Eurokapitalismus

Was ist der Marshall-Plan?

von J. Schopp (i.e. Josef Schleifstein)
März 2013

Im April 1948, vor 65 Jahren, wurde der Marshall-Plan („European Recovery Program“, ERP) vom US-Kongress verabschiedet. Dem Marshall-Plan wird weithin eine wichtige Rolle bei der Rekonstruktion der westdeutschen und westeuropäischen Wirtschaft attestiert. Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser nannte ihn dagegen „einen großen PR-Erfolg“. Er schrieb unter anderem: „Der Marshall-Plan trug nur wenig direkt zum Wachstum bei. Die Marshall-Plan-Güter waren zu teuer, entsprachen oft nicht den Bedürfnissen der Industrie und kamen zu spät. (…) Viele glauben, es seien Millionen geflossen. Das ist ein großer Irrtum, es kam kein einziger Dollar. Die Amerikaner lieferten Waren: zu einem Großteil Baumwolle, Tabak und Nahrungsmittel. Sie richteten ihre Lieferungen an den Exportwünschen ihrer Wirtschaft aus, und die Deutschen bezahlten dafür. (…) Er war ein sehr erfolgreiches Instrument der USA, Westeuropa gegen den Ostblock zu stabilisieren. Und in ihm manifestierte sich der Richtungswechsel in der Deutschland-Politik der Amerikaner…“[1]

Diese Argumente findet man auch in einer im Oktober 1948 vom (damals in Frankfurt am Main ansässigen) Parteivorstand der KPD herausgegebenen Broschüre „Was ist der Marshall-Plan?“. Ihr Verfasser war Josef Schleifstein, der sie unter seinem damaligen Presse-Pseudonym J. Schopp veröffentlichte.[2] Schleifstein war zwei Jahre vorher, im Oktober 1947, aus dem britischen Exil zurückgekehrt. Als Journalist (stellv. Chefredakteur der KPD-Bezirkszeitung „Volksstimme“ in Köln) nahm er u.a. Ende 1947 an der Londoner Außenministerkonferenz teil und veröffentlichte Berichte und Kommentare zur Außenpolitik. Er übernahm dann im Juni 1948 die Leitung der Presse- und Schulungsabteilung beim KPD-Parteivorstand. Die Marshall-Plan-Broschüre war die erste größere Arbeit, die in dieser Funktion entstand.

Die Broschüre (64 Druckseiten, Aufl. lt. Impressum 50 Tsd.) entwickelt Darstellung und Kritik des Marshall-Plans auf der Grundlage der britischen und US-Presse und lässt dabei den Gegner ausführlich als Zeugen zu Wort kommen. Sie gliedert sich in fünf Kapitel: I. Ursprung und Anfänge; II. Der amerikanische Hintergrund; III. Wie die Hilfe aussehen soll; IV. Dollars – aber um welchen Preis!; V. Das ganze Deutschland – oder der Marshall-Plan? Der nachstehende Auszug ist dem Kap. IV entnommen (S. 26-38). Die Broschüre kann vollständig eingesehen werden unter www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de

(Anm. d. Red.)

(…)

IV. Dollars – aber um welchen Preis!

Wir kommen nun zu dem Preis, der für diese Lieferungen gezahlt werden soll. Was die finanzielle Seite der Sache angeht, so soll ein bestimmter Teil als Geschenk[,] oder wie es in der offiziellen Verlautbarung weit sinnvoller hieß, als „grant“, was so viel bedeutet wie Bewilligung, gegeben werden. Wobei die Zahlungsfähigkeit, und sicherlich auch die Stärke der Kommunistischen Parteien der einzelnen Länder über die Höhe der „Bewilligungen“ entscheiden. Das übrige soll zurückgezahlt werden. Der stellvertretende USA-Staatssekretär Thorpe erklärte am 24. 1. 1948,

die Hilfe solle die Form von Anleihen annehmen, wo immer die begründete Aussicht bestehe, daß die Fähigkeit vorhanden ist, sie zurückzuzahlen.

Aber Geschenke verpflichten und zwar weit mehr als Anleihen. Es handelt sich beim Marshall-Plan eben nicht um einen gewöhnlichen kaufmännischen Kredit, um – wie Präsident Truman gesagt hat – „mehr als eine kommerzielle Maßnahme“. Der Marshall-Plan ist zugleich ein wichtiges Stück der amerikanischen Wirtschaftspolitik und der amerikanischen Politik überhaupt. Und der Preis, den Europa zu zahlen haben wird, ist weiß Gott nicht gering. Es gehört zum Marshall-Plan seit seiner Entstehung, daß niemand je in der Lage ist oder war, genau zu sagen, was er nun eigentlich beinhaltet und was er nicht beinhaltet. Ebenso wie heute noch kein Mensch sagen kann, ob er sein erstes Jahr überleben wird, wissen die Empfänger heute noch nicht, wie die Bedingungen im einzelnen interpretiert werden, die sie in den zweiseitigen Verträgen mit den USA unterzeichnet haben und die darin nur in allgemeinster Form enthalten sind.

Die Unterzeichnung dieser zweiseitigen Verträge hat eine interessante Vorgeschichte. Lange Zeit taten die amtlichen und nichtamtlichen Apostel des Marshall-Planes in Europa so, als ob schon die Feststellung seiner Gegner, die USA würden einschneidende Bedingungen daran knüpfen, einer böswilligen Verleumdung gleichkäme. Das änderte sich plötzlich als es ernst wurde; und die Stunde nahte, da die Unterschrift unter die zweiseitigen Verträge gesetzt werden sollte (andernfalls die Lieferungen gestoppt würden). Auf einmal hatten die Kommunisten recht und es gab doch Bedingungen!

Es ist bestimmt nie schärfer über den Plan geurteilt worden, als es seine ergebensten westeuropäischen Jünger in diesen Wochen taten. Die Vertreter der westeuropäischen Länder bemühten sich, wenigstens den Text der formalen Abkommen so zu mildem, daß ihre Völker nicht das Spiel durchschauten. Man konnte doch unmöglich zugeben, daß die Prophezeiungen Molotows über den Verlust der Unabhängigkeit der Marshall-Länder in Erfüllung gegangen waren.

So geschah es, daß beispielsweise der Londoner „Economist“, der kaum sechs Wochen zuvor den Plan als den „uneigennützigsten Akt“ der Weltgeschichte gefeiert hatte, zu diesem Verdammungsurteil kam:·

„Wenn es einfach eine Angelegenheit eines Konflikts wäre zwischen dem, was die Amerikaner und dem, was die Europäer tun wollen, dann könnte es genügen, mit den Achseln zu zucken und zu sagen, daß Bettler nicht wählerisch sein können. Was so qualvoll [ist] für Europäer ist dies – daß sie sehen müssen, wie die Großzügigkeit der helfendem Hand wertlos gemacht und ihre Absichten vereitelt werden durch Bedingungen, die den Zeitpunkt hinausschieben, da Europa wieder auf eigenen Füßen stehen kann.“

(The Economist, 19. 6. 1948.)

Gemäß der noch schwierigeren Lage der herrschenden Kreise Frankreichs, mit einer starken kommunistischen Partei im Lande, wurde die dem französischen Außenministerium nahestehende Pariser Zeitung „Le Monde“·noch um einen Grad deutlicher:

„Die schwierigen Verhandlungen, die schon seit Wochen im Gange sind, bestätigen, daß die Anwendung des Marshall-Planes Fragen der nationalen Souveränität aufwirft, die die interessierten Länder ernsthaft schädigen können. (Das hatte Molotow ein Jahr vorher gesagt, d. Verf.) Es handelt sich nicht so sehr um das Prestige als darum, ob es der amerikanischen Wirtschaft und der amerikanischen Finanz gelingen wird, durch die Hilfe, die sie Europa gewähren, in diesem Teil der Welt Stellungen einzunehmen, die seine Unabhängigkeit bedrohen und seinem Handel und seiner Industrie Konkurrenz machen werden … Soll Westeuropa sich nur als eine Filiale von Amerika organisieren, anstatt die große selbständige Kraft zu sein, die man erhofft hatte?“

(Le Monde, 23. 6. 1948.)

„Bedrohte Unabhängigkeit“, „Konkurrenz für Industrie und Handel“, „Filiale von Amerika“ – ist das nicht genau das, was die Kommunisten dem Marshall­Plan vorwerfen? Diese aggressiven Anschuldigungen in solch einflußreichen Organen wie „Economist“ und „Le Monde“ verdanken wir nicht der urplötzlichen Erkenntnis, daß die Kommunisten schon immer im Rechte waren in ihrer Beurteilung des Marshall-Unternehmens. Sie sollten einfach dazu dienen – heute feiern „Economist“ und „Le Monde“ den Marshall-Plan wieder wie ehedem – eine Milderung der ursprünglichen amerikanischen Fassung der Verträge zu erreichen.

Dieser Versuch ist jedoch mißglückt, darüber können auch alle nachträglichen Beschwichtigungen nicht hinwegtäuschen. Der Sache nach haben die amerikanischen Verhandlungspartner nirgends nachgegeben. Alle Bedingungen, die der Gesetzesakt des Kongresses festgelegt hat, wurden in die Verträge aufgenommen. Nur ist der Wortlaut so allgemein und unscharf gehalten, daß es überall auf die bekannte Interpretation ankommen wird. Aber weiß nicht schon heute jeder, wer die „richtige“ Auslegung auf seiner Seite haben wird? Wir wollen uns deshalb bei der Beantwortung der Frage, die die britische Labour-Zeitschrift „New Statesman and Nation“ in jenen Wochen der Verhandlungen stellte – „Können wir uns die Marshall-Hilfe leisten?“ – nicht an diese zweiseitigen Verträge halten, sondern an den vom Kongreß verabschiedeten Gesetzesakt selbst, der diesen Verträgen zugrunde liegt.

Die gesetzliche Grundlage des Planes

Sehen wir uns an, was dieses verläßlichste Dokument über den Marshall-Plan das „Auslandshilfsgesetz 1948“ (Foreign Assistance Act of 1948) zu sagen hat. Es zerfällt in vier Teile, deren erster dem Marshall-Plan gewidmet ist, während die anderen u. a. die Hilfe für Griechenland, die Türkei und China behandeln. Das dem Marshall-Plan gewidmete Gesetz heißt „Akt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit 1948“, (Economic Co-operation Act of 1948.) Wir folgen hier einer Darstellung, die der unabhängige britische Arbeiterabgeordnete D. N. Pritt im „Labour Monthly“ gegeben hat.

Gleich eingangs ist von der Förderung des „allgemeinen Wohlstands, des nationalen Interesses und der Außenpolitik der USA“ die Rede. Dann wird u. a. erklärt, es sei notwendig, gerechte Wechselkurse zu schaffen und die Handelsbarrieren mehr und mehr auszumerzen. Dem Verwalter des Planes, also Mr. Hoffman, wird das Recht erteilt, die Bedürfnisse der einzelnen Länder festzulegen, die Hilfsprogramme aufzustellen und die Hilfe zu beenden. Aber, heißt es ausdrücklich,

nichts soll geschehen, „was nicht vereinbar ist mit der Außenpolitik der USA“.

Es wird weiter festgelegt, daß in jedem Empfängerland amerikanische Missionen eingerichtet werden, die die Aufgabe haben, die Durchführung der von ihnen übernommenen Verpflichtungen zu sichern. Auch die humoristische Note fehlt nicht. Es wird feierlichst bestimmt, daß kein Mitglied dieser Mission jemals in einer Organisation gewesen sein darf, die sich „gegenüber den USA, ihrer Verfassung und Regierungsform“ nicht loyal verhält. Jeder Angestellte muß vor den Bundes-Untersuchungsbehörden (F.B.I.) auf seine Loyalität und Sicherheit hin geprüft worden sein.

Dann stoßen wir auf die praktischen Seiten, nämlich darauf, wie die eigentliche Hilfe aussehen soll. Sie wird laut Gesetzesakt bestehen aus Warenlieferungen, der Verarbeitung, Lagerung, dem Transport und der Reparatur von Gütern oder in anderen Diensten. In diesem Zusammenhang erscheint die Klausel, wonach mindestens die Hälfte der Lieferungen in amerikanischen Schiffen zu den üblichen Tarifen transportiert werden müssen. In all seinen Handlungen ist Mr. Hoffman weiter angewiesen,

die Benutzung des privaten Handels „zu erleichtern und so groß wie möglich zu gestalten“,

damit wir auch nicht für eine Minute vergessen, daß im Rahmen des Marshall-Planes der Kapitalismus und nicht seine Gegner gefördert werden sollen.

Wo der Gesetzesakt sich mit der Frage befaßt, ob die Empfänger für die Lieferungen bezahlen sollen oder nicht, und die Entscheidung darüber dem Verwalter, Mr. Hoffman, überläßt, wird unter den Formen der Bezahlung auch die Gegenlieferung von Materialien gefordert, an denen die USA Mangel leiden: Das wenige Licht, welches das Gesetz auf die Art der Lieferungen wirft, geschieht bezeichnenderweise unter der Ueberschrift „Schutz der inneren Wirtschaft“. Hier wird Mr. Hoffman angewiesen, den Ankauf von Gütern im Rahmen des Planes so vorzunehmen, daß die wichtigen Bedürfnisse der USA nicht verletzt werden. Für Petroleumprodukte wird speziell gefordert, daß sie außerhalb der USA erworben werden sollen und auch da soll Mr. Hoffman Rücksicht nehmen „auf die gegenwärtige und voraussichtliche Knappheit“. (Dies muß man wissen, wird im Gesetzesakt eines Landes gesagt, das gegenwärtig zwei Drittel des gesamte Oels der Welt verbraucht.)

Und so geht es weiter, Punkt für Punkt. Landwirtschaftliche Produkte, an denen Ueberschuß besteht, sollen in den USA und nicht in anderen Ländern erworben werden. Dann kommen gewissermaßen die Pflichten der Empfängerländer. Darunter finden wir die Forderung nach Stabilisierung der Währungen, ausgeglichenen Staatshaushalten, gültigen Wechselkursen. Was damit gemeint ist, werden wir später sehen. Weiter verlangt der Gesetzesakt, daß ein Fonds in eigener Währung errichtet wird, im Werte der Lieferungen, die die einzelnen Länder erhalten. Ein Teil dieses Fonds soll für die Verwaltungsausgaben der USA im Rahmen des Plans in den betreffenden Ländern verwandt werden. Ueber die Verwendung des Restes soll eine gemeinsame Uebereinkunft erzielt werden, die vom amerikanischen Kongreß zu bestätigen ist. Welche Gewalt über die Finanzen der einzelnen Länder dies den USA verleiht, soll ebenfalls später untersucht werden.

Es folgt dann eine sehr wichtige Klausel über den Handel mit Ländern, die nicht am Marshall-Plan teilnehmen. Nicht, daß er offen untersagt wird. Aber wenn es sich z. B. um Waren handelt, die die USA „im Interesse ihrer nationalen Sicherheit“ nicht in die am Marshall-Plan nicht teilnehmenden europäischen Länder ausführen, und die Marshall-Plan-Länder wollten derartige Waren dorthin exportieren, dann kann Mr. Hoffman ihnen die Lieferung von Materialien verweigern, die zur Produktion solcher Waren benutzt werden könnten.

Schließlich kommt das dicke Ende. Mr. Hoffman ist durch den Gesetzesakt angewiesen, wenn er über Form und Ausmaß der Hilfe entscheidet, zu berücksichtigen, wie die einzelnen Länder ihre Verpflichtungen einhalten. Aber mehr noch, ihm wird vorgeschrieben, die Hilfe sofort zu beenden, nicht nur wenn das· betreffende Land seinen Vertrag nicht einhält oder schlechten Gebrauch macht von den Lieferungen, die es erhält, sondern auch, wenn „auf Grund veränderter Bedingungen die Hilfe nicht länger im Einklang steht mit den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten.“

In anderen Worten: die geringste politische oder wirtschaftliche Maßnahme in irgendeinem der Länder des Marshall-Planes, die den Reaktionären im amerikanischen Kongreß nicht passt, kann der Anlaß sein, die Lieferungen einzustellen. So sieht in Wahrheit der „uneigennützigste Akt der Weltgeschichte“ aus.

Das ist der Buchstabe des Gesetzesaktes, der Sinn liegt viel tiefer. Um Sinn und Folgen des Plans in ihrer ganzen verhängnisvollen Schwere zu erkennen, gilt es neben den zweiseitigen Verträgen und dem soeben dargestellten offiziellen, vom amerikanischen Kongreß angenommenen Gesetzesakt auch die vielen Empfehlungen und Vorschläge der verschiedenen Komitees des Kongresses und die Feststellungen amerikanischer Minister und anderer offizieller Persönlichkeiten zu betrachten. Erst dann kann man sich von allen Illusionen befreien.

Das Pfund Sterling – Feind Nr. 2 des Marshall-Planes

Da ist zuerst die Währungshoheit, auf die ja wohl jeder selbständige Staat Anspruch. erheben kann. Die Marshall-Länder werden sie nicht mehr besitzen. Man verlangt von ihnen die Abwertung ihrer Währungen, was zuerst offen in den zweiseitigen Verträgen stand, dann aber auf Grund der Proteste im Ton gemildert wurde. Der Sinn dieser Forderung ist einfach. Amerika will der einzige finanzielle Gebieter der Welt sein: Die Wall-Street will nicht länger ihre Herrschaft mit der City von London teilen. Im März schrieb die „New York Times“, neben dem Kommunismus sei die größte Bedrohung des Marshall·Planes·

„der britische Kampf zur Verteidigung des Pfundes“. Großbritanniens Versuch, weiter der Bankier für das Empire und andere Länder zu sein, sei „unvereinbar mit dem Ziel des Marshall-Plans[“] – und das Außenministerium erwäge den Plan, die Verantwortlichkeiten Großbritanniens in Australien, Indien, Neuseeland und Aegypten zu übernehmen.

Der konservative „Daily Express“ bemerkte damals, dies wäre „das Ende des britischen Empire – nichts weniger.“ Bekanntlich ist es England gelungen, das Pfund stabil zu halten, während Frankreich nachgab und den Franken abwertete. Deshalb soll die Abwertung der Währungen eine der Hauptbedingungen des Marshall-Plans sein. Bereits am 7. Januar hat der Vorsitzende des Bankausschusses des amerikanischen Repräsentantenhauses, Jesse Woolcott, eine Abwertung des britischen Pfundes auf 2,65 Dollar gefordert, d. h. auf zwei Drittel seines gegenwärtigen Wertes, und eine dementsprechende Abwertung anderer europäischer Währungen. Andernfalls, verlangte Woolcott, sollten sie keine Marshall-Gelder erhalten.

Aber weiter wird, wie wir sehen, von den 16 Ländern gefordert, daß sie Fonds in ihren eigenen Währungen im Werte der Lieferungen schaffen, über die sie nicht ohne Zustimmung der USA verfügen können. Die USA erhalten also die Kontrolle über einen bedeutenden Teil der Finanzen dieser Länder. Als dieser Vorschlag zum ersten Male auftauchte, da schrieb der überaus marshall-freundliche „Economist“:

„Wenn diese Gelder der Kontrolle der einzelnen Regierungen entzogen werden, dann würden diese einen wichtigen Bestandteil ihrer wirklichen wie ihrer äußeren Souveränität aufgeben.“ (The Economist 10. 1. 1948.)

Inzwischen ist diese Bedingung in den vom Kongreß angenommenen Gesetzesakt und in die zweiseitigen Verträge aufgenommen worden, und somit haben diese Länder tatsächlich einen „wichtigen Bestandteil ihrer Souveränität“ aufgegeben.

Eine eigene Handelspolitik ist unmöglich

Es wird den Ländern des Marshall-Planes auch nicht möglich sein, ihren Handel nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Das ist aber ein Kernproblem ihres wirtschaftlichen Wiederaufbaus. Selbst die Pariser Konferenz der 16 Länder hatte eine starke Entwicklung des Handels mit den osteuropäischen Ländern als Voraussetzung für die wirtschaftliche Gesundung der europäischen Wirtschaft gefordert. Die Marshall-Länder werden in ihrer Handelspolitik nicht mehr frei sein. Nicht nur, daß sie sich verpflichten müssen, strategische Rohstoffe an die USA zu liefern, auch wenn sie diese unter Umständen selbst verarbeiten oder weit nützlicher im Austausch mit anderen Ländern verwenden könnten.

Es ist noch in guter Erinnerung, wie die Vereinigten Staaten seinerzeit versuchten auf Schweden einzuwirken, um den schwedisch-sowjetischen Handelsvertrag rückgängig zu machen und auf welch scharfe Ablehnung diese Einmischung bei der schwedischen Regierung stieß. Der Druck auf diese Länder im Rahmen des Marshall-Planes wird sich jedoch nicht auf Noten beschränken, er wird Teil des Planes selbst sein. Im Februar berichtete die „New York Times“ über die Handelsbesprechungen, bei denen die Sowjet-Union ein Angebot für 450 000 Tonnen Getreide an Belgien gemacht hatte und schrieb, sobald dieses Angebot in Washington bekannt geworden sei,

„wurden sofort Maßnahmen ergriffen, um von diesem Vertrage abzuschrecken, und wenn möglich, und notwendig, ihn zu verhindern.“

Im Rahmen des Marshall-Planes werden solche „Maßnahmen“ viel leichter sein. Man braucht, wie wir im Gesetzesakt gesehen haben, nur zu erklären, die Lieferungen seien gegen „das nationale Interesse“ der USA gerichtet und schon können die Marshall-Gelder gesperrt werden. Ganz offen schrieb die führende Zeitung der USA, die „New York Times“ am 7. 4. 1948 unmittelbar nachdem der Marshall-Plan Gesetz geworden war, daß Mr. Hoffman

„riesige Macht besitzen werde, nicht nur über die Exporte dieses Landes, sondern auch derjenigen Länder, die Hilfe unter dem Marshall-Plan erhalten.“

Als der britische Handelsminister Wilson am 29. 4. 1948 im Unterhaus die direkte Frage vorgelegt bekam, ob Marshall-Lieferungen im Handelsaustausch mit der Sowjet-Union verwandt werden dürfen, antwortete er, „dies würde einer Klärung mit den betreffenden amerikanischen Stellen bedürfen“, und bewies damit, daß von Handelsfreiheit für die Marshall-Länder keine Rede sein kann.

Im Juli, nach Unterzeichnung der Verträge, hat der Verwalter Hoffman noch eindeutiger erklärt, daß alle Waren oder Rohstoffe, die in irgendeiner Form für „Rüstungen“ verwandt werden können, zu den für den Export in die Sowjet­Union und in die anderen am Marshall-Plan nicht teilnehmenden Länder verbotenen Artikeln gehören. Damit kann natürlich der Handel mit Osteuropa ganz unterbunden werden, denn schließlich kann heute alles zu Kriegszwecken benutzt werden.

Im April dieses Jahres veröffentlichte die UN-Wirtschaftskommission für Europa einen bedeutsamen Bericht über die europäische Wirtschaftslage. Daraus ging als wichtigste Schlußfolgerung hervor, daß auch die volle Durchführung des Marshall-Planes die wirtschaftlichen Probleme der europäischen Länder nicht lösen werde, und daß die einzige Chance der Gesundung in der planmäßigen Entwicklung des Handels zwischen West- und Osteuropa liege. Der UN-Bericht führte als Beispiel an, daß maschinelle Ausrüstungen für die Holzindustrie Osteuropas im Werte von fünf Millionen Dollar Westeuropa eine Ersparnis von 70·Millionen Dollar für amerikanische Holzeinfuhren bringen könnten. Marshall-Plan und Westeuropa-Union werden dies unmöglich machen. Die Westeuropa­Union ist eine wirtschaftliche Sinnlosigkeit. Treffend hat die der Labour Party nahestehende Zeitschrift „New Statesman and Nation“ im April über die eigentliche Bedeutung der West-Union im Rahmen des Marshall-Planes geschrieben:

„Die Schaffung einer Westeuropa-Union mag die politische und militärische Basis abgeben, die das amerikanische Außenministerium braucht, aber wird sie, vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, die grundsätzlichen Ursachen der Gleichgewichtsstörung berühren? Die Zusatzbestimmung zum Marshall-Plan, die Exporte gesperrter Güter nach Osteuropa verbietet, kann in der Tat die Entwicklung jenes Ost-West-Handels unmöglich machen, die das Pariser Komitee als einen wesentlichen Faktor der Erholung angesehen hatte.“

Es ist schon so, wie der berühmte schwedische Nationalökonom und Sekretär der UN-Wirtschaftskommission, Gunnar Myrdal, Ende April erklärte: Europas Gesundung ist unteilbar. Weil der Marshall-Plan Europa teilt, wird er die wirtschaftliche Gesundung der an ihm teilnehmenden Länder verhindern.

Die offene Tür für das amerikanische Kapital

Eine der wichtigsten Seiten des Marshall-Plans betrifft den in seinem Rahmen geplanten amerikanischen Kapitalexport. Wir hatten bei der Darstellung der amerikanischen Situation gesehen, daß eines der Hauptprobleme für die amerikanischen Kapitalisten darin besteht, profitable Anlagemöglichkeiten für die überschüssigen Kapitalien zu finden, die sie auf Grund der riesigen Profite in den letzten Jahren angesammelt haben. Der Marshall-Plan soll ihnen derartige Möglichkeiten schaffen. Von Kapitalanlagen im Auslande erwartet man, wie ein Bericht des amerikanischen Handelsministeriums[,] betitelt „Die USA in der Weltwirtschaft“[,] feststellt, „größere Profite“. Unmittelbar nach Annahme des Marshall-Plans im Kongreß wurde bekanntgegeben, daß die amerikanische Regierung Garantien bis zu 14 Jahren übernehmen wird für Kapitalisten, die Investierungen in den Marshall-Ländern vornehmen wollen und zwar vorläufig bis zu einer Gesamtsumme von 300 Millionen Dollar.

Der Kapitalexport ist bekanntlich eines der charakteristischen Merkmale der Wirtschaft im Monopolkapitalismus. Aus einem Bericht des amerikanischen Finanzministeriums ging hervor, daß die amerikanischen Kapitalanlagen im Ausland, die vor dem ersten Weltkrieg 3,5 Milliarden Dollar betrugen, im Jahre 1943 auf 13 Milliarden angewachsen waren. Derselbe Bericht schätzte die Anlagen auf 17,3 Milliarden für das Jahr 1945 und auf 21,6 Milliarden für das Jahr 1946.

Wenn wir diese Ziffern zum Ausgangspunkt nehmen, so ergibt sich aus Präsident Trumans Feststellung in seinem Wirtschaftsbericht vom 14. Januar 1948, wonach die amerikanischen Kapitalanlagen im Verlaufe des einen Jahres 1947 um 83 Prozent gestiegen seien, daß sie gegenwärtig bestimmt mehr als 40 Milliarden Dollar betragen.

Die Macht, die diese 40 Milliarden Dollar – achtmal soviel wie der Marshall-Plan – dem amerikanischen Finanzkapital über die Wirtschaft anderer Länder verleiht, ist gewaltig. Ausländisches Kapital bedeutet fast immer ein Maß von Abhängigkeit, aber wo es in großen Mengen einströmt, da heißt es todsicher Verlust der wirtschaftlichen und politischen Selbständigkeit. Die Gefahr, daß das amerikanische Kapital sich die Wirtschaft, nicht nur kolonialer und halbkolonialer Länder, sondern auch relativ fortgeschrittener und selbst der großen Industrieländer unterwirft, ist im Rahmen des Marshall-Planes ganz unmittelbar.

Wahrscheinlich wissen nur die Herren der Wall-Street selbst, wie weit der Ausverkauf Westeuropas bereits gediehen ist. Die Tatsache aber, daß die amerikanischen Kapitalanlagen „im Auslande im Geburtsjahre des Marshall-Planes, 1947, ebenso hoch waren wie in den vorangegangenen 23 Jahren zusammengenommen, wird bestimmt einmal als eines der großen Ereignisse dieses Jahres in die Geschichte eingehen.

Hier einige Beispiele dafür, wie unmittelbar Marshall-Plan und andere amerikanische „Hilfs“-Projekte mit dem Export amerikanischen Kapitals zusammenhängen. Im Februar dieses Jahres berichtete Präsident Truman über wirtschaftliche und militärische Unterstützung Griechenlands. Dazu hieß es in einem Bericht der Reuter-Agentur:

„Im Zusammenhang mit dem Bericht an den Kongreß machte Präsident Truman den Vorschlag, die ungeheuren Mineralvorkommen in Griechenland auszubeuten, um Griechenlands wirtschaftliche Probleme zu lösen.“

Wenige Tage nach Annahme des Planes durch den Kongreß schrieb der halbamtliche US-Informationsdienst (US-Information Service, 6. 4. 1948):

„Die Förderung privater amerikanischer Kapitalanlagen in Westeuropa steht in Uebereinklang mit einem der Hauptziele des amerikanischen Hilfsprogramms. Die Regierung der Vereinigten Staaten verfolgt die Politik, das amerikanische Privatkapital zu ermutigen, wenn nicht ganz, so doch teilweise, an die Stelle direkter amerikanischer Regierungshilfe zu treten.“

Besondere Aufmerksamkeit wird im Hinblick auf die Kapitalinvestitionen auch den Kolonien der westeuropäischen Länder zuteil. So erklärte das „Kunkel-Komitee“ des amerikanischen Kongresses in einem im März veröffentlichten Bericht über Großbritannien; es sei wünschenswert

„eine britische Garantie zu erhalten, die dem amerikanischen Privatkapital gleichen Zugang für die Entwicklungsmöglichkeiten in den von Großbritannien abhängigen Ländern und in seinen Kolonien sichert.“

Und im Mai forderte der Kongreßausschuß für Auslandshilfe, daß die Marshall-Länder ihre Kolonien für das amerikanische Privatkapital öffnen, daß dieses gleiche Rechte wie die Kapitalisten des Mutterlandes genieße, und daß diese Bedingung als „integrierender Bestandteil des Marshall-Planes“ betrachtet werde. Sie ist inzwischen in die zweiseitigen Verträge aufgenommen worden, die die westeuropäischen Länder unterschrieben haben. Der Marshall-Plan soll die Politik der „offenen Tür“, die Amerika für seinen Warenexport fordert, auch für den Kapitalexport herstellen. Die westeuropäischen Industrien in den Händen der großen amerikanischen Trusts, gewissermaßen als Zweigstellen der amerikanischen Mutterbetriebe, das bedeutet, wenn die Krise kommt, den Export der amerikanischen Erwerbslosigkeit nach Westeuropa. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß Filialbetriebe geschlossen werden, bevor das Hauptwerk an der Reihe ist, schon gar, wenn die Filialen im Ausland liegen.

Marshall-Plan und demokratische Reformen

Auch die Wirtschaftspolitik der Marshall-Länder wird ·nicht frei sein. Der Marshall-Plan ist ein durch und durch kapitalistisches Unternehmen. Daß er es bleibt, dafür werden die sorgen, die allein über sein Schicksal entscheiden, die Reaktionäre des amerikanischen Kongresses. Seine Hauptverwalter, Hoffman und Harriman, sind typische Vertreter des amerikanischen „big business“. Hoffman ist Direktor des Studebaker Automobil-Konzerns und Harriman ist Teilhaber einer großen Bankfirma. Im Gesetzesakt des Kongresses wird immer wieder betont, der privatkapitalistische Handel sei zu fördern. Mr. Paul Hoffman selbst, der, wie wir sahen, über geradezu phantastische Vollmachten verfügt, hat sein Glaubensbekenntnis in folgendem Satz abgelegt:

„Nur unter dem Kapitalismus sind die wesentlichen Freiheiten des Menschen geschützt worden, und nur unter dem Kapitalismus hat der einfache Mann einen anständigen Lebensstandard genossen.“

Wird dieser Mann etwa die gewaltige Macht, die ihm gegeben ist, dazu verwenden, den Sozialisten zu ermöglichen, den heiligen Gegenstand seines Glaubens, das kapitalistische System zu unterminieren? Es gehört eine hübsche Portion Naivität oder Heuchelei dazu, das zu glauben. Selbst die Marshall-Plan-freundliche sozialdemokratische „Rheinische Zeitung“ hat in ihrer Neujahrsausgabe geschrieben, daß

„die Kräfte, die heute den Strom der Hilfegüter und des Hilfekapitals kontrollieren, weit entfernt davon sind, von sich aus Sozialisten eine Chance zu geben.“

Aber sie werden auch dafür sorgen, dass sie sich diese Chance nicht selbst nehmen. In bezug auf den Handel hat Außenminister Marshall das selbst ausgesprochen in einer Rede vor der Handelskammer in Pittsburgh am 15. 1. 1948:

„Wir bekämpfen das System, das als Staatshandel bekannt ist“,

sagte er.

Noch deutlicher war die Antwort, die Mr. Hoffman auf die Frage gab, was im Falle einer Nationalisierung der britischen Stahlindustrie geschehen würde. Laut „Daily Herald“ vom 14. 5. 1948 erklärte er:

„Wenn ein Plan zu uns käme, der um Dollar zur Modernisierung der Stahlindustrie ansuchte, und die britische Regierung kündigte einen Nationalisierungsplan für diese Industrie an, so könnte die Hilfe verweigert werden.“

Der Nationalisierungsplan wird nicht etwa untersagt. Großbritannien erhält nur einen Wink. Was für eine Art Wink das ist, versteht man aber nur, wenn man weiß, daß die Modernisierung der Grundindustrien, insbesondere der Stahlindustrie, das fundamentale Problem der britischen Wirtschaft darstellt. Marshall­Plan und Bestrebungen zur Demokratisierung der Wirtschaft durch die Nationalisierung der Grundindustrien sind unversöhnliche Gegensätze. Das hat der bekannte Labour-Politiker und Soziologie Professor Laski bereits im Juli vorigen Jahres vorausgesagt; und er hat recht behalten:

„Ich glaube“, erklärte er damals, „daß die amerikanische Hilfe zu Bedingungen erkauft werden müßte, die eine europäische Sozialisierung verhindern soll und Westeuropa zwingen könnte, sich dem Muster der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen, das von den amerikanischen Erfordernissen diktiert wird.“

Marshall-Plan und Außenpolitik

Wenn in den Worten des Präsidenten Truman der Marshall-Plan „ein Hauptbestandteil der amerikanischen Außenpolitik“ sein wird, so wird umgekehrt die amerikanische Außenpolitik auch ein Hauptbestandteil des Marshall-Planes sein. Das heißt, die Länder, die den Marshall-Plan unterschreiben, werden wohl oder übel auch die amerikanische Außenpolitik unterschreiben müssen. Illusionslos hat der der Labour-Party nahestehende „New Statesman und Nation“ ausgesprochen, was sein wird:

„Das ERP (Europäisches Erholungs-Programm), wie es ursprünglich in Marshalls Rede in Harvard entwickelt worden ist, wird, so fürchten wir, in wenig mehr verwandelt werden als in ein Honorar (auf großzügiger Skala), das in dem Glauben gegeben wird, daß es Westeuropa dazu bringt, den Kommunismus abzulehnen und das Recht Amerikas auf Kontrolle seiner Außenpolitik und Militärstrategie zu akzeptieren.“ (The New Statesman and Nation, 1. 5. 1948.)

Es gibt noch genügend Propagandisten des Marshall-Planes, die ihn als einen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie und der Freiheit gegen den „Angriff des Totalitarismus“ ausgeben. Aber wie einfältig muß man sein, um das zu glauben, nachdem dasselbe Repräsentantenhaus, das den Marshall-Plan angenommen hat, mit Dreiviertel-Mehrheit für den Einschluß des faschistischen Franco-Spaniens in diesen Plan gestimmt hat? Franco-Spanien, zu dem die Vereinten Nationen die diplomatischen Beziehungen abbrachen, als Hort der Demokratie und Freiheit? Gewiß, der Beschluß ist im Interesse des Ausgangs der italienischen Wahlen schleunigst beiseitegeschoben worden. Aber kaum waren einige Wochen vergangen, da meldete „Die Welt“ (15. 5.), daß amerikanische Banken Franco­Spanien eine Anleihe von 200 Millionen Dollar gewähren werden, und daß Wall­Street einen Druck ausübe, Spanien in den Marshall-Plan aufzunehmen.

Der politische Charakter des Marshall-Plans hat noch direktere Wirkungen auf die Marshall-Länder. Am 16. Januar berichteten die Londoner „Times“:

„Mr. Forrestal, der Verteidigungsminister, sprach sich für die militärische Zusammenarbeit in Westeuropa zur Bekämpfung des Kommunismus aus, und später vor dem Senatsausschuß sagte er, er habe die Gewissheit, Mr. Marshall hätte die Möglichkeit erwogen, daß die europäischen Nationen Militärbasen für die amerikanischen Streitkräfte als Gegenleistung für wirtschaftliche Hilfe abgeben würden … Er würde es begrüßen, wenn die Streitkräfte Großbritanniens und der anderen 15 Mächte, die sich dem Marshall-Plan angeschlossen haben, einen einzigen Block gegen die Bedrohung des Kommunismus formen würden.“

Die Offenheit, mit der hier der wahre Charakter des Planes bloßgelegt worden war, veranlaßte die westeuropäischen Marshall-Anhänger zu bitteren Klagen über die „Ungeschicklichkeit“ der amerikanischen Politik. Die Pariser Zeitung „L’ Aurore“ war böse:

„Durch solche Bedingungen“, schrieb sie, „bekommt die amerikanische Hilfe den Charakter eines sehr unangenehmen Handels. Sie gibt den Kommunisten, die als Verteidiger der nationalen Unabhängigkeit auftreten, in ihrer Propaganda recht. Indem unsere amerikanischen Freunde unsere berechtigte Empfindlichkeit verletzen, schaden sie ihrer eigenen Sache…“

Aber in der Politik spielen verletzte Empfindlichkeiten eine geringe Rolle, und nur wenige Tage nachdem der amerikanische Verteidigungsminister seinen Wunsch geäußert hatte, Großbritannien möchte mit den anderen 15 Ländern einen „einzigen Block“ bilden, hielt Bevin seine bekannte Rede im Unterhaus, in der er die Westeuropa-Union forderte. Am nächsten Tage schrieb der halbamtliche US-Informationsdienst:

„Außenminister Bevins Vorschläge zu einer Allianz unter den westeuropäischen Nationen erhielt die offizielle Beglaubigung („endorsement“ – das Wort stammt aus dem Giroverkehr, d. Verf.) der USA am 23. Januar in einer Erklärung, die vom Außenministerium herausgegeben wurde.“ (US-Information Service; 24. 1. 1948.)

Zwei Monate danach konnte das Düsseldorfer „Handelsblatt“ (18. März 1948) bereits einen Bericht der beiden amerikanischen Kommentatoren Joseph und Steward Alsop zitieren, in dem es hieß,

„Washington trete aus der wirtschaftlichen Phase seiner Weltpolitik in die strategische des Abschlusses von Allianzen, der Sicherung von Stützpunkten und des Aufbaus einer ergänzenden Wehrwirtschaft in Europa.“

Einen weiteren Monat später, als der Brüsseler Pakt der fünf Mächte bereits abgeschlossen war und seine militärischen Seiten in den Vordergrund traten, konnte dann die seriöse „Washington Post“ bemerken:

„Die Idee, den fünf Nationen des Brüsseler Paktes amerikanische Waffen zu liefern, ist eine vernünftige Ergänzung des ERP[.] (Marshall-Plans).” (Washington Post, 21. 4. 1948.)

Es wird nicht die einzige „vernünftige Ergänzung“ bleiben. Was im Plane selbst festgehalten ist, zusammen mit allen „vernünftigen Ergänzungen“, wird letzten Endes das ergeben, was das „Handelsblatt“ kürzlich als die

„strategisch-politische Bedeutung des Marshall-Planes im Lichte der außenpolitischen Konzeption Washingtons“ bezeichnet hat.

Und das wäre wohl der letzte Sinn, die Quintessenz dessen, was offiziell „Europäischer Wiederaufbau-Plan“ genannt wird.

(…)

[1] Interview in: „Die Welt“ online, 4. Juni 2007.Vgl. auch Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart, 2. erw. A., München 2011, S. 129-152.

[2] Vgl. IMSF, Marxistische Blätter, sozialismus, Z (Hrg.), Reale Geschichte als Lehrmeister. Josef Schleifstein 1915-1992, Frankfurt/M. 1973, S. 11, 60 (sh. www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de).

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