Berichte

Das rote Berlin – Arbeiterwiderstand gegen das Naziregime

Tagung der Berliner VVN-BdA in Kooperation mit dem Berliner Bildungsverein Helle Panke und der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte. Berlin, 26./27. Juli 2009

September 2009

Es war eine verdienstvolle Initiative der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen im Juni/Juli 2009 den Berliner den Widerstand aus der Arbeiterbewegung und dem sie umgebenden Milieu gegen die NS-Diktatur zu würdigen und ihn einer breiteren Öffentlichkeit ins Gedächtnis zu rufen.

Zum Veranstaltungstableau gehörten neben der hier ausführlicher besprochenen wissenschaftlichen Tagung „Das rote Berlin. Arbeiterwiderstand gegen das Nazi-Regime“ die Ausstellung Berliner Arbeiterwiderstand 1942-1945. „Weg mit Hitler – Schluß mit dem Krieg!“ Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation – der sehr informative Ausstellungskatalog wurde mit einem Grußwort des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer eingeleitet – sowie weitere spezielle Veranstaltungen zum Gedenken an WiderstandskämpferInnen dieser Gruppe (u.a. an die von den Nazis ermordeten oder in der Haft verstorbenen Frauen und Männer, die erst jüngst mit einem Stolperstein geehrt wurden).

Zu den zahlreichen Teilnehmern der hier besprochenen Konferenz gehörten auch die Töchter von ermordeten Widerstandskämpfern Anette Neumann, Bärbel-Schindler-Saefkow (beider Berlin) und Susanne Rivales (Baltimore). Als Macherinnen der erwähnten Wanderausstellung und Initiatorinnen vielfältiger anderer Aktivitäten trugen sie maßgeblich dazu bei, den Berliner Arbeiterwiderstand in den öffentlichen Raum zu tragen.

Der erste Tag der Konferenz blieb dem Podiumsgespräch „Arbeiterwiderstand – ein Desiderat der Widerstandsforschung?“ vorbehalten, moderiert von Heiner Wörmann. Ihm zur Seite standen mit Hans Coppi (Vorsitzender der Berliner VVN-BdA), Stefan Heinz (Freie Universität Berlin, Forschungsbereich nationale und internationale Gewerkschaftspolitik), Rüdiger Lötzer (IG Metall Berlin), Gisela Notz (freie Historikerin) und Johannes Tuchel (Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Berliner Stauffenbergstraße) weitere mit der Widerstandsproblematik sehr vertraute Kolleginnen und Kollegen. Übereinstimmend machten sie immer wieder auf die große Diskrepanz aufmerksam, die zwischen den bemerkenswerten Veröffentlichungen gerade auch zum Berliner Arbeiterwiderstand und ihrem sehr geringen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit bestehe. In diesem Zusammenhang verwiesen die Diskutanten vor allem auf die Publikationen von Hans-Rainer Sandvoß (Die „andere Reichshauptstadt“. Widerstand aus der Arbeiterbewegung von 1933 bis 1945) und Ursel Hochmuth (Illegale KPD und Bewegung „Freies Deutschland“ in Berlin und Brandenburg 1942 – 1945. Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Reihe A. Analysen und Darstellungen, hrsg. von Peter Steinbach und Johannes Tuchel, Bd. 4) sowie die 12-bändige Veröffentlichung „Widerstand in Berlin gegen das NS-Regime 1933 bis 1945. Ein biographisches Lexikon“, hrsg. von der Geschichtswerkstatt der Berliner Vereinigung ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener (BV VdN) unter der Leitung von Hans-Joachim Fieber. Wenn vom Widerstand die Rede ist, erführen die Kinder und Jugendlichen in den Schulbüchern nur etwas zur Verschwörung des „20. Juli“ und zur Gruppe Weiße Rose. Auch an Universitäten und Hochschulen sei der Arbeiterwiderstand – wie überhaupt die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung – kaum Bestandteil von Forschung und Lehre. Um die unverzichtbare Erinnerungskultur an den Widerstand von Arbeiterinnnen und Arbeitern lebendig zu halten, seien eine viel stärkere Verbreitung der vorliegenden Forschungsergebnisse und die Intensivierung der Widerstandsforschung erforderlich. Dafür böten auch die umfangreichen Archivquellen – in den neuen Bundesländern seit zwei Jahrzehnten allen zugänglich – eine recht gute Grundlage.

Der zweite Konferenztag – vornehmlich von Elke Reuter geleitet – war den unterschiedlichen Widerstandsfacetten gewidmet. Die Vorträge der HistorikerInnen betonten die Zivilcourage der Menschen, die sich gegen das faschistische Regime und den Vernichtungskrieg, gegen Unrecht, Intoleranz, Antisemitismus und Menschenverachtung auflehnten. Zwei Beiträge befassten sich mit dem gewerkschaftlichen Widerstand. Marion Goers zeigte anhand politischer Biografien, dass der Berliner Widerstand aus den Reihen des freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV) – der Verband war vor 1933 die weltweit größte Gewerkschaft – vielfältig war und bis 1945 andauerte. Durch ein weit reichendes Kontakt- und Informationsnetz haben sowohl zu Berliner Metallbetrieben als auch über den DMV und über die Reichshauptstadt hinaus Verbindungen bestanden. St. Heinz verdeutlichte – gestützt auf seine aktuellen Untersuchungen –, wie der der KPD nahestehende Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins (EVMB) nach dessen Verbot Ende Februar 1933 bemüht war, die Aktivitäten der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) – ihr gehörte der EMVB vor 1933 an - auch unter den Bedingungen der Illegalität aufrechtzuerhalten und dabei bis zu 1.000 Mitglieder einbezog. 1934/35 kam es zur Auflösung dieser bedeutenden gewerkschaftlichen Widerstandsstruktur.

Das nächste Konferenzpanel nahm sich des Widerstandes in der Kriegszeit an. Henrik Wiepert stellte die Ziele und Aktionen der Widerstandsorganisation um Robert Uhrig vor, die Verbindungen mit deutschen Großstädten und mit dem Ausland unterhielt und der vor allem kommunistisch, sozialdemokratisch und gewerkschaftlich organisierte Arbeiter und Arbeiterinnen angehörten. Nach neuesten Forschungen seien 260 Mitglieder – also 80 mehr als bisher – ermittelt worden. A. Neumann und B. Schindler-Saefkow beleuchteten in ihrem Beitrag die Neuorganisation im kommunistischen Widerstand 1943/44 am Beispiel der Saefkow-Bästlein-Organisation, mit über 500 Männern und Frauen eine der größten Widerstandsorganisationen in der Endzeit des Naziregimes. Sie war eine weit verzweigte Organisation mit Kontakten zu WiderständlerInnen in über 70 Berliner Betrieben, in anderen deutschen Städten und im Ausland. Besondere Aufmerksamkeit schenkten beide einem im Umfeld des „20. Juli“ einzigartigen Vorgang, der Begegnung der Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein mit den Kommunisten Saefkow und Jacob (mit Billigung Stauffenbergs), um Möglichkeiten für ein Zusammengehen im Kampf gegen die Nazidiktatur auszuloten. H.-R. Sandvoß kennzeichnete – aus seinen jahrelangen Forschungen schöpfend – die Spezifik des Widerstandes sozialdemokratischer Provenienz. Er berichtete u. a. über Kontakte zu antifaschistischen Arbeitern mit Hilfe von DMV-Kadern, über das informelle Verbindungsnetz unter gesinnungstreuen Parteifunktionären sowie über das Bündnis mit bürgerlich-militärischen NS-Gegnern über den Kreisauer und den Goerdeler Kreis.

Die Tagung wurde mit zwei Workshops beendet. Im von Andreas Graf geleiteten Workshop zum Widerstand von Trotzkisten, Anarchisten, oppositionellen Kommunisten und Sozialisten – in kleineren Gruppen organisiert, vermochten sie mit starkem individuellen Engagement ihre illegalen Strukturen oft über einen längeren Zeitraum zu bewahren – traten Knut Bergbauer, Robert Keim, Benjamin Rostalski und Sven Schneider mit Beiträgen auf. Im Workshop Widerstand von und mit Zwangsarbeitern erörterten die Teilnehmer auf der Grundlage von Statements von Thomas Irmer, Cord Pagenstecher und Gisela Wenzel das Protestverhalten von Zwangsarbeitern, die Solidarität von Hitlergegnern mit ausländischen Arbeitern sowie deren Einbeziehung in oppositionelle Aktivitäten.

Insgesamt erbrachte die Konferenz, die auch von einer intensiven und gehaltvollen Diskussion geprägt war, neue Forschungsergebnisse zur Breite und Vielfalt des mutigen Arbeiterwiderstandes gegen das NS-Regime nicht nur in dessen Zentrum. Stärker im Blickfeld als allgemein üblich stand die Herausarbeitung der nicht zu unterschätzenden Rolle der Frauen im Widerstand. Nicht wenige WiderständlerInnen wurden dem Vergessen entrissen und dabei deren Opferbereitschaft, Menschlichkeit und Solidarität – auch mit Juden – eindrucksvoll vor Augen geführt. Erfreulicherweise trugen auch eine Reihe Studierende des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin ihre Arbeitsergebnisse vor, ein hoffnungsvolles Zeichen, dass der Staffelstab in der Forschung – für sie gab die Tagung kräftige Impulse – und Erinnerung weitergereicht werden kann. Eine Veröffentlichung der Konferenzbeiträge wird vorbereitet.