Der kommende Aufstand – von rechts?

Eingestellt, 5.9.22

05.09.2022

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern und selbst der Verfassungsschutz will seiner „Frühwarnfunktion“ gerecht werden: Im Herbst muss angesichts von Inflation, Preisexplosion, drohender Energieknappheit und möglicher Rezession mit einer bundesweiten Protestwelle gerechnet werden, die auch die extreme Rechte in ihrem Sinne nutzen will. Das Innenministerium warnt: „Es kann festgestellt werden, dass Kreise, die schon die Coronaproteste geprägt haben, auf der Suche nach neuen Themen mit Protestpotenzial sind. (…) Je nach Entwicklung der Energieversorgungssituation und der sozialen Folgen der Kostensteigerungen ist eine Entwicklung zu einer mit den Coronaprotesten vergleichbaren Größenordnung möglich.“ Drastischer formuliert es Stefan Kramer, Chef der Thüringer Verfassungsschutzbehörde, der konstatiert, dass „ausländische und inländische Kräfte aktuell die Verunsicherung und Angst in unserer Bevölkerung weiter zu befeuern versuchen, die AfD ganz vorne mit dabei“. Die vergangenen „Querdenken“-Proteste könnten damit „ein Kindergeburtstag im Vergleich zum kommenden Herbst und Winter“ werden.

Außenministerin Annalena Baerbock malt mögliche „Volksaufstände“ an die Wand, sollte sich die Krise weiter zuspitzen, und auch Innenministerin Nancy Faeser warnt aus sicherheitspolitischer Sicht vor möglichen sozialen Unruhen. Protest gegen die aktuelle Krisenentwicklung und gegen die Politik der Bundesregierung werden einerseits offenbar vornehmlich von rechts erwartet, die Äußerungen dienen jedoch auch der Delegitimierung bzw. Kriminalisierung jeglichen Protestes.

In der Tat lässt sich beobachten, wie einzelne Akteure der extremen Rechten sich des Themas bemächtigen und versuchen, es zum Ausgangspunkt eigener Kampagnen zu machen. Am 18. Juli demonstrierten 1.200 Menschen in Wittenberg unter dem Motto „Das System ist am Ende, wir sind die Wende“ und zogen mit Russland- und Deutschlandfahnen durch die Stadt. In Sachsen wurden Vermieter von Neonazis bedroht, weil sie die Rationierung des Warmwassers angekündigt hatten.

Angesichts der Mobilisierungserfolge von Pegida und Querdenken muss davon ausgegangen werden, dass auch das Thema Energiekrise, Teuerung und der Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg von diesem Milieu genutzt wird. Die Affinitäten und personellen Überschneidungen dieses Spektrums zur extremen Rechten sind seit Jahren bekannt. Im neurechten Umfeld der AfD sprießen aktuell die Fantasien, was im Herbst auf der Straße alles möglich sein wird. Hier geht man davon aus, dass ausschließlich die Rechte dazu in der Lage ist, nennenswerten Protest auf der Straße zu organisieren. Und zweifellos wird die AfD versuchen, sich zum parteipolitischen und parlamentarischen Sprachrohr einer solchen Bewegung zu machen.

Die AfD und die extreme Rechte insgesamt adressieren dabei einen Teil der Bevölkerung, der auch im Fokus linker Politik steht: Abhängig Beschäftigte, die durch die Preisentwicklung in massive Schwierigkeiten gebracht werden, Gewerbetreibende, die den entstehenden Kostendruck nicht bewältigen können und Bürgerinnen und Bürger, die der einseitigen und auf Aufrüstung und Waffenlieferungen setzenden Politik des politischen Mainstreams nicht zustimmen. Von Seiten der AfD wird versucht, Unsicherheiten und Protest von rechts zu bedienen und ihre Themen damit zu verbinden:

- Kritik am Euro und der EU, da beides zulasten Deutschlands gehe;

- Kritik an der Energiewende, die Schuld an der aktuellen Preisentwicklung habe;

- Kritik an politischen Grundsatzentscheidungen wie Aufnahme von Geflüchteten und Corona-Maßnahmen, die auf Kosten der Normalbürger:innen gingen;

- Kritik an der Sanktionspolitik, die vor allem die deutsche Wirtschaft schwäche.

Aktuell bereitet sich die AfD darauf vor, im Herbst kampagnenfähig zu sein und das Thema in den Parlamenten aber auch auf der Straße zu besetzen. Ein Schwerpunkt wird dabei in Ostdeutschland liegen, wo die AfD auf dem Niveau einer Volkspartei verankert ist und wo an die erfolgreichen Mobilisierungen von Pegida und Querdenken angeknüpft werden kann.

Insgesamt lässt sich noch nicht von einer bundesweiten Kampagnenstruktur der AfD sprechen. Zu erwarten ist, dass die Partei auf eine Initialzündung für eine solche Kampagne hofft oder sie selbst zu schaffen sucht. „Montagsproteste“ oder andere symbolische Aktionen, ausgehend von einzelnen Städten oder Bundesländern, könnten dieser Funke sein, der eine Bewegung startet, auf die die AfD aufsetzen will.