. Knopps Filme unternehmen auch den ganz offenen Versuch, eine Rechtskonstruktion massenwirksam zu reaktivieren und zu verankern, die für die Geschichte der Bundesrepublik und deren Umgang mit den Verbrechen Nazideutschlands bis heute verheerende Auswirkungen hat. Dieses Konstrukt besteht aus drei Elementen.[39]

Das erste besagt, daß Hitler als gewählter und oberster Repräsentant Deutschlands das Völkerrecht zwar durch verbrecherische Befehle, aber mit rechtsverbindlichen Folgen aufgehoben habe. Daher mußten die Anordnungen des Staates, auch wenn sie zu Verbrechen aufgefordert hätten, für die Betroffenen als legal gelten. Eine juristische Bewertung ihrer Taten habe diesen Rechtscharakter des Dritten Reiches zu berücksichtigen und könne daher bei möglichen Tätern nur von einem entschuldbaren Irrtum ausgehen. Die zweite noch bedeutsamere Setzung war, die Verantwortung für alle Rechtsbrüche nur den allerhöchsten Befehlshabern zuzuweisen und die in der Befehlskette Nachgeordneten nur als Befehlsvollstrecker anzusehen. Diese hätten kein eigenes politisch oder ideologisch begründetes Interesse an der Tat gehabt und nur als Rädchen in einer für sie meist undurchschaubaren Vernichtungsmaschinerie fungiert. Folglich seien nur Hitler, Himmler, Göring als Haupttäter zu betrachten, alle anderen dagegen nur als Gehilfen zu behandeln. „Hinter der bei den Gerichten bis hinauf zum Bundesgerichtshof beliebten Annahme bloßer Beihilfe,“ so hat Fritz Bauer vor allem auch mit Blick auf den Auschwitz-Prozeß seinerzeit kritisch angemerkt, „steht die nachträgliche Wunschvorstellung, im totalitären Staat habe es nur wenige Verantwortliche gegeben, es seien nur Hitler und ein paar seiner Allernächsten gewesen, während alle übrigen lediglich vergewaltigte […] Mitläufer oder […] dehumanisierte Existenzen waren, die veranlasst wurden, Dinge zu tun, die ihnen völlig wesensfremd waren“.[40] Täterschaft in der nachgeordneten Gruppe der Befehlsvollstrecker, das war das dritte Axiom der herrschenden Gerichtspraxis, wurde nur diesen kaputten, amoralischen Außenseitern attestiert. Diese sogenannten „Exzesstäter“ waren solche, die sich entweder die verbrecherischen Ziele der Befehlsgeber zu eigen gemacht oder die Tat mit eigenem pervers-sadistischen Eifer begangen hätten. Um das nachzuweisen, musste vor Gericht Motivforschung betrieben werden. Die Folgen, so Joachim Perels, waren verheerend: „Die Teilnahme am Verbrechen wird subjektiviert, während die Erfüllung konkreter Tatbestände […] ihren bisherigen Stellenwert verliert.“[41] Wichtiger als die objektiven Rechtsgüter Freiheit, Leben, körperliche Unversehrtheit wurde die Rechtsgesinnung. Damit aber war der Willkür der Richter Tür und Tor geöffnet. Der Strafrechtler Claus Roxin hat in diesem Zusammenhang von einer „irrationalen richterlichen Gefühlsjurisprudenz“ gesprochen, die „zu mehr oder minder beliebigen Ergebnissen“ geführt habe.[42]

Guido Knopps Fragen, ob Jodl Morde begangen oder solche nur ermöglicht habe, ob Manstein ein Nazi oder nur ein Opportunist, ob Schirach gefühllos oder machtlos gewesen seien, folgen diesem in der Rechtssprechung vollzogenen Blickwechsel von den Tatbeständen zu den Motiven. Und seine Befunde sind, nicht anders als die des BGH in Karlsruhe, solche der Beliebigkeit und der Willkür. Was der Strafrechtler Jürgen Baumann bezüglich der Vorstellungen der bundesdeutschen Justiz vom Dritten Reich festgestellt hat, gilt auch als Faustregel, wenn Knopps Fernsehgericht tagt: sein Urteilsschema lautet „Hitler und 60 Millionen Gehilfen“.[43]

Knopp hat sein „historisches Ereignisfernsehen“ einmal als einzige Chance bezeichnet, bei der Flut von medialen Unterhaltungsangeboten ein Millionenpublikum zu erreichen. Und dieses Ziel ist für ihn ein Muß, denn – „Aufklärung braucht Reichweite.“ Felsenfest davon überzeugt, daß in seinen Serien „Qualität und Quote“ zur Deckung kommen, hat er ihnen attestiert, daß sie zu einer „Demokratisierung des historischen Diskurses“ beitrügen.[44]

Das Gegenteil von alledem ist der Fall. Statt der öffentlich-rechtlich vorgeschriebenen und von unseren Gebühren finanzierten „Aufklärung“ betreibt er Desinformation, genauer – Gegenaufklärung. Und statt der „Demokratisierung des historischen Diskurses“, also des Anstoßens von öffentlichen Debatten und der Stärkung der individuellen Kritikfähigkeit, ist er durch sein mittlerweile geschaffenes Monopol verantwortlich für dessen Abschaffung. Wenn er tönt, seine Serien hätten es geschafft, „Hitler zu durchschauen“ und das von ihm ausgehende „Faszinosum“ ein für allemal zu beenden,[45] dann liefern vom ZDF selbst durchgeführte Umfragen einen völlig anderen Befund. Guido Knopp ist nicht der Exorzist der Hitler-Nostalgie, als den er sich anpreist, sondern deren genialer Vermarkter. Und indem er Hitler als schwarzmagischen Alleintäter, ein paar verführte Helfer mit Goldrand und die Nazizeit als narkotisches Erlebnis präsentiert, verstärkt er das Faszinosum, das von dieser Spukgeschichte immer noch ausgeht.

[1] Eric Hobsbawm, Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 337.

[2] Munzinger Archiv, Ausgabe 37 vom 7. 9. 1998.

[3] Warum habt ihr Hitler nicht verhindert? , ZDF, 23. 1. 1983; Warum habt ihr Hitler widerstanden?, ZDF, 18. 7. 1984; Der Verführer: Anmerkungen zu Goebbels, ZDF, 29. 11. 1987.

[4] Wulf Kansteiner, Die Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses im Zeitalter seiner kommerziellen Reproduktion: Hitler und das Dritte Reich in den Fernsehdokumentationen von Guido Knopp, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 51, 2003, Heft 7, S. 626-648, hier S. 629 (Hitler und das Dritte Reich).

[5] Ebenda, S. 633 ff., 637 f.; Der verdammte Krieg erreichte mit 3, 75 Millionen Zuschauern einen Marktanteil von 18, 3 Prozent, die Hitler-Serie kam auf 5, 03 Millionen und eine Quote von 22 Prozent, vgl. Linne, Hitler als Quotenbringer, a. a. O., S. 95.

[6] Guido Knopp, Zwischen Krieg und Frieden. Zeitgeschichte im ZDF 1989, in: ZDF Jahrbuch 1989, Mainz 1989, S. 80-84, hier S. 81.

[7] Der Darstellung liegt die in arte 1996 gesendete Langfassung der Serie zugrunde, die sich von der im ZDF ausgestrahlten zehn Minuten kürzeren 45-Minuten-Version unterschieden hat, vgl. Karsten Linne, Hitler als Quotenbringer – Guido Knopps mediale Erfolge, in: 1999, Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 2, 2002, S. 90-101, hier S. 92 (Hitler als Quotenbringer); auch für die Analyse der zweiten 1998 gesendeten Staffel Täter und Vollstrecker wurde die Langfassung von arte benutzt.

[8] Die Reihe wurde im Schnitt von 6,86 Millionen gesehen, was einer Quote von 21 Prozent entsprach, die zweite Staffel kam auf 15 Prozent, ebenda, S. 95; Knopp nennt sie die „erfolgreichste“ Dokumentarserie im ZDF, ders.: Zeitgeschichte im ZDF, in: Jürgen Wilke (Hg.), Massenmedien und Zeitgeschichte, Konstanz 1999, S. 309-316, hier S. 310.

[9] Nach Hitlers Helfern folgten, immer mit dem vorangesetzten Serientitel: Täter und Vollstrecker, Hitlers Krieger, Hitlers Manager und zuletzt 2007 Hitlers Idole.

[10] Das Beispiel eines gelungenen „Psychogramms“ hätte Knopp finden können bei Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903- 1989, Bonn, 1996; als Mikroanalyse: Christian Schneider, Manstein. Psychogramm eines Befehlshabers, in: Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, Hamburg 1995, S. 402-417.

[11] Presseheft zur Serie Hitlers Helfer, Mainz 1997, S. 4.

[12] Von Udet heißt es, er habe einen „Pakt mit dem Teufel“ geschlossen, Rommel hat sich auf den „tödlichen Pakt mit der Macht“ eingelassen, Porsche heißt einfach „des Teufels Konstrukteur“ und Braun „verkauft seine Seele“; auch Mengele und dessen Mentor, der Rassegenetiker Ottmar von Verschuer, gehören in diesen faustischen Zirkel, wie dessen Sohn Heinrich von Verschuer nahelegt: „Mich bedrückt, daß ein Mann, der glaubte Wissenschaft für die Menschen zu betreiben, einer Wissenschaft anhing, die dann zum Verderben von Menschen führte.“

[13] So Porsche und Speer (2004).

[14] Manchmal sind einzelne Einheiten, wie die Division Brandenburg (Canaris), oder schlichtweg die ganze Wehrmacht „verstrickt“– „ob sie will oder nicht“ (Keitel, Jodl); von den Generälen wird ausdrücklich Manstein als Opfer dieser „Verstrickung“ benannt.

[15] So explizit bei Manstein und Jodl.

[16] Rommel, Manstein, Jodl; vgl. auch Lutz Kinkel, Viele Taten, wenig Täter. Die Wehrmacht als Sujet neuerer Dokumentationsserien des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, in: Michael Th. Greven, Oliver von Wrochem (Hg.), Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik, Opladen 2000, S. 112-130, hier S. 117 ff.

[17] Johannes Hürter, Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42, München 2006, S. 111.

[18] Vgl. Hannes Heer, Hitler war’s. Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit, Berlin 2005, S. 82

[19] Saul K. Padover, Lügendetektor. Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45, München 2001, S. 74 f.

[20] Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2002, S. 176; den Probanden war ein Amateurfilm vorgeführt worden, in dem sehr disparate Szenen – von Hochzeiten bis zu Deportationen – zusammengeschnitten waren.

[21] Guido Knopp, Geschichte im Fernsehen. Perspektiven der Praxis, in: ders., Siegfried Quandt (Hg.), Geschichte im Fernsehen. Ein Handbuch, Darmstadt 1988, S. 1-9.

[22] Ebenda, S. 1.

[23] Ebenda, S. 5 f.

[24] Ebenda, S. 7.

[25] Judith Keilbach, Fernsehbilder der Geschichte. Anmerkungen zur Darstellung des Nationalsozialismus in den Geschichtsdokumentationen des ZDF, in: 1999, Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 2, 2002, S. 102- 113, hier S. 110 (Fernsehbilder der Geschichte); Keilbachs anhand der Serie Hitler – Eine Bilanz entwickelte These von der „Konstitution einer öffentlichen und einer privaten Person Hitler“ – die politische Sphäre in schwarz-weiß, die private Berghof-Existenz in Farbe – trifft allerdings auf die hier analysierten Serien nicht zu, ebenda, S. 109 f.

[26] Knopp, Zwischen Krieg und Frieden, in: ZDF Jahrbuch 1989,a. a. O., S. 83.

[27] Keilbach, Fernsehbilder der Geschichte, in: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, a. a. O., S. 105 f.

[28] Fritz Wolf, Der Weitererzähler. Fernsehen und Geschichtserzählung, in: Jahrbuch Fernsehen 2004, a. a. O., S. 28-44, hier S. 36.

[29] Ebenda, S. 1.

[30] Ebenda, S. 8.

[31] Vgl. Heer, Hitler war’s, a. a. O., S. 62-74.

[32] Ebenda, S. 69.

[33] Knopp, Zeitgeschichte im ZDF, in: Wilke, Massenmedien und Zeitgeschichte, a. a. O., S. 311.

[34] Kansteiner, Hitler und das Dritte Reich, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, a. a. O., S. 636.

[35] Klaus Heinrich, Floß der Medusa, Basel, Frankfurt/Main 1995, S. 14 f.

[36] Peter Kümmel, Ein Volk in der Zeitmaschine, in: Die Zeit, 26. 2. 2004.

[37] So Ulrich Raulff in: Süddeutsche Zeitung 20.10.2003::

[38] Guido Knopp hat zwar bestritten, daß seine Filme eine Antwort etwa auf Goldhagen seien: ders., Zeitgeschichte im ZDF, in: Wilke, Massenmedien und Zeitgeschichte, a. a. O., S. 313; aber der Zusatz zur zweiten Staffel – Hitlers Helfer und Vollstrecker, zeigt das ebenso wie die Wahrnehmung prominenter Zeitgenossen: Joachim Fest nennt Knopps Serie, ganz selbstverständlich den Goldhagen-Titel aufgreifend, Hitlers willige Helfer, vgl. Die Deutschen sind ein wunderbarer Sündenbock, in: Berliner Zeitung a. a. O.

[39] Joachim Perels, Die Strafsache gegen Mulka und andere: 4 Ks 2/63-Juristische Grundlagen, in: Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main, Hrsg. von Irmtrud Wojak im Auftrag des Fritz Bauer Instituts, Köln 2004, S. 124-147.

[40] Ebenda, S. 142 f.

[41] Ebenda, S. 138

[42] Ebenda.

[43] Ebenda, S. 239

[44] Knopp, Zeitgeschichte im ZDF, in: Wilke, Massenmedien und Zeitgeschichte, a. a. O., S. 311, 316, 311 f.; der Beitrag ist eine Erweiterung des 1988 veröffentlichten Artikels; alle in den Jahrbüchern des ZDF wie in Interviews abgegebenen Statements sind nur Variationen dieser beiden Texte.

[45] Guido Knopp, Keine Angst vor Hitler? – 50 Jahre danach, in: ZDF-Jahrbuch 1995, S. 88-90, hier S. 88.