Hunger und Nahrungsmittelkrise der Dritten Welt

Chancen zum Überdenken von Agrarpolitiken?

Hungerkrise aus feministischer Sicht

Dezember 2008

1. Rettungsplan für Bankenkrise – nicht für die Hungerkrise

So viel Sorge und Handlungsbereitschaft der Staatengemeinschaft wie im Oktober 2008 zur Bankenkrise hätte ich mir auch bei der Hungerkrise – im ersten Halbjahr 2008 – gewünscht. Mit den gestiegenen Preisen für Grundnahrungsmittel ist klar, dass zu den bereits an Hunger leidenden fast einer Milliarde Menschen mit der sprunghaften Verteuerung der Lebensmittel die Zahl der Menschen in Not wächst. Diese Not ist nicht geschlechtsneutral, sie trifft besonders stark Frauen und Kinder, die den Großteil der Armen auf dieser Welt stellen. Denn schon vor der akuten Ernährungskrise 2008 wurde geschätzt, dass 7 von 10 Hungernden Frauen und Mädchen sind (stuffed and starved 2008). Armut und Geschlecht erweisen sich als ein globales Problem, ein Faktum, das auch auf der Tagung „Hat Armut ein Geschlecht?“ an der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr 2005 diskutiert wurde (ZIF 2005).

An Geld kann und konnte es nicht gefehlt haben, was angesichts der Bankenkrise vorgeführt wird. An nur einem Wochenende im Oktober 2008 gelingt es der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, einen Betrag von 500 Milliarden Euro (das ist die fünf mit 11 Nullen) für die Bankgeschäfte in Deutschland als Rettungsplan in Aussicht zu stellen. Für das Recht auf Nahrung, dieses existentielle Recht der Menschen auf Überleben, konnte die Staatengemeinschaft jedoch noch keinen verbindlichen Rettungsplan bereitstellen, auch nicht mit den MDGs (Millennium Development Goals).

Mit der gegebenen Preisentwicklung für Agrarprodukte droht das Elend noch größer zu werden. Denn Preise sind rasant und sprunghaft in die Höhe gestiegen. Ein Preisvergleich aus dem Jahr 2006 zur ersten Hälfte des Jahres 2008 ergibt die folgende Zahlen in US-Dollar Weizen von 192 auf 385; Mais von 121 auf 230; Reis von 305 auf 654 (Aldmann 2008).

Laut stuffed and starved (2008) haben sich die Preise von 2007 auf 2008 um 55% erhöht, wobei der Preis für Reis besonders dramatisch gestiegen ist. Reis wiederum ist vor allem im südostasiatischen Raum das wichtigste Grundnahrungsmittel. Hinzu kommt für die armen Länder und besonders arme Haushalte, dass sie 70% ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Ihr Handlungsspielraum ist daher nicht vergleichbar mit Haushalten in Industrieländern, wo die Ausgaben für Nahrungsmittel gerade einmal 15-18 Prozent ausmachen (ebd.).

Die Dramatik wird aus einem Bericht in Africafiles ersichtlich: „Verzweifelte Frauen treffen verzweifelte Entscheidungen. Da ihre Bemühungen ihre Familien über gesammelte Produkte wie wilde Knollen, Wurzeln und Termiten zu ernähren, gescheitert sind, entscheiden sie sich zur Prostitution, um ein wenig Geld zum Kauf von Mais zu verdienen. Sie sagen, dass es immer noch besser sei, fünf oder 10 Jahre später an AIDS als jetzt an Hunger zu sterben.“ (Africafiles 2008, frei übersetzt T-K) Weiter wird aufgeführt, dass mit der Nahrungsmittelkrise z.B. in Malawi durch die Not die Konkurrenz unter den Frauen steigt. Der Beischlaf auch ohne Kondom ist jetzt zu noch niedrigeren Preisen zu bekommen.

2. Frauenarbeit zur Nahrungsmittelproduktion

Dass Frauen einen entscheidenden Beitrag zur landwirtschaftlichen Produktion – und vor allem auch zur Ernährungssicherheit bzw. zur Mahlzeitensicherheit (Teherani-Krönner 1999-2004) der Familien leisten – , ist schon seit langem bekannt. Seit der Arbeit der Agrarökonomin Ester Boserup, die bereits 1970 ihre vergleichende Untersuchung der Situation von Landfrauen in Asien, Afrika und Lateinamerika veröffentlicht hat, wurde ersichtlich, dass Frauen in der agrarischen Produktion und ländlichen Entwicklung eine Schlüsselrolle innehaben (Boserup 1982; Braig 2001). Nur die Hoffnung, dass diese Erkenntnis – das Sichtbarwerden der Frauen – auch im Mainstraem der Agrarwissenschaften ankommt, blieb und bleibt leider bis heute unerfüllt (Teherani-Krönner 2006).

In den neueren Dokumenten der FAO (Food and Agricultural Organisation – der UN Organisation für Landwirtschaft und Ernährung) wird durchaus erkannt und unterstrichen, dass weltweit Frauen allein die Hälfte der Nahrungsmittel produzieren. Der Anteil in den Entwicklungsländern liegt sogar bei 60—80 Prozent, auch wenn sie nur 10 Prozent der Kredite in der Landwirtschaft erhalten (FAO 2008, FIAN 1995).

Viele wissenschaftliche Forschungen, die in der Zwischenzeit erarbeitet wurden, befassen sich detailliert mit den Entwicklungsbeiträgen von Frauen und unterstreichen die Bedeutung der Analyse des Geschlechterarrangements und der Machtstrukturen auf lokaler und internationaler Ebene. Dies spiegelt sich in der gesamten Debatte zu WID – (Women in Development) bis GAD (Gender and Development) oder WED und GED (Women/Gender and Sustainable Environmental Development) auf dem internationalen Parkett wider und fand seinen Widerhall auf mehreren Weltfrauenkonferenzen – zuletzt in Peking 1995. Frauen und die Ernährungsfrage werden auch in internationalen Organisationen der UN, wie FAO, UNIFEM, UNDP aber auch bei IFPRI und sogar bei der Weltbank sowie einer Vielzahl von NROs wie FIAN etc. behandelt. Auch die DGH (Deutsche Gesellschaft für Humanökologie) widmete ihre Tagung 2004 dem Thema: Mahlzeitenpolitik – Neue Wege zur Ernährungssicherung. Dabei wurde der gesamte Prozess der Herstellung von Mahlzeiten mit einer Geschlechterperspektive einbezogen: von der Produktion über Vermarktung bis hin zu den zubereiteten Mahlzeiten – also über den Kochtopf bis zum Teller und zu den Essgewohnheiten (Egger/Teherani-Krönner 2004). In der Öffentlichkeit und in der Debatte zur Ernährungskrise wird im deutschsprachigen Raum die Geschlechterfrage nach wie vor vernachlässigt. Weder in der Presse, im öffentlichen Bewusstsein oder in der Politik noch in wissenschaftlichen Arbeiten wird das Thema mit der notwenigen Sorgfalt behandelt, obgleich international erkannt ist, dass Frauen konkret und sehr spezifisch betroffen sind und meist die Last der Armut und des Hungers weit schwerer zu tragen haben als die männliche Bevölkerung.

Trotz all diesen Wissens bleibt es unverständlich, warum Frauen kaum Erwähnung finden und die Ernährungskrise nicht in ihrer Geschlechterdimension erkannt wird. Wollen wir nicht hinschauen? Woran könnte es liegen?

3. Male Bias oder der männliche Blick in den Agrarwissenschaften

In der Agrarpolitik genauso wie in der Agrarökonomie, aber auch in den Debatten zur Ernährungssicherheit begegnen wir einem starken ‚male bias’ (männlich geprägte Bilder/Vorwegannahmen oder Weltanschauungen). Dies spiegelt sich auch in den Agrarwissenschaften an den Universitäten und Forschungseinrichtungen wider. In der Debatte zur Ernährungssicherheit und bei der Behandlung des Hungers in der Welt werden daher die vitalen Beiträge von Frauen meist übersehen. Wie erwähnt ist aber ‚food security’ (Ernährungssicherheit) keine geschlechtsneutrale Aufgabe.

In ihrer Arbeit: „Gender Bias: Roadblock to Sustainable Development” nimmt Jodi Jacobson vom Worldwatch Institute in Washington zentrale Thesen der Ökonomen kritisch ins Visier (Jacobson 1992). Denn konventionelle ökonomische Theorien gehen von drei Annahmen aus, die unterschwellig einen ‚gender bias‘ beinhalten:

- These 1: Wirtschaftliches Wachstum ist geschlechtsneutral, bei ökonomischem Wachstum profitieren Männer und Frauen in gleicher Weise.

- These 2: Das traditionelle, westliche Haushaltsmodell, in dem Vater, Mutter und Kinder gemeinsame Interessen verfolgen und ein einheitliches Ziel anstreben, sei auf alle Gesellschaften übertragbar.

- These 3: Innerhalb eines Haushalts sind Armut und Wohlfahrt unabhängig vom Geschlecht in gleicher Weise verteilt.

Bedauerlicherweise trifft keine dieser Annahmen zu! Fakt ist: Der Bauer ist meist eine Bäuerin – der männliche Brotverdiener eine Mär. Entwicklungskonzepte, die meist mit den zuvor genannten Thesen arbeiten, gehen daher von falschen Annahmen aus. Solche Fehleinschätzung der Situation kann nicht zu adäquaten Entwicklungsschritten führen.

Wir müssen in der Agrarpolitik zur Kenntnis zu nehmen, „dass 70 Prozent der wirtschaftlich aktiven Frauen in Niedriglohnländern im Agrarsektor beschäftigt sind. (…) Bis jetzt aber ist die internationale Antwort auf die Nahrungsmittelpreiskrise blind gewesen – was die Geschlechterfrage anbelangt. Es wurde versäumt anzuerkennen, dass Frauen landwirtschaftliche Erzeugerinnen sind. Sie sind mit spezifischen Herausforderungen und Einschränkungen konfrontiert und haben keinen Zugang zu landwirtschaftlichen Ressourcen oder Technologien“ (Cheryl Morden 2008, frei übersetzt T-K).

Hier kann ich nur ein Beispiel geben, das eng mit Innovationen im Agrarsektor verbunden ist, um aufzuzeigen, dass eben auch die ‚gut gemeinte’ Agrartechnik nicht geschlechtsneutral wirkt.

4. Agrartechnik in Männerhand

Aus der frühen Arbeit von Ester Boserup (1970/1982) erfahren wir, wie die Einfuhr von neuen Agrartechniken oft von Männern angeeignet wurde. „Mit der Einführung verbesserter landwirtschaftlicher Geräte ist weniger männliche Muskelkraft notwendig; trotzdem verstärkt sich tendenziell der Produktivitätsunterschied, weil die Männer den Gebrauch der neuen Geräte und die modernen landwirtschaftlichen Methoden monopolisieren.“ (Boserup 1982: 48)

Frauen waren und sind kaum Nutznießerinnen der neuen Techniken im Agrarsektor geworden. So wurde z.B. der Traktor eingeführt, aber eine der Arbeitsteilung entsprechende Jätmaschine, die die Arbeitsbelastung der Frauen verringern könnte, wurde noch nicht auf den Markt gebracht. Erforderlich ist somit eine geschlechtersensible Technikfolgenabschätzung im Agrarbereich und Technikentwicklung entsprechend den Bedürfnissen der Landfrauen und Bäuerinnen. Die unverändert geblieben Arbeitsbedingungen der Frauen konnten der gestiegenen Produktivität der Arbeitsgebiete der Männer nicht standhalten. Damit wird das Geschlechterarrangement verzerrt und unausgewogen, die Produktivitätsunterschiede werden größer und Frauen verlieren ihre sozioökonomische und kulturelle Anerkennung; darunter leidet ihr Ansehen in der Gesellschaft. Auch diesen Statusverlust beschreibt bereits Boserup (1970/1982) angesichts des sozialen Wandels in der Kolonialzeit und im Modernisierungsprozess. Dieser Trend hat sich leider weiter fortgesetzt (Teherani-Krönner 2000, 2005) und mit zu dem geführt, was wir jetzt im Agrarsektor weltweit vorfinden.

5. Wege aus der Krise

Die FAO-Tagung zur Ernährungskrise in Rom am 6. Juni 2008 hat zwar auf wichtige Aspekte der internationalen Verpflichtung zur Beseitigung der Hungerkrise hingewiesen, aber konkrete Schritte zur Einbeziehung der Geschlechterfrage nicht aufgegriffen (FAO newsroom 2008). Hingegen war auf der FAO-Regionalkonferenz in Kenia eine stärkere Einbeziehung von Frauen in den Forderungskatalog präsent. „Vertretungen von Frauenorganisationen, die an einer afrikanischen Regionalberatung der FAO in Nairobi teilgenommen haben, wiederholten die Erkenntnis, dass verbesserter Frauenzugang, Kontrolle und Eigentumsrecht am Land und den natürlichen und produktiven Ressourcen, ein Schlüsselfaktor zur Beseitigen des Hungers und der ländlichen Armut ist. Das ist zwar in mehreren internationalen Dokumenten formuliert worden, eine international verbindliche Vereinbarung wurde jedoch noch nicht getroffen, um die Frage des Zugangs, der Kontrolle und des Eigentumsrechts von Frauen am Land und der natürlichen und produktiven Ressourcen in Afrika zu regeln.“ (African Women's Statement on Land/Natural and Productive Resources, 25th FAO African Regional Conference [ARC], Nairobi, Kenya, June 16-20, 2008, frei übersetzt T-K)

In der Tat wird hierin die Schlüsselfrage gesehen: Wer verfügt über die Ressourcen und wem nützen sie – bzw. wer bewirtschaftet das Land?

Obwohl Frauen nach Angaben der FAO den Großteil der Landarbeit in vielen afrikanischen Ländern übernehmen, so haben sie doch bei der Umwandlung des Landes in Privateigentum keine Eigentumstitel erworben, obwohl sie zuvor Nutzungsrechte an kommunalem Land oder Gemeineigentum haben konnten.

Eine Forderung nach eigenem Zugang zu Land wird zwar seit Jahren gestellt, konnte aber bisher wenig wirksam werden. Auch dort, wo ein solches Recht de jure besteht, ist dessen Einforderung bisher wenig gelungen. Hier müssen viele kreative Wege gemeinsam mit der Bevölkerung beschritten werden. So sieht Bina Agarwal im kollektiven Zusammenschluss von Frauen, die sich gemeinsam Land kaufen oder pachten, eine größere Chance zu mehr Existenzsicherung, als dies innerhalb von Familienstrukturen zu erreichen wäre (Agarwal 2003). Solche Initiativen bedürfen der Unterstützung.

Im Juni 2008 veranstaltete das IFPRI (International Food Policy Research Institute in Washington) eine Tagung zum Thema: „Helping Women Respond to the Global Food Crisis – What We Know and What We Still Need to Know” (Hilfe für Frauen, um auf die globale Hungerkrise zu reagieren. Was wir wissen und was wir noch wissen sollten). Repräsentiert waren wichtige international wirkende Organisationen wie die Afrikaabteilung der Weltbank (Harold Alderman), das North American Liaison Office vom International Fund for Agricultural Development mit der Direktorin Cheryl Morden und der Direktor von U.S. Relations Office von World Food Programme, Michael Usnick sowie Mitarbeiter/innen von IFPRI Agnes Quisumbing von der Food, Consumption and Nutrition Division und Ruth Meinzen-Dick von der Abteilung für Umwelt und Produktionstechnologie. (IFPRI 2008)

Ruth Meinzen-Dick, die auch die Abteilung für Geschlechterfragen bei IFPRI leitet, stellte fest, dass in der aktuellen Hungerkrise und -debatte die Geschlechterdimension im Zusammenhang von Landwirtschaft, Ernährung und Hunger weltweit kaum Beachtung erfährt. Sie verweist darauf, dass „… Geschlechteranalysen im Großteil der Diskussionen zur Ernährungskrise nicht auffindbar waren. Trotz mehr als 15 Jahre Forschung zu Geschlechterfragen in der innerfamiliären Ressourcenverteilung können wir nicht nur davon ausgehen, dass Frauen und Männer unterschiedlich von der Ernährungskrise betroffen sind, sondern auch, dass sie als Produzenten und Konsumenten über sehr verschiedene Ressourcen verfügen, um auf Preissteigerungen zu reagieren. Auch wenn die Krise eine rasche Reaktion erfordert, ist das kein Grund, eine fehlgeleitete Politik zu legitimieren, die die Implikationen der Geschlechterdimension der Krise ignoriert.“ (Ruth Meinzen-Dick 2008, frei übersetzt T-K)

Doch sieht sie in der Krise auch eine Chance, die es zu nutzen gilt: „In der Tat bietet uns die Ernährungskrise eine Möglichkeit, um die Wichtigkeit der Beiträge von Frauen zur agrarischen Produktion und der Wohlfahrt der Haushalte zu unterstreichen. Denn wir wissen seit langem, dass die Geschlechterdimension die agrarische Produktivität beeinflusst. Auch sind Frauen keine passiven Opfer, sondern ein unentbehrlicher Teil zur Absicherung der Ernährungssicherheit.“ (Ruth Meinzen-Dick 2008, frei übersetzt T-K)

Cheryl Morden, Direktorin des North American Liaison Office of the International Fund for Agricultural Development, stellt fest, dass es Frauen aus überwiegend urbanen Regionen sind, die gegen die hohen Preise protestiert und damit die Aufmerksamkeit von Politikern und den Medien erlangt haben (Cheryl Morden 2008). Proteste von Frauen auf dem Land, sind – auch wenn es sie gegeben hat – nicht zu den Medien und den Nachrichtenzentren durchgedrungen.

Damit wird deutlich, dass viel Wissen zu Geschlechterfragen im Agrarbereich vorliegt, das jedoch nicht zur Kenntnis genommen wird und auch bei der Lösung der dringenden agrarpolitischen Fragen nicht zum Einsatz kommt.

6. Empfehlungen

Neben den globalen Forderungen nach Ernährungssouveränität, wie sie auch von verschiedenen NROs und nicht zuletzt von den Mitgliedern der Via Campesina (Zusammenschluss bäuerlicher Landwirtschaftsbetriebe und Landarbeiterinnen) gefordert werden, geht es um die Wiedererlangung und Verbesserung der Selbstversorgungskräfte der jeweiligen Regionen, unter ökologischen und kulturellen Gesichtspunkten. Neben den globalen Strategien zum Abbau der Abhängigkeiten sollen regionalspezifische Wege zur Ernährungssouveränität beschritten werden. Die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte hat nur auf die Förderung von Marktfrüchten (‚cash crops’) gesetzt und die ‚food crops’, die Subsistenzwirtschaft und Selbstversorgung der armen Landbevölkerung vernachlässigt, wenn nicht gar verpönt. Nicht nur diese Politik bedarf der Überprüfung, wenn geschlechtersensible Agrarpolitiken verfolgt und die Subsistenzperspektive neu bewertet wird (vgl. auch Mies 1996).

Wichtig erscheint mir, dass wir keine fertigen Rezepte fordern noch anbieten. Vielmehr geht es darum, vorhandene methodische Überlegungen und Kenntnisse zur Geschlechter-Analyse auch in der Praxis anzuwenden. Geschlechteranalysen, die in großer Zahl vorliegen, behandeln Fragen nach der Arbeitsteilung im Bereich der agrarischen Produktion und des ländlichen Lebens. Sie sind aufschlussreich, um das Zusammenspiel der Kräfte im Haushalt und Betrieb wie auch in der ländlichen Gemeinschaft zu erkennen.

Einheitliche Rezepte kann es insofern nicht geben, als die Ausgangsbedingungen regional und kulturell sehr verschieden sind. So sind in einigen Regionen Frauen nur in der Produktion von spezifischen Kulturpflanzen tätig; hier müssen kontextspezifische Lösungen gefunden werden. Anderenorts sind sie in der Tierhaltung aktiv, da können Beratung und veterinärmedizinische Dienste sowie eine Verbesserung der Vermarktungsmöglichkeiten Frauen neue Optionen bieten. Für Frauen, die bereits in Lohnarbeit stecken, wird sicher die Situation eine andere sein. Insgesamt sind soziokulturelle und sozioökonomische Geschlechteranalysen erforderlich, denn meist wird der unterschiedliche Beitrag der Haushaltsangehörigen zur Ernährungssicherung sowie des Familieneinkommens übersehen. „Solche Eingriffe können nicht uniformiert sein, vielmehr bedarf es der Berücksichtigung von spezifischen soziokulturellen Zusammenhängen, in denen sich die Geschlechterbeziehungen entfalten. Lösungen müssen angepasst werden, denn wir müssen auch wichtige Unterschiede unter Frauen, wie Alter oder Familienstand, anerkennen.“ (Agnes Quisumbing 2008 IFPRI) Sicher sind dann auch andere Konstrukte wie class und race (Klasse und Ethnizität) einzubeziehen, die in der konkreten Geschlechteranalyse zum Tragen kommen, so dass nicht von einer homogenen Gruppe von Frauen auszugehen ist.

Dazu gehört auch die Tatsache, dass es weit mehr Frauen als angenommen sind, die de facto Haushaltsvorstand sind. Sei es, dass sie verwitwet sind, dass die Männer ganz oder saisonal migriert sind, dass sie die Familie verlassen oder wenig zum Familienunterhalt beitragen.

Zentrale Aufgabe der Geschlechteranalyse und -politik ist es, darauf zu achten, dass die Balance gewahrt bleibt und das Arrangement der Geschlechter in Richtung auf Geschlechtergerechtigkeit ausbalanciert wird.

Um solche Ziele umzusetzen, bedarf es der Möglichkeiten zur Beteiligung der Betroffenen und dabei können aber auch Instrumente des Gender Budgetings sehr hilfreich werden (UNIFEM 2008, Elson 2002). Denn soweit wie möglich sollten Ausgaben – vor allem jetzt nach der Ernährungskrise 2008 im Agrarbereich – von nun an unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergerechtigkeit ausgegeben werden. Wichtig ist die Beteiligung von betroffenen Personen – vor allem auch von Frauen – in den lokalen Gremien, damit Ernährungsfragen zielorientierter behandelt und Ausgaben auf der kommunalen Ebene geschlechtersensibel budgetiert werden.

Auf der globalen Ebene könnte ein Gender Budgeting im Agrarbereich in Bezug auf Agrarsubventionen – auch im Wirkungsbereich der EU und der OECD Länder – einer Revolution gleich kommen. Das Problem des Hungers auf der Welt werden wir anders nicht in den Griff bekommen. Eine stärkere Berücksichtigung der Geschlechterdimension in der Ernährungsfrage muss Bestandteil des gesamten Prozesses der Nahrungsmittel-Debatte und Sicherheit sein. Eine solche Forderung und ihre Umsetzung sind notwendig, um endlich der Einäugigkeit – der ‚gender blindness’ (der Geschlechterblindheit) – zu begegnen.

Der Zugang bzw. eine Verbesserung der Bewirtschaftung von Boden und Wasser – darf nicht mehr nur von einem Geschlecht allein bestimmt werden. Hier sollten vor allem Frauen, die immer noch den Großteil der Versorgung der zukünftigen Generation übernehmen, stärker eingebunden werden. Wenn es um Zukunftsplanungen geht und konkrete Schritte unternommen werden, sind jene einzubinden, die mit Blick auf ihre Kinder den Morgen nicht aus den Augen verlieren. Es ist in unzähligen Studien nachgewiesen, dass Frauen, die über Einkommen verfügen, dies auch für das Wohlergehen ihrer Familien einsetzen, hingegen Männer auch andere Interessen verfolgen.

Vor allem aber scheint es mir wichtig, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die weltweite Ernährung überwiegend in Frauenhänden liegt und eine Lösung – kurzfristig wie auch langfristig – nicht ohne sie zu Stande kommen kann. Mahlzeitenpolitik wird stärker der aktiven Teilnahme von Frauen gerecht werden müssen, wenn sie die Probleme wirklich nachhaltig lösen will. Dann aber müssen die oben genannten agrarökonomischen Thesen grundlegend überholt werden. Es reicht eben nicht, nur Machtwissen über Pflanzen zu patentieren, wichtiger dürfte es sein, die Menschen in ihren Handlungsmöglichkeiten und Rationalitäten kennen zu lernen, zu verstehen und zu respektieren, um sie bei der Suche nach Lösungen im Kontext ihrer Lebenswelt zu begleiten. Ernährungskrisen werden nicht ohne direkte Teilnahme von Frauen und ohne Berücksichtigung von Geschlechteranalysen zu lösen sein. Ob Agrarwissenschaft und Agrarpolitik dafür beide Augen öffnen können, um neue Agrarpolitiken einzuleiten, wird sich zeigen.

Literatur

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Alderman, Harold 2008: Helping Women Respond to the Global Food Crisis. In: IFPRI 2008

Boserup, Ester 1982: Die ökonomische Rolle der Frau in Afrika, Asien und Lateinamerika, Stuttgart (Orig.: Women’s Role in Economic Development, London 1970)

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Meinzen-Dick, Ruth 2008: Helping Women Respond to the Global Food Crisis. What We Know and What We Still Need to Know. In: IFPRI 2008

Mies, Maria 1996: Frauen, Nahrung und globaler Handel. Eine ökofeministische Analyse zum Welternährungsgipfel in Rom, ITPS, Bielefeld

Quisumbing, Agnes R. and Lauren Pandolfelli 2008: Promising Approaches to Address the Needs of Poor Women Farmers: A solution to the food price crisis? In: IFPRI 2008

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Shiva, Vandana 1989: Das Geschlecht des Lebens. Frauen, Ökologie und Dritte Welt (Orig. Staying Alive. Women, Ecology and Development, London 1989)

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