Editorial

März 2013

Das „Kommunistische Manifest“ ist ein historisches Dokument im doppelten Sinne: ein durch den geschichtlichen Stand seiner Entstehungszeit geprägtes Dokument und ein geschichtsmächtiges Dokument, das seinerseits die Gesellschaftsgeschichte nachhaltig geprägt hat. Wolfgang Abendroth schrieb anlässlich des 125. Jahrestages: „Kann man sich ohne das Manifest den Aufstieg der internationalen Sozialdemokratie … vorstellen? Wäre der Oktober 1917 ohne das Kommunistische Manifest denkbar?“ (Deutsche Volkszeitung, 15. März 1973). Eric Hobsbawm konstatierte 1998: Die Welt, die Marx und Engels im Manifest beschrieben haben, ist „unübersehbar die Welt, in der wir 150 Jahre später leben“ (Frankfurter Rundschau, 14. Februar 1998).

Marx und Engels selbst hatten das Manifest im „Vorwort“ von 1872 im gleichen Sinne als ein „geschichtliches Dokument“ behandelt: Angesichts der Dynamik der kapitalistischen Entwicklung und der Erfahrungen der sozialistischen Bewegung sei es „stellenweise veraltet“. Aber zugleich stellten sie fest: „Wie sehr sich auch die Verhältnisse … geändert haben, die in diesem Mani-fest entwickelten allgemeinen Grundsätze behalten im Ganzen und Großen auch heute noch ihre volle Richtigkeit“. Die großen Jahrestage seines Erscheinens sind Gelegenheit, sich der Geschichte und Aktualität dieser wichtigsten Programmschrift des Marxismus zu versichern (vgl. Z 33, 150 Jahre Kommunistisches Manifest, März 1998).
Das Manifest wird weithin mit den Namen von Marx assoziiert. Eike Kopf fragt nach dem Anteil von Engels. Er verweist auf beider enge Zusammenarbeit und ständigen Kontakt in der Zeit der Entstehung des Manifests. Engels verfasste 1847 die dem Manifest vorausgehenden Dokumente (Entwurf des „Kommunistischen Glaubensbekenntnisses“, „Grundsätze des Kommunismus“); seine Idee war es, auf die Katechismus-Form zu verzichten. Kopf führt eine Vielzahl von Formulierungen im Manifest an, die sich in Engels Schriften seit der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845) bis ins Details nachweisen lassen.
Der Entwurf des „Kommunistischen Glaubensbekenntnisses“ von Engels aus dem Jahr 1847, der zu den unmittelbaren Vorarbeiten des Manifests gehört, wurde erstmals 1969 veröffentlicht. Er findet sich aber nicht in der MEW (Bd. 4 mit den Schriften von 1846-1848 erschien schon 1959) und noch nicht in der MEGA2. Wir dokumentieren ihn auf den Seiten 22-27.
Mit dem Formationsbegriff diskutiert Wolfgang Küttler ein klassisches Konzept marxistischer Geschichtstheorie. Der Kapitalismus erscheint in Küttlers Rekonstruktion als „Großformation“, innerhalb derer sich historisch dynamische Entwicklungen vollzogen und auch heute noch vollziehen. Küttler geht aus von der Diskrepanz zwischen der hochaktuellen Kritik des Kapitalismus im Manifest und dem Scheitern der bisherigen Ansätze seiner Überwindung – die „große Herausforderung für marxistisches Denken in der Gegenwart“. Er referiert die Entwicklung der Formationstheorie bei Marx und Engels und der sich im Anschluss an sie im 20. Jahrhundert stellenden revolutionstheoretischen Fragen. Insbesondere erscheinen in dieser Perspektive die Revolutionen des 20. Jahrhunderts nicht als eigenständiger Revolutionszyklus des Übergangs zu einer neuen sozialistischen Formation, sondern als Teile des neuzeitlichen Revolutionszyklus selbst. Diese Sicht birgt auch politische Implikationen einer politischen Strategie, die sich nicht mehr als Orientierung „auf letzte Gefechte“ verstehen könne.
In die Bewegungsgesetze des Kapitals ist immer auch (politische) Macht ein-geschrieben. In Auseinandersetzung mit existierenden Ansätzen zur Theorie der Macht und des Staates im Umfeld des Marxismus – die er für unzureichend hält – verweist Mohssen Massarrat auf die Bedeutung dieser Kategorie für das Verständnis konkreter „historischer“ kapitalistischer Gesellschaften.

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Entwicklung und Krise des „Eurokapitalismus“ sind Gegenstand von drei Beiträgen, mit denen wir die Analysen zur Euro-Krise fortsetzen. Jürgen Leibiger bietet in seiner Darstellung der Entwicklung der EU bis zur jüngsten Eurokrise wichtige Ansatzpunkte für eine Überprüfung der bisherigen linken Positionen zum europäischen Integrationsprozess. Letzten Endes zeigt sich, dass die Linke bislang meist nur auf politische Entwicklungen reagiert hat, dass sie kein eigenes europäisches „Projekt“ besitzt. Notwendig sei es daher, in der Zukunft eigene Vorstellungen von einem progressiven europäischen Einigungsprozess zu entwickeln. Kees van der Pijl und Otto Holman untersuchen transnationale Kapitalverflechtungen und die Stellung des deutschen Kapitals in der EU. Sie vertreten die These, dass das deutsche Kapital im Zuge der europäischen Integration eine Vorrangstellung in Europa (zurück-)gewonnen hat, die es mit dem zweiten Weltkrieg verloren hatte. Für diesen Prozess spielten u.a. die Wiedervereinigung, die Auflösung der „Deutschland AG“ und die verstärkte euro-atlantische Transnationalisierung des deutschen Kapitals eine wesentliche Rolle.
Eine Weichenstellung für die europäische Integration stellte der Marshall-Plan dar, der vor 65 Jahren, im April 1948, vom US-Kongress verabschiedet wurde. Bis heute wird dem Plan eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der westdeutschen und westeuropäischen Wirtschaft attestiert. Dieses positive Image des Marshall-Plans wird selbst in aktuellen politischen Initiativen immer noch sichtbar wie dem Konzept der europäischen Gewerkschaften für ein europäisches Zukunftsprogramm zur Überwindung der Eurokrise, das als „Marshall-Plan für Europa“ daherkommt. Wir nehmen das zum Anlass, einen Auszug aus einer 1948 veröffentlichten Broschüre von Josef Schleifstein nachzudrucken. Er zeigt, dass der Marshall-Plan Teil einer strategischen Neu-bestimmung in der Zeit der Herausbildung des Kalten Krieges war, in der die USA ihre hegemonialen ökonomischen und politischen Interessen gegenüber Europa neu definierten.

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Weitere Beiträge: Um „Soziologie und intellektuelles Engagement“ geht es in einem Gespräch, das Claudia Krieg mit dem Soziologen, Politikwissenschaftler und Germanisten Lothar Peter führte. Peter erläutert die Bedeutung der marxistischen Theorie für seine intellektuelle Arbeit und sein politisches Engagement seit den 1960er Jahren, reflektiert das Verhältnis von Marxismus und Soziologie und spricht über seine Erfahrungen damit, notwendige politische Veränderungen auch in der eigenen Lebensweise sichtbar werden zu lassen.
Der Rekonstruktion einer materialistischen Dialektik durch den Philosophen Hans Heinz Holz widmet sich der Beitrag Jörg Zimmers. Zimmer zeichnet insbesondere die von Holz stets vertretene Transformation der Metaphysik nach und zeigt, wie in seiner Konzeption von Dialektik der Spiegelmetapher die zentrale Rolle eines „Strukturmodells von Seinsverhältnissen“ zukommt. Holz spricht somit von Widerspiegelung nicht im Sinne erkenntnistheoretisch gefasster Abbildungen, sondern in „einem strengen ontologischen Sinn“.
Am Beispiel der Occupy-Bewegung, insbesondere der Blockupy-Aktionen 2012 in Frankfurt am Main, setzt sich Elke Steven kritisch mit den vielfältigen Bestrebungen von staatlicher Seite auseinander, das Versammlungsrecht einzuschränken und unterstreicht den hohen Stellenwert dieses Grundrechts als „Luftröhre der Demokratie“. Denkrichtungen kritischer Auseinandersetzung mit autoritären Tendenzen im Sozialismus beschreibt Jörg Wollenberg im zweiten Teil seines Beitrags „Basisdemokratie und Arbeiterbewegung“ (Teil I erschien in Z 92). Im für die Geschichte der Arbeiterbewegung zentralen Konflikt zwischen Basisdemokratie und Zentralismus würdigt er – bezogen auf die Zeit zwischen 1945 bis in die 1980er Jahre – das langjährige Wirken der in der Tradition Rosa Luxemburgs stehenden Linksozialisten wie Walter Fabian u. a..
Der ökonomische Aufstieg der Länder der bisherigen Peripherie im kapitalistischen Weltsystem wird mit Recht viel diskutiert. Wenig Aufmerksamkeit wird dabei den sozialen Auseinandersetzungen geschenkt, letzten Endes dem dynamischsten Element dieser Gesellschaften. Am Beispiel einer konkreten Auseinandersetzung im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca von 2006 zeigt Robert Swoboda, dass deren Entfaltung nur aus dem jeweiligen historischen und kulturellen Kontext verstanden werden kann.

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Mit Wirkung zum März d.J. müssen wir die Bezugspreise für Z – wenn auch moderat – anheben. Wir reagieren damit auf die erhöhten Preise für den Postvertrieb. Die Abonnementspreise betragen in Zukunft 35,- Euro (ermäßigt: 28,- Euro) für das Inland und 43.- bzw. 36.- Euro für das Ausland.
Z 94 (Juni 2013) wird sich mit Fragen von Rüstung und Militarisierung befassen.