Ein Jahrhundert der Sozialpartnerschaft

25.01.2019
von Frank Deppe

Welch’ freudiges Ereignis: lachend reichen sich – bei einer Konferenz im Deutschen Historischen Museum in Berlin – der Vorsitzende des DGB, Rainer Hoffmann (SPD), der Bundesarbeitsminister Heil (SPD) und der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer die Hände – wie einst im Wappen der SED. Bundespräsident Steinmeier (SPD) beglückwünscht sie zum angeblichen Erfolg einer hundertjährigen Sozialpartnerschaft, die am 15. November 1918 mit dem sog. „Stinnes-Legien-Abkommen“ zwischen den Führungen der freien und christlichen Gewerkschaften sowie führenden Kapitalisten begründet worden sei. Inhalt des Abkommen war u.a.: die Gewerkschaften werden anerkannt als „gleichberechtigte Tarifparteien“, Einführung des Acht-Stunden-Tages, Anerkennung von Arbeiterausschüssen. Als Gegenleistung akzeptierten die Gewerkschaften die „freie Unternehmerwirtschaft“. Der von den Arbeiterräten und dem linken Flügel der Arbeiterbewegung vertretenen Forderung nach „Sozialisierung“ wurde faktische eine Absage erteilt. Für die Kapitalisten schrieb ein führender Stahlmanager: „Es kam darauf an: Wie kann man das Unternehmertum vor der Sozialisierung, Verstaatlichung und nahenden Revolution bewahren… Angesichts der wankenden Macht des Staates und der Regierung gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen: die Gewerkschaften“.

Die Führung der Gewerkschaften hatte seit 1914 die Kriegspolitik des Kaiserreiches, Annexionen, die Militarisierung der Arbeit und die Diktatur von Ludendorff unterstützt. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert war nach dem Sturz der Monarchie ein Bündnis mit der Obersten Heeresleitung (General Gröner) eingegangen, um der Regierung des Rates der Volksbeauftragten die Loyalität der Reichswehr zu sichern. Gemeinsam sollte „die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung“, die „Abwehr des Bolschewismus“ und eine „Armee mit Disziplin zum Schutz des Staates“ angegangen werden. In der Novemberevolution, nach dem Sturz der Monarchie sollten diese Bündnisse zunächst einmal das Ziel verfolgen, eine Revolution nach russischem Vorbild – zusammen mit anderen revolutionären Bewegungen in Europa – zu verhindern. Damit wurden die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die gewaltsame Niederschlagung von linken Bewegungen bis 1923, der „Bluthund Noske“ und das Wüten der Freikorps usw. ermöglicht. Die proletarische Linke blieb auf Jahrzehnte – im wechselseitigen Hass – gespalten. Das Kapital und die Führung der Reichwehr sorgten mit den bürgerlichen und rechten Parteien, später mit der NSDAP dafür, dass die „Errungenschaften von 1918“ (auch der Achtstundentag, der schon 1924 außer Kraft gesetzt war) – schrittweise zurückgefahren wurden. Im Jahre 1933 liquidierten diese Kräften schließlich auch die Gewerkschaften und terrorisierten ihre Aktiven in den KZs. Hugo Stinnes, am Ende des Krieges mächtigster Kapitalist im Lande, finanzierte schon 1920 (im Jahr seines Todes) die „Antibolschewistische Liga“, deren Anhänger schließlich mit Adolf Hitler triumphierten und sich auf die große „Endschlacht“ mit Marxismus und „Bolschewismus“ vorbereiteten.

In den Gewerkschaften – vor allem im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) – hatte schon während des Krieges die Opposition gegen den Kurs von Carl Legien zugenommen. Robert Dissmann (USPD) und Richard Müller (für die revolutionären Obleute in Berlin) waren ihre Sprecher Dissmann wurde 1919 zum Vorsitzenden des DMV gewählt.

Schlussfolgerung: Das Stinnes-Legien-Abkommen hat einen wesentlichen Beitrag zur Unterdrückung der Revolution und der Klassenbewegungen von links geleistet. Damit wurden Weichen für die Schwäche der Weimarer Demokratie und für den schließlichen Sieg der Gegenrevolution gestellt. Gewerkschaften sollten sich nicht als Gehilfen des Kapitals und des kapitalistischen Staates bei der Unterdrückung von Arbeiterbewegungen missbrauchen lassen – in der bisherigen Geschichte hat sich das immer bitter gerächt! Wer mit dem Kapital Vereinbarungen und Kompromisse schließt, sollte als Gegenmacht immer stark genug sein, um beim Bündniswechsel der Kapitalisten zu den extrem rechten – antidemokratischen und antisozialistischen – Kräften Gegenwehr zu leisten – wie beim Kapp-Putsch im Jahre 1920, als der erste Ansturm der Rechten auf die Macht durch einen Generalstreik zurückgeschlagen werden konnte. Noch 1949 – bei der der Gründung der Einheitsgewerkschaft DGB – war diese Lehre noch in den Köpfen der Gründer gegenwärtig.

Literaturtip zum Ausfüllen von historischen Bildungslücken: Frank Deppe / Georg Fülberth / Jürgen Harrer (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, Köln 1989, besonders S. 178 ff., sowie: IG Metall (Hrsg.), Fünfundsiebzig Jahre Industriegewerkschaft 1891 bis 1966, bearbeitet von Fritz Opel und Dietz Schneider, Frankfurt / Main 1966, besonders S. 199 ff.