„Fassadendemokratien"

von Dominik Feldmann zu Ulrich Mies/Jens Wernicke [Hrsg.]
Dezember 2017

„Fassadendemokratien“

Ulrich Mies/Jens Wernicke (Hrsg.), Fassadendemokratie und Tiefer Staat. Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter, Wien 2017, Promedia Verlag, 271 S., 19,90 Euro

Ob Crouchs „Postdemokratie“, Blühdorns „Simulative Demokratie“ oder nun die „Fassadendemokratie“: Alle aufgezählten demokratietheoretischen Betrachtungen stellen einen Krisenzustand der westlichen Demokratien fest. Kern der vorliegenden Diagnose ist, dass das „Ende der Demokratie […] wie wir sie kennen […] aus Sicht der Herausgeber längst eingetreten“ sei. Gemeint sind damit die bürgerlich-liberalen Demokratien des Westens. Politische Entscheidungen würden nicht auf öffentlicher Bühne, unter Einbezug des Demos, sondern in einem „Tiefen“ oder auch „Dunklen“ Staat gefällt. Konkret setzen sich die Herausgeber des Sammelbandes das Ziel, die Substanz dessen zu betrachten, was den „Tiefen Staat“ umfasst, und seine Wirkungszusammenhänge zu beleuchten. Der Sammelband setzt sich aus drei Teilen zusammen: „Die wahren Herrscher“, „Elemente des Tiefen Staates“ sowie „Geopolitik und Krieg“.

Einer der Autoren, der inzwischen verstorbene Bernd Hamm, dem dieses Buch gewidmet ist, leitet den ersten Teil ein und stellt den „Tiefen Staat“ als ein „Konglomerat aus Ministerien, Behörden, Politikern, Rüstungsindustrie, den Geheimdiensten, privatisierter Sicherheitsindustrie, Kontraktfirmen und Lobbyisten“ sowie als Klassenprojekt von oben dar, innerhalb dessen sich verschiedene Klassenfraktionen am gemeinsamen Projekt einer Eliminierung demokratischer Auseinandersetzung abarbeiten. Wie Hamm kontextualisieren auch weitere Autoren die Transformation der Demokratie als Erscheinungsform eines deregulierten Kapitalismus: Rainer Mausfeld sieht in der Fassadendemokratie die „Extremform“ eines autoritären Kapitalismus und Ulrich Mies diese als Folge marktradikalen Agierens der herrschenden Eliten. Jochen Krautz untersucht die grundsätzliche Frage, wie es dem Regime des „Tiefen Staates“ gelingt, die Menschen durch Bildungsapparate so zu beeinflussen, dass sie nicht gegen die defizitären demokratischen Strukturen rebellieren. Er nennt diesbezüglich die Ökonomisierung des Bildungssektors sowie die damit einhergehende Atomisierung des Einzelnen im Geiste des „Homo Oeconomicus“ als maßgeblich.

Im zweiten Teil des Sammelbandes betrachtet zunächst Mike Lofgren aus seiner Perspektive als ehemaliger Mitarbeiter des US-Kongresses die Zusammenhänge des „Tiefen Staates“ in den USA anhand der fehlenden demokratischen Legitimation maßgeblicher innen- und außen- sowie wirtschaftspolitischer Entscheidungen, welche in Kooperation mit Geheimdiensten, der Wall Street und großen Konzernen gefällt und umgesetzt würden. Werner Rügemer diagnostiziert schließlich, dass vielen EU-Staaten diese Entwicklungen als Vorbild gedient hätten, und mehr noch: Die USA hätten u.a. durch den Einfluss des IWF initiiert, dass viele Staaten ebenfalls eine Deregulierung und Zurückdrängung des öffentlichen Sektors einleiteten. Hermann Ploppa legt konkrete Beispiele der „Amerikanisierung“ deutscher Politik dar. Den Einfluss auf die skizzierte Entwicklung hätten die USA, so Ernst Wolff, durch die Etablierung einer „kriminellen“ Finanzordnung realisiert, um die Vorherrschaft der USA im internationalen Geschehen zu sichern. Außerdem betrachtet Andreas Wehr die demokratietheoretischen Defizite der EU-Strukturen anhand des EU-Parlaments als „Scheinparlament“. Wolf Wetzel umreißt die Kollaboration des Staates mit rechten Strukturen und kriminellen Machenschaften von ökonomischen Eliten. Hansgeorg Hermann skizziert die Vorgehensweise der französischen Regierung in Folge der Anschläge im Jahr 2015, um Grund- und Bürgerechte über längere Zeit außer Kraft zu setzen. Politischer Widerstand werde so durch staatliche Gewalt obstruiert.

Der dritte Teil widmet sich geopolitischen Strategien des Westens. So charakterisiert Rainer Rupp die Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf die Wahl Trumps als Bedenken, die neoliberale Weltordnung könne angetastet werden. Jörg Becker akzentuiert u.a. in diesem Kontext die manipulierende Vorgehensweise von PR-Agenturen sowie meinungsbildenden Presseinstituten und Hannes Hofbauer die Stilisierung Russlands als Feindbild zur Legitimierung geostrategischer Interessen des Westens. Daniele Ganser stellt in diesem Zusammenhang Beispiele militärischer und terroristischer Aktionen des Westens vor. Hinsichtlich der Kriegspolitik einiger EU-Mitgliedsstaaten fordert Jürgen Rose eine zur Neutralität verpflichtete gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Leistung des Sammelbandes liegt v.a. in dem Anstoß, die Terminologie und Zusammenhänge des „Tiefen Staates“ im deutschsprachigen Raum voranzutreiben. Kritische Demokratietheorie kann sich ggf. anhand dieser Terminologie daran versuchen, die Funktionsweisen der politischen Arena fernab der demokratischen Kontrolle und Legitimation zu beleuchten. Einen Anschluss an demokratietheoretische Debatten hätte sich das Buch erleichtert, wenn es die bereits vorliegenden Krisendiagnosen verarbeitet und diskutiert hätte. Marxistische Analysekriterien, welche die Wirkungsweise des Kapitalismus auf die bürgerlich-liberalen Demokratie darlegen, sind kaum anzutreffen. Außerdem stoßen die nur bedingt wissenschaftlichen Kriterien genügenden Aufsätze, die eher essayistischen Stil vorweisen, mit Sicherheit nicht nur kontroverse Auseinandersetzungen an, weil sie im Wesentlichen die politischen Kräfte der USA als maßgeblich für den Niedergang der westlichen Demokratien herausstellen. Auch die Forderung Rainer Rupps, dass die gesellschaftliche Linke die „positiven Ansätze von Trump wahrzunehmen“ habe, oder das Plädoyer Roses für eine De-Militarisierung der EU werden nicht in allen Lagern Anschluss finden.

Dominik Feldmann