Berichte

„Mit einem Worte, die Demokratie ist unentbehrlich"

Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz (Berlin, 16-18. 1. 2009)

März 2009

Internationale Luxemburg-Konferenzen hatten im letzten Jahrzehnt wiederholt stattgefunden (1998 in Chikago und Tampere, 1999 in Berlin, 2000 in Zürich, 2002 in Bochum, 2004 in Moskau, Johannesburg und in der chinesischen Stadt Guangzhou sowie in Bergamo, 2006 in Wuhan und 2007 in Tokio). Diesmal luden die Internationale Rosa-Luxemburg-Gesellschaft und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin zu einer Konferenz unter dem Thema „Mit einem Wort, die Demokratie ist unentbehrlich“ ein.
Heinz Vietzke, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung, konnte über 200 Teilnehmer aus vier Kontinenten (Europa, Asien, Afrika, Amerika) begrüßen. Er hob hervor, dass die politischen und ökonomischen Überzeugungen Rosa Luxemburgs in der heutigen Zeit, die durch Finanzkrisen, Börsenzusammenbrüche und wachsendes Misstrauen in die Politik bestimmt ist, besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die Konferenz solle an die Ermordung Rosa Luxemburgs vor 90 Jahren erinnern und ausloten, wie ihr Erbe für die sozialistische Linke nutzbar gemacht werden könne.
Narihiko Ito (Japan), Präsident und Begründer der seit 1980 existierenden In-ternationalen Luxemburg-Stiftung, befasste sich mit Rosa Luxemburgs Sozialismus-Konzept, das sie in Auseinandersetzung mit den historischen Verhältnissen und mit Lenins „ultrazentralistischem“ Revolutionsmodell entwickelt und vertieft habe. Der Massencharakter der proletarischen Revolution, die Er-oberung der politischen Macht von unten, Spontaneität anstatt von Zwang, uneingeschränkte breiteste Demokratie, Öffentlichkeit anstatt von Geschlossenheit, Vielfältigkeit anstatt begrenzter Eliten, soziale anstatt egoistischer Instinkte, Schöpfertum anstatt von Dekreten seien Luxemburgs Vorstellungen vom Sozialismus und vom Weg dorthin gewesen. Ihre Bemerkung, dass der Krieg den zukünftigen Sozialismus zerstöre, gelte auch für die heutigen Kriege. Weil ihr Prinzip der sozialistischen Revolution gewaltfrei war, habe sie Lenins Anerkennung des „roten Terrors“ kritisiert. Sozialismus habe für Luxemburg nicht nur die Sozialisierung der Produktionsmittel, den Wechsel der Führer (von den Ka-pitalisten zu den Sozialisten) und die grundlegende Reform des politischen, so-zialen und wirtschaftlichen Systems bedeutet, sondern die innere Revolution der Menschen selbst. Der Nachlass Rosa Luxemburgs, führte Ito abschließend aus, spiele eine wichtige Rolle (Brücke zwischen den Erfahrungen des fehlgeschlagenen Sozialismus des 20. Jahrhunderts und dem angestrebten neuen Sozialismus des 21. Jahrhunderts, da letztendlich nur durch ihn die dem kapitalistische System immanenten Krisen überwunden werden können.
Evelin Wittich, Rosa-Luxemburg-Stiftung, sprach über „Unabgegoltenes bei Rosa Luxemburg – nationale und internationale Diskussionen der Linken“. 90 Jahre nach ihrem Tode sei das Vermächtnis Rosa Luxemburgs eine besonders wichtige historische Quelle für die politische Linke, um zukunftsfähige Politik zu entwickeln. Dies gelte insbesondere für ihre basisorientierte Demokratie-auffassung, ihr Revolutions-, Politik- und Parteienverständnis, ihr Verhältnis zu Militarismus und Krieg sowie ihre ökonomischen Arbeiten.
Die international bekannte Luxemburg-Forscherin und -editorin Annelies Laschitza verdeutlichte in ihrem Referat1, wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ihre erst 1914 begonnene Zusammenarbeit unter den außergewöhnli-chen Bedingungen von Krieg und Revolution – vor allem in den Wochen der Novemberrevolution 1918/19 – fortsetzten.
Grundlegende Ausführungen zum Thema „Rosa Luxemburg und die Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus“ offerierte Michael Krätke (Universität Lan-caster, Großbritannien). Schon früh habe Luxemburg die Stagnation im mar-xistischen ökonomischen Denken beklagt. Luxemburg sei keine Anhängerin der Katastrophentheorie gewesen. Bereits 1899 habe sie diagnostiziert, dass das Endstadium der kapitalistischen Entwicklung noch lange nicht erreicht sei. Ihr besonderes Verdienst liege in der Analyse des Prozesses der Invasion und Expansion der kapitalistischen Produktionsweise in nichtkapitalistische ökonomische Räume. Diese müssten zunächst einmal gründlich transformiert werden, bevor sie für den schon entwickelten Kapitalismus der fortgeschritte-nen Industrieländer von Nutzen sein können. Dass diese „Invasion“ des Kapi-talismus mit Hilfe des Staates stattfindet, sei bis heute so. Hervorhebenswert sei, dass Rosa Luxemburg als eine der ersten die Rolle des internationalen Fi-nanzexports (vor allem des Kapitalsexports und –imports) untersucht habe. Nach Rosa Luxemburg habe der Kapitalismus seine logische und historische Grenze erreicht, wenn die kapitalistische Produktionsweise sich über die ge-samte Welt ausgebreitet habe, wenn alle Völker, alle Regionen der Erde in den Gesamtzusammenhang der kapitalistischen Weltökonomie hineingezogen, vom Weltmark dominiert werden. Das dieses Stadium historisch zum ersten Male heute annähernd erreicht sei, mache die Aktualität der Luxembur-gischen Überlegungen aus, wie auch ihr Versuch, die Auswege zu analysieren, die der kapitalistischen Produktionsweise in diesem Endstadium der „Durchkapitalisierung“ noch bleiben (wie etwa Militarisierung, die Entwick-lung einer permanenten Rüstungsindustrie, Parasitismus, die weltweite Schuldenökonomie, die Entwicklung eines internationalen Finanzkapitals).
Im Panel „Biografisches zu Rosa Luxemburg“ – von Ottokar Luban (Deutschland), Sekretär der Internationalen Luxemburg-Stiftung, moderiert sprachen Feliks Tych (Polen), Jean-Francois Favet (Schweiz), Florian Wilde und Klaus Gittinger (beide Deutschland). Tych, der seit längerem eine Leo-Jogiches-Biografie vorbereitet, erhellte die teilweise sehr engen, aber auch konfliktreichen Beziehungen zwischen Luxemburg und Jogiches, vor allem ihre wech-selseitige Beeinflussung und ihre Differenzen in der Revolutionszeit 1918/19. Fayet umriß die zuweilen distanzierte Haltung Luxemburgs zum nach Deutschland entsandten „Kommissar“ der Bolschewiki Karl Radek. Wilde stellte Ernst Meyer, Weggefährte Rosa Luxemburgs im Ersten Weltkrieg, vor und ging besonders auf dessen Kampf um Luxemburgs Erbe in der KPD ein. Gittinger enthüllte die politischen Hintergründe der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts
Im Panel „Rosa Luxemburg und die Demokratie“ – moderiert von Cornelia Dommaschke (Deutschland) – befasste sich Tanja Storlokken (Norwegen) mit Luxemburgs Demokratievorstellungen unter besondere Berücksichtigung ih-rer unvollendeten Gefängnisschrift vom Herbst 1918 „Die Russische Revolution“. Sergej Kretinin (Rußland) und Wang Xuedong (China) arbeiteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Demokratiekonzepten von Rosa Luxemburg und Lenin bzw. von Luxemburg und Mao heraus. Jörn Schütrumpf (Deutschland) stellte Paul Levi als Verteidiger des demokratischen Sozialis-mus Rosa Luxemburgs vor.
Den ersten Konferenztag beendete eine von Alfred Eichhorn (Deutschland) moderierte Podiumsdiskussion „Rosa Luxemburg heute – drei Perspektiven“ und der Luxemburg-Film der Regisseurin Margaretha von Trotta. Annelies Laschitza, die schweizerische Schriftstellerin Ingeborg Kaiser (Autorin von „Róza und die Wölfe. Biografische Recherchen zu Rosa Luxemburg“) und die Europaparlaments-Abgeordnete Sahra Wagenknecht (Deutschland), schilderten kenntnisreich und sehr emotional, wie sie sich auf sehr verschiedenen Wegen die faszinierende Persönlichkeit und das ideenträchtige Werk Rosa Luxemburgs erschlossen hatten.
Der zweite Konferenztag begann mit der Vorstellung von Pekinger Umfrageergebnisse zum Wissen über Rosa Luxemburg durch Zhang Wenhong (China). Schauspieler des Berliner Grips-Theaters stellten Szenen aus dem Stück „Rosa“ von Franziska Steif und Volker Ludwig vor; Schülerinnen und Schüler von zwei Berliner Gymnasien berichteten in einer Gesprächsrunde über ihr Verhältnis zu Rosa Luxemburg (sie hatten vordem selbst Luxemburg-Texte dargeboten).
In einem dritten, von Wladislaw Hedeler (Deutschland) moderierten Panel „Rosa Luxemburg aus internationaler Perspektive“ erörterte Jakow Drabkin (Russland) das Thema „Rosa Luxemburg und die Probleme der Gründung der Kommunistischen Internationale“. Er forderte die Historiker zu einer differen-zierteren und ausgewogeneren Einschätzung des Verhältnisses Luxemburg-Lenin-Komintern auf. In seinem Heimatland gebe es so gut wie keine Aufar-beitung des Nachlasses, der Ideen Rosa Luxemburgs, da es dort heutzutage „unmodern“ sei, Marxist, Kommunist oder Revolutionär zu sein. Da Rosa Luxemburg diese Dreieinigkeit ihrerseits bestens verkörpert habe, lohne es sich, bei jedem Disput unter den Linken über die Wechselwirkungen von Gegen-sätzen wie zum Beispiel Revolution-Reform, Demokratie-Diktatur, Freiheit-Gewalt, Individium-Masse, Spontaneität-Organisation sowie Kapitalismus-Sozialismus zunächst Rosa Luxemburg zu befragen. Isabel Loureiro (Brasi-lien) schilderte die Aktualität Luxemburgischer Ideen in Lateinamerika am Beispiel ihres Landes. Sie informierte über die Realisierung des Dokumentarfilmes „Die Blume der Revolution (über Rosa Luxemburg)“, in dem die revolutionäre, sozialistische und demokratische Rosa Luxemburg in der ganzen Vielfältigkeit ihres antidogmatischen und freiheitlichen Sozialismus gezeigt werde. Zhang Wenhong betrachtete das heutige Tibetproblem unter Berücksichtigung von Luxemburgs Herangehen an die Frage der nationalen Autonomie.
Im vierten Panel spielten Rosa Luxemburgs Überlegungen zu Ökonomie und Politik eine Rolle. Dogan Göcmen (Türkei) wandte sich speziell dem Begriff des Politischen bei Rosa Luxemburg in Auseinandersetzung mit Carl Schmitts Begriff des Politischen zu. He Ping (China) befasste sich mit Luxemburgs ökonomischer Theorie und Sobhanlal Datta Gupta (Indien) filterte aus Luxemburgs Briefen deren Vision von Demokratie und Sozialismus heraus. Kaum jemand, der Rosa Luxemburg achte und kennen lernen wolle, konsta-tierte er, könne sich der Faszination entziehen, die von ihren Briefen und Korrespondenzen ausgehe.
Insgesamt konnten die Veranstalter ein recht positives Fazit der Konferenz ziehen. Sie habe gezeigt, dass die Linken der Gegenwart bei der Diskussion ihrer zentralen Probleme bei Rosa Luxemburg entscheidende Impulse finden und dass Luxemburgs Ideen in vielen Ländern der Welt nach wie vor nachhaltigen Interesse entgegengebracht wird.

1 „Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in den Wochen der Revolution“, abgedruckt im vorliegenden Heft, S. 23-39 (Anm. d. Red.).