Feminisierung der Lohnarbeit

Ungleiche Bezahlung von Frauen – aktuelle Aspekte

von Ursula Schumm-Garling
Juni 2017

Will man es optimistisch sehen, kann man feststellen, Frauen hätten in den vergangenen hundertfünfzig Jahren viel erreicht. 1844 kam es in Schlesien zu einem maßgeblich von Frauen getragenen und organisierten Streik für höhere Löhne und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. 1858 streikten in New York Frauen für gleichen Lohn und gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen. Diese Forderungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Zeiten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschlossen sozialistische Frauen in Kopenhagen, einen internationalen Frauentag einzuführen – als Symbol für die internationale Solidarität der Frauen. Ihre wichtigsten Forderungen bezogen sich auf das allgemeine und gleiche Wahlrecht, auf humane Existenzbedingungen und auf den Kampf gegen die Kriegsgefahren. Wie wir heute wissen, haben sich die Frauen mit alledem keineswegs durchgesetzt.

In der Weimarer Republik gab es Berührungspunkte der verschiedenen Richtungen der Frauenbewegung. Sie waren sich einig in der Forderung nach dem Recht auf Erwerbsarbeit und nach Kinder-, Jugend- und Arbeitsschutz. Die Revolution von 1918/19 und die Gründung der Republik hatte endlich das Frauenwahlrecht gebracht.

Der Faschismus jedoch war ein großer Rückschlag. Die Frauen verloren das passive Wahlrecht, sie wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen, und nur zehn Prozent der Studierenden durften weiblich sein. Die Kampagne der Nazis gegen das „Doppelverdienertum“ bewirkte, dass Frauen ihren Arbeitsplatz verloren und damit den Arbeitsmarkt „entlasteten“. Erst im Verlaufe des Krieges wurden sie in der Rüstungsindustrie zu miserablen Arbeitsbedingungen und Billiglöhnen wieder beschäftigt. Dies widersprach zwar der faschistischen Ideologie und ihrer Glorifizierung der Mutterrolle, wurde aber kurzerhand zum Dienst am Vaterland deklariert.

Fortschritte und Konflikte in den siebziger Jahren

Heute ist die formale Gleichheit der Frauen weitgehend durchgesetzt. Allerdings wurde erst 1977 das Entscheidungsrecht des Ehemannes über alle Fragen des Ehe- und Familienlebens einschließlich der Erwerbstätigkeit der Ehefrauen abgeschafft. Bis dahin hatte der Mann das Recht, ein von der Frau eingegangenes Arbeitsverhältnis auch gegen ihren erklärten Willen zu kündigen. In der Realität förderte der bundesrepublikanische Sozialstaat die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, beispielsweise durch das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Familienversicherung (s.a. IMSF 1978,S. 155ff.; IMSF 1985, S. 238ff.).

In den 1970er Jahren entbrannte der Konflikt um gleichen Lohn für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit in den Betrieben (ebd. 1978, S. 78ff.; ebd. 1985, S. 146ff.). Im Durchschnitt verdienten Arbeiterinnen damals 27,4 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, bei den Angestellten betrug die Differenz zwischen den Geschlechtern sogar 35,6 Prozent (IG Medien 1981, S. 5).

Die auch damals schon über ein Jahrhundert alte Forderung nach fairer Bezahlung wurde von der Industriegewerkschaft Druck und Papier und insbesondere ihrem Hauptvorstandsmitglied Gisela Kessler aufgegriffen und führte zu vielfältigen Aktivitäten. Sie gipfelten in der letztinstanzlichen Klage von 29 Beschäftigten gegen die Heinze-Fotolabor-Betriebe vor dem Bundesarbeitsgericht in Kassel am 6. September 1981. Die „Heinze-Frauen“ gewannen diesen Prozess und feierten ihn als einen wichtigen Schritt der Frauen- und Gewerkschaftsbewegung und als Ermutigung für weitere Auseinandersetzungen, obwohl ihnen bewusst war, dass dieser Skandal mit dem Sieg noch nicht bereinigt war.

Lohndiskriminierung besteht weiterhin

Die Daten zeigen, dass Frauen in Deutschland auch noch heute im Durchschnitt zirka 21 Prozent weniger Einkommen erzielen als Männer. Der „Gender Pay Gap“ ist in Deutschland – im Vergleich zum europäischen Durchschnitt – besonders groß. Nach Deutschland folgen nur noch die Tschechische Republik mit 22,1 Prozent, Österreich mit 22,9 Prozent und Estland mit 28,3 Prozent.[1]

Tab. 1: Geschlechterspezifischer Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern (Vollzeit, nach Wirtschaftszweigen, 2015) in Prozent

Tabelle siehe PDF !

Quelle: WSI-Genderdatenportal, www.boeckler.de/52850.html

Schauen wir für Deutschland genauer hin, ergibt sich ein je nach Branchen, Betriebsgröße und Berufen differenziertes Bild (Tabelle 1). Sehr hohe geschlechtsspezifische Verdienstabstände mit mehr als 25 Prozent finden sich in folgenden Wirtschaftszweigen: Kunst/Unterhaltung/Erholung, Freiberufliche/Solo-Selbstständige, in wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie bei Versicherungs- und Finanzdienstleistern. Es gibt jedoch auch Branchen, in denen die Lücke nicht ganz so groß ist, z. B. im öffentlichen Dienst. Hier liegt ihre Benachteiligung eher in den geringeren Aufstiegschancen (DGB 2011).[2]

Die Einkommensdifferenzen setzten sich bei Sonderzahlungen fort. Fast 57 Prozent der Männer haben nach eigenen Angaben eine Sonderzahlung in Form eines Weihnachtsgeldes erhalten, Frauen dagegen nur zu 51 Prozent. Urlaubsgeld erhielten 51 Prozent der Männer, Frauen dagegen nur zu 38 Prozent. Männer erhielten zu 20 Prozent eine Gewinnbeteiligung, Frauen dagegen zu 10 Prozent.[3]

Viele weitere Diskriminierungen[4]

Nahezu 48 Prozent der Männer haben angegeben, im letzten Jahr habe ihnen ihr Arbeitgeber eine Weiterbildung finanziert, bei den Frauen waren es mit 43 Prozent etwas weniger. Frauen gaben jedoch öfter an, eine Weiterbildung selbst finanziert zu haben, nämlich zu 20 Prozent gegenüber 17 Prozent der Männer. Rund 18 Prozent der Frauen, aber knapp 27 Prozent der Männer sagten, sie seien in dem Betrieb, in dem sie arbeiten, befördert worden.

Frauen mit einem Hochschulabschluss haben seltener eine Führungsposition inne. Nur 43 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss haben Führungs- und Personalverantwortung gegenüber 59 Prozent der Männer und sie verdienen in der Regel 1.000 Euro weniger.

Berufserfahrung zahlt sich bei Frauen nicht aus. So beträgt der durchschnittliche Lohnabstand im Vergleich zu den Männern bei einem bis fünf Berufstätigkeitsjahren im Durchschnitt 22 Prozent und bei 30 und mehr Jahren 29,5 Prozent. Berufserfahrung wird also nicht nur nicht honoriert, sondern bestraft. Erhebliche Lohnunterschiede sind nach Haipeter (2017) auch darauf zurückzuführen, dass die Frauen bei Spitzeneinkommen durchschnittlich weit unter denen der Männer liegen. Dafür werden zwei Gründe genannt: Frauen seien in Spitzenjobs selten vertreten oder sie würden in vergleichbaren Spitzenjobs weniger verdienen.

Langfristige Folgen

Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) belegt, dass die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern insgesamt – auf die Lebensarbeitszeit bezogen – noch deutlich höher liegen (Bach 2014). In der Studie werden die Daten der Lohn- und Einkommenssteuerstatistik aus dem Jahr 2007 – neuere Daten liegen nicht vor – getrennt nach Geschlechtern analysiert. Erfasst werden hier die gesamten Gewinn-, Arbeits- und Vermögenseinkommen. Danach erreichen Frauen durchschnittlich 49 Prozent des Pro-Kopf-Bruttojahreseinkommens von Männern. Das liege daran, dass die Frauen in den Einkommensgruppen mit bis zu 25.000 Euro Bruttojahreseinkommen deutlich die Mehrheit ausmachen. So erzielten doppelt so viele Männer wie Frauen ein Bruttojahreseinkommen von bis zu 40.000 Euro im Jahr. Ein Bruttojahreseinkommen von über 75.000 Euro erzielten nur noch 20 Prozent Frauen und in der obersten Klasse von Jahreseinkommen von 500.000 Euro befinden sich nur noch 16 Prozent Frauen. Die wichtigste Einkommensquelle sind die Arbeitseinkommen (Löhne und Gehälter). Werden diese separat betrachtet, so zeigt sich: Beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommen erzielen Frauen 61 Prozent des Arbeitseinkommens der Männer – das ist eine Lücke von 39 Prozent. Da die Minijoblöhne in dieser Steuerstatistik nicht erfasst werden, dürfte die Lücke sogar noch größer sein. Denn es arbeiten überwiegend Frauen in diesen schlecht bezahlten Jobs.

Bei verheirateten Frauen führt dies zu noch größeren Benachteiligungen: Verantwortlich dafür ist das Ehegattensplitting. Weil die Frauen in der Regel die niedrigeren Einkommen haben, ist ihr Steuersatz dann höher, wenn durch das Splittingverfahren das höhere Einkommen ihrer Männer teilweise bei ihnen angerechnet wird. In einer neuen Untersuchung des DIW plädieren Bach u.a. (2017) dafür, das Ehegattensplitting zugunsten einer Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag abzuschaffen. Der Staat könne so 15 Milliarden Euro Mehreinnahmen erzielen, und die Arbeitsbereitschaft von verheirateten Frauen würde spürbar steigen. Damit würde den aktuellen Herausforderungen am besten Rechnung getragen.

Gender Pension Gap

Es liegt auf der Hand, dass die vielfältigen Formen der Diskriminierung von Frauen in der Erwerbsarbeit längerfristig auch zu ihrer Benachteiligung bei den Renten führen müssen. Ihre Renten sind zumeist niedriger als die der Männer. So ist ihre durchschnittliche Altersrente (2015) mit 634,06 Euro um 421,75 Euro geringer als die der Männer (1055,82 Euro). Darüber hinaus müssen Hunderttausende von Frauen im Alter von über 65 Jahren mit der Grundsicherung auskommen.

Dieses Problem verschweigt auch nicht das Gutachten zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im März 2017 vorgelegt hat. Dort werden die Daten zum „Gender Pay Gap“ ergänzt durch Zahlen zum „Gender Pension Gap“. „Ein guter Indikator für die ungleiche gesellschaftliche und wirtschaftliche Bewertung der Leistungen von Frauen und Männern über den Lebensverlauf hinweg ist der Gender Pension Gap“, heißt es dort (Zweiter Gleichstellungsbericht 2017, hier S. 38). Demnach bezogen Frauen im Jahre 2015 in Deutschland um 53 Prozent geringere Alterssicherungsleistungen als Männer.

„Die große Rentenlücke wird auch im europäischen Vergleich deutlich“, heißt es dort weiter. „Der „Gender Gap in Pensions in the EU“ der EIGE (2015), der auf einer anderen Datenbasis beruht, betrug 2012 im europäischen Durchschnitt 38 Prozent, für Deutschland dagegen 45 Prozent. Dies war der schlechteste Wert unter allen berücksichtigten EU-Ländern.“

Scheinlösung Mütterrente

Die von der großen Koalition und vielen Medien hochgelobte Mütterrente sollte für diesen „Gender Pension Gap“ einen gewissen Ausgleich schaffen. Sie trat am 1. Juli 2014 in Kraft und war auf Betreiben der CDU/CSU in den Koalitionsvertrag der großen Koalition aufgenommen worden. Mit ihr soll ein zusätzliches Jahr Kindererziehungszeit bei Müttern (und auch Vätern) für die vor 1992 geborenen Kinder rentenrechtlich anerkannt werden – also nun zwei Jahre statt einem.

Die Mütterrente kompensiert jedoch nicht einmal annähernd die harten Auswirkungen der Unterhaltsreform, die 2008 mit dem neuen Unterhaltsrecht in Kraft trat. Mit dieser Maßnahme war die so genannte nacheheliche Eigenverantwortung eingeführt worden. Ein lebenslanger Anspruch für Geschiedene auf Versorgung wurde abgeschafft. Das Fatale an dieser „Reform“: Sie reicht weit zurück und gilt für alle Ehen, die nach 1977 geschieden wurden. Und betrifft damit diejenigen Frauen, die glaubten, alles richtig gemacht zu haben, weil sie sich aus dem Berufsleben zurückgezogen hatten, um ihre Kinder zu betreuen.

Die Mütterrente war gedacht, um Erziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren worden sind, anzuerkennen und Frauen vor Armut im Alter zu schützen. Dazu reicht allerdings eine Bruttorentenerhöhung um einen Entgeltpunkt (also von 28,61 Euro im Westen und 26,39 Euro im Osten) kaum aus. Diese Erhöhung wird zudem auf die Grundsicherung angerechnet. Das bedeutet faktisch, dass die Frauen dieser Generation für ihre Erziehungsarbeit bestraft werden.

Problemfall Flexi-Rente

Am 1. Januar 2017 trat ein erster Teil des Renten-„Reform“-Pakets in Kraft, das unter dem Namen Flexi-Rente bekannt geworden ist. Die Initiative dazu ging aus von den Wirtschaftsverbänden und den ihnen besonders nahe stehenden Kräften in der CDU/CSU-Fraktion, vor allem der Mittelstandsvereinigung. Das Projekt war als Gegengewicht gegen die von Union und Wirtschaftsverbänden ungeliebte „Rente mit 63“ gedacht und sollte für Beschäftigte, die die Regelaltersgrenze erreicht hatten, eine Weiterarbeit attraktiv machen. Weitere Teile des Pakets treten zum 1. Juli 2017 in Kraft.

Vordergründig wird der so geschaffene vermeintlich flexible Einstieg in die Rente als Anreiz verkauft, die Rente durch längeres Arbeiten zu verbessern. Die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen lassen jedoch darauf schließen, dass längeres Arbeiten für viele Rentner, und hier insbesondere viele Frauen, aufgrund zu niedriger Renten zu einer bitteren Notwendigkeit werden wird. Wenn jenseits der Regelarbeitszeit weiter gearbeitet wird, entfallen die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung. Erwerbsarbeit von Rentnern und Rentnerinnen wird also billiger.

Das Vorhaben wurde vor allem von Gewerkschaften und Sozialverbänden kritisiert. Denn es handele sich vorrangig nicht wirklich um flexible und sozial abgesicherte Übergänge in die Rente, sondern schlicht darum, für Unternehmen billige Möglichkeiten zu schaffen, um Beschäftigten nach dem Erreichen der Altersgrenze weiter zu beschäftigen, damit sie ihre zu knappe Rente aufbessern können. Der DGB hatte stattdessen vorgeschlagen, eine Teil(alters-)Rente schon ab dem 60. Lebensjahr zu ermöglichen, um wirkliche flexible und soziale abgesicherte Ausstiege aus dem Erwerbsleben zu ermöglichen. Denn in der Tat besteht die Gefahr, dass eine weitere Zone prekärer Arbeit geschaffen wird und Ältere gegen Jüngere ausgespielt werden. Das würde wiederum vor allem Frauen treffen.

Von der Teilzeitfalle in die Altersarmut

Der Anteil der erwerbstätigen Frauen ist zwischen 1991 und 2014 von 57,0 Prozent auf 69,3 Prozent gestiegen (Tabelle 2). In dieser Zeit hat sich der Abstand zwischen den Quoten von Männern und Frauen deutlich verringert – von 21 auf etwa 9 Prozent.

Tab. 2: Erwerbstätigenquote der Frauen und Männer (15 bis 64 Jahre, in Prozent)

Tabelle siehe PDF !

Quelle: WSI Genderdatenportal, https://www.boeckler.de/53509.htm

Der Gender Gap ist jedoch unverändert hoch geblieben: Das Gros der erwerbstätigen Frauen arbeitet in Teilzeitjobs. Wie groß diese Lücke ist, wird deutlich, wenn die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern in Vollzeitäquivalente umgerechnet wird. Das zeigt die nachfolgende Abbildung 1, die die Vollzeitäquivalenzraten (VZÄR) berechnet. Im Genderdatenportal des WSI heißt es dazu: „Im Jahr 2011 liegt die VZÄR der 17- bis 67-jährigen Männer bei rund 77 Prozent; d.h. ihr durchschnittliches Arbeitszeitvolumen entspricht rund 77 Prozent einer Vollzeitstelle. Die VZÄR der gleichaltrigen Frauen liegt hingegen bei nur 48 Prozent; d.h. ihr durchschnittliches Arbeitszeitvolumen entspricht 48 Prozent einer Vollzeitstelle. Damit beläuft sich der Gender Gap der VZÄR auf 29 Prozentpunkte. Der Zeitvergleich für Deutschland zeigt, dass die VZÄR zwischen 2005 und 2011 sowohl bei Männern als auch bei Frauen ansteigen. Wegen des ähnlichen Anstiegs bliebt der Gender Gap jedoch fast konstant: In allen hier verglichenen Jahren liegt er bei rund 29 Prozentpunkten.“[5]

Abb. 1:

Siehe PDF !

Quelle: WSI Genderdatenportal

Derzeit arbeitet fast jede zweite erwerbstätige Frau in Teilzeit. Gegenwärtig sind 6,3 Millionen Frauen in sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjobs beschäftigt. Das ist ein Zuwachs von 2,5 Millionen innerhalb der letzten 13 Jahre. Die Quote der Vollzeitbeschäftigten unter den erwerbstätigen Frauen sank in dieser Zeit von 55 Prozent auf 40 Prozent. Damit steigt auch der Anteil der von Armut bedrohten erwerbstätigen Frauen. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts betrug die Armutsgefährdung von Frauen 2015 16,3 Prozent, besonders betroffen sind junge Frauen zwischen 18 und unter 25 Jahren mit 26,5 Prozent und Alleinerziehende. Mehr als 700.000 berufstätige Frauen stocken ihr Einkommen mit Hartz IV auf. Teilzeit wird auch deswegen für Frauen zur Falle, weil es gegenwärtig noch immer nicht möglich ist, von einer Teilzeitbeschäftigung (wieder) in eine angemessene Vollzeitbeschäftigung zu wechseln. Schon heute arbeiten 1,1 Millionen Frauen unfreiwillig in Teilzeit.[6]

Im ersten Halbjahr 2017 entbrannte eine heftige Debatte über ein (in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenes) Vorhaben des Bundesarbeitsministeriums, das Teilzeit- und Befristungsgesetz um einen Passus zu ergänzen, der es Beschäftigten ermöglichen sollte, auf Wunsch von der Teilzeit in die Vollzeit zurückzukehren. Dieses Rückkehrrecht sollte in Betrieben ab 15 Beschäftigten gelten. Wirtschaftsverbände und große Teile der CDU/CSU-Fraktion opponierten heftig dagegen und sahen den Untergang der mittelständischen Wirtschaft herannahen. Da sich der Koalitionsausschuss im März dieses Jahres nicht auf einen Kompromiss einigen konnte, wurde das Projekt auf Eis gelegt. Es hat in der verbleibenden Zeit der Legislaturperiode keine Aussicht mehr auf Verabschiedung.

Fehlentwicklung Minijobs

Ende 2014 waren knapp 5 Millionen Menschen in Minijobs beschäftigt, von ihnen waren 3,2 Millionen weiblich[7] (vgl. zu diesen und den nachfolgenden Daten in diesem Abschnitt: DGB 2015). Dieser hohe Frauenanteil ist kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter staatlicher Fehlanreize, die Frauen mit Kindern Tätigkeiten in regulären Vollzeitstellen erschweren (Ehegattensplitting, mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten usw.). Häufig wird behauptet, es handele sich bei den Minijobberinnen um nicht oder nur gering qualifizierte Arbeitskräfte. Dies wird in der DGB-Untersuchung klar widerlegt. Danach verfügen 51 Prozent der Befragten über einen qualifizierten bzw. über einen akademischen Berufsabschluss, nur 13 Prozent haben keine abgeschlossene Ausbildung, und von 36 Prozent ist das Qualifikationsniveau unbekannt.

Dieser großen Gruppe der Beschäftigten werden arbeitsrechtliche Ansprüche – häufig sogar der Mindestlohn – vorenthalten, tarifliche und arbeitsrechtliche Ansprüche wie Weiterbildung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Chance auf eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entfallen ebenfalls. Statt einer Brückenfunktion entsteht aus einer Kombination von gezielten sozial- und steuerrechtlichen Maßnahmen ein „Klebeeffekt“ an diese Jobs.

Paradigmenwechsel seit den 1970er Jahren

Ein kurzer historische Rückblick an dieser Stelle zeigt: Seit den 1970er Jahren kam es zu einem deutlichen Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit (siehe dazu den Beitrag von André Leisewitz in diesem Heft). Diese Zunahme ging einher mit einer zählebig weiterbestehenden Diskriminierung der Frauen – sowohl hinsichtlich des Entgelts als auch hinsichtlich weiterer sozialer Aspekte. Im Grunde vollzog sich in diesen Jahren ein bis heute spürbarer Paradigmenwechsel: Es war der Abschied vom tradierten Alleinernährer-Familienmodell der Adenauer-Ära und der frühen Bundesrepublik hin zu einem Zwei-Verdiener-Modell (mit Einschränkungen), das den Frauen erstmals das Recht auf eine eigenständige Existenzsicherung zuerkannte und dem reale ökonomische und sozialkulturelle Veränderungen und Reformbedarfe zugrunde lagen. In sozialdemokratischen Konzepten der späten 1960er und frühen 1970er Jahre zu mehr Gleichstellung gab es echte Fortschritte – allerdings auch stets begrenzt und von Rückfällen bedroht.

Dieses für die BRD neue Modell überwand bestehende Diskriminierungen der Frauen nicht wirklich. Insofern waren die tatsächlichen Reformansätze der damaligen (kurzen) sozialliberalen Ära immer inkonsequent und danach auch zunehmend überformt von stärker werdenden neoliberalen Deregulierungs- und Flexibilisierungsstrategien. Dies vor allem seit dem Beginn der CDU/CSU/FDP-Koalition seit 1982 und auch unter der rot-grünen Koalition von Schröder usw. Die sich modernisierende kapitalistische Wirtschaft benötigte in immer stärkerem Maße auch die Arbeitskraft der Frauen, verwies sie jedoch weiterhin – wie die Daten zeigen – in minderbezahlte und dann auch zunehmend prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Zugleich wurde den Frauen nach wie vor die Hauptlast der Reproduktionsarbeit aufgebürdet. Unter den wechselnden Regierungskoalitionen wechselten lediglich die Akzente, mit denen die verschiedenen Seiten dieser Medaille betont wurden. Dabei ging es stets auch darum, in welchem Maß und in welcher Kombination die immer mehr anwachsenden Bedarfe der Reproduktionsarbeit familiär (also durch die Frauen) erledigt oder staatlich bedient und finanziert werden sollten.

Sorge-Arbeit

„Arbeit“ im Kapitalismus ist überwiegend Lohnarbeit – sieht man einmal davon ab, dass rund 10 Prozent der Erwerbstätigen Selbstständige sind. Bezahlte Arbeit ist diejenige, für die es auf dem Arbeitsmarkt eine Nachfrage gibt. Dieser eingeschränkte Blick auf die Arbeit wird zu Recht kritisiert. Denn neben der bezahlten Erwerbsarbeit gibt es in erheblichem Umfang Sorge- und Hausarbeit, die im Wesentlichen von Frauen erbracht wird – sowohl bezahlt als auch unbezahlt. Das war in Wissenschaft und Politik lange Zeit ein blinder Fleck. Noch 1985 stellte eine Studie des IMSF fest, es handele sich hier um ein von der amtlichen Statistik überhaupt nicht untersuchtes Gebiet: „Neue Untersuchungen zur Hausarbeit liegen nicht vor.“ (IMSF 1985, S. 210ff., hier S. 213)

2001 betrug das Gesamtvolumen aller unbezahlten Arbeiten in Deutschland 96 Mrd. Stunden und war damit nahezu doppelt so umfangreich wie die Erwerbsarbeit mit 56 Mrd. Stunden (Statistisches Bundesamt 2003). Eine von der Erwerbsarbeit isolierte Betrachtung der Reproduktionsarbeit verstellt mithin den Blick auf die Wirklichkeit. Beide Sphären sind eng miteinander verbunden. Sorge-Arbeit – bezahlt wie unbezahlt – muss geleistet werden, um bezahlte Produktionsarbeit überhaupt zu ermöglichen. Insbesondere die überwiegend von Frauen unentgeltlich verrichtete Haus- und Sorge-Arbeit reduziert die Kosten der Arbeitskraft. Sorge-Arbeit ist damit allerdings auch Voraussetzung dafür, dass Frauen weiterhin in dauerhafter ökonomischer Abhängigkeit von ihren Partnern leben.

Angesichts der Kürzungen im Sozialbereich und der wachsenden Bedeutung marktwirtschaftlicher Kriterien im Gesundheits-, Pflege- und Erziehungsbereich verschlechtern sich in diesen Branchen die ohnehin schlechten Arbeitsbedingungen weiter. Personalmangel und getaktete Zeit in der Pflege führen zu einer chronischen Überlastung der Beschäftigten. Nancy Fraser kommentiert diesen Sachverhalt als eine tiefsitzende sozialreproduktive „Krisentendenz“ oder als Widersprüchlichkeit in sich: „Einerseits handelt es sich bei der sozialen Reproduktion um eine zentrale Bedingung fortwährender Kapitalakkumulation. Doch andererseits tendiert die Ausrichtung des Kapitalismus auf unbegrenzte Akkumulation dazu, genau jene Prozesse sozialer Reproduktion zu destabilisieren.“ (Fraser 2017, S. 106) Dieser Widerspruch liege der Krise der Sorge-Arbeit zugrunde.

Geringe Wertschätzung der Arbeit von Frauen

Durchschnittlich und auf das Jahr bezogen arbeiten Frauen bis in den März hinein – bis zum „Equal Pay Day“ – praktisch ohne Entgelt, wenn man ihre Löhne mit denen ihrer männlichen Kollegen vergleicht. (2017 war der Equal Pay Day der 18. März.) Ein wesentlicher Faktor für die Lohnlücke ist die Bewertung der Arbeit. Das betrifft in hohem Maße auch die Sorge-Arbeit. Maßgebliche Anforderungen an die Sorge-Arbeit werden ausgeblendet und die tatsächliche Leistung wird nicht angemessen honoriert.

Sarah Lillemeier (2017) hat den Comparable Worth (CW)-Index entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Arbeitsanforderungen und -belastungen in „Frauen-“ und „Männerberufen“ geschlechtsneutral vergleichen lassen. Bei den bisher entwickelten Arbeitsbewertungsverfahren, so die Autorin, seien häufig psycho-soziale Faktoren vernachlässigt worden. So werde beispielsweise Verantwortung mit Führungsverantwortung gleichgesetzt und nicht als Verantwortung für das Wohlergehen anderer Menschen verstanden. Der CW-Ansatz basiert auf der „Devaluationshypothese“, die davon ausgeht, dass Frauen generell einen geringeren gesellschaftlichen Status genießen als Männer. Die geringere Wertschätzung, verbunden mit dem Stereotyp, dass „Frauenarbeit leichte Arbeit“ sei, wirke sich auch auf die Arbeitsbewertung und damit auf die Bezahlung aus.

Katrin Auspurg, Thomas Hinz und Carsten Sauer (2017) stellen die provozierende Frage, ob Diskriminierung womöglich gesellschaftlich erwünscht ist. In ihrer Untersuchung stellen sie fest, dass die Befragten anfangs durchweg vollmundig erklärten, das Geschlecht solle bei der Bezahlung keine Rolle spielen. Um subtilere Einstellungen zu ermitteln, fragten sie nach und griffen auf Fallstudien zurück, die von den Befragten bewertet wurden. Im Ergebnis wurden die Gehälter, die für Frauen als angemessen und „gerecht“ betrachtet wurden, acht Prozent niedriger angesetzt als diejenigen für die Männer.

Zudem wurde oftmals assoziiert, Frauen seien weniger leistungsfähig und für den Arbeitgeber ein höheres Risiko, weil sie häufiger Familienauszeiten nähmen, z.B. weil sie schwanger würden oder die Kinder erkrankten. Ihre Orientierung sei nicht ausschließlich auf die Arbeit fokussiert. Diese praktisch wirksame Unterstellung wird von Auspurg u. a. als statistische Diskriminierung bezeichnet.

Sie verweisen zudem auf einen dritten Gesichtspunkt: Offenbar spiegele sich in Gerechtigkeitsvorstellungen die vorherrschende Ungleichheit wider. Weil Frauen in der Regel weniger verdienen, seien sie auch tatsächlich weniger wert. Es werde der fatale Schluss gezogen, dass weniger bezahlt würde, weil die Kompetenz von Frauen geringer sei.

Die in der Studie von der überwiegenden Mehrheit der Befragten geäußerte Meinung, das Geschlecht dürfe für die Bezahlung keine Rolle spielen, muss angesichts dieser Befunde in Zweifel gezogen werden. Hoffnung gäbe es, weil die Jüngeren die Geschlechtergleichheit schon verinnerlicht hätten und sie nicht nur behaupteten.

Politische Initiativen für mehr Gleichstellung

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) startete in den letzten Jahren Initiativen, die den Anspruch erhoben, mehr partnerschaftliche Arbeitsteilung in den Familien zu fördern.

Im schon erwähnten Gutachten zum zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wird nachgewiesen, dass Frauen 52,4 Prozent ihrer täglichen Arbeitszeit unentgeltlich für die Erziehung von Kindern, für die Pflege von Angehörigen, für Hausarbeit und für Ehrenämter aufwenden. Sie verrichten durchschnittlich 87 Minuten mehr Care-Arbeit als die Männer und wenden damit anderthalb Mal so viel Zeit für diese Arbeiten auf als die Männer. „Mütter verrichten in dieser Konstellation täglich 2 Stunden und 30 Minuten mehr Care-Arbeit als Väter, so dass der gesamte Gender Care Gap für Personen in Paarhaushalten mit Kindern 83,3 Prozent beträgt.“ (Zweiter Gleichstellungsbericht 2017, S. 39)

Dieser „Gender Care Gap“ wird als Zeichen ungleicher Verwirklichungschancen von Männern und Frauen bewertet. Um Gleichstellung zu erreichen, wird in dem Gutachten verlangt, Erwerbs- und Sorge-Arbeit zusammen zu denken. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Erwerbsarbeit, Pflege, Kinderbetreuung und Hausarbeit müssen geändert werden. Der Bericht unterbreitet eine Reihe konkreter Vorschläge, um beispielsweise die professionelle Sorge-Arbeit aufzuwerten und besser zu bezahlen. Eine gleichstellungsorientierte Gestaltung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit soll auch Männer motivieren, verstärkt private Sorge-Arbeit zu leisten.

Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, der Einführung des Basiselterngeldes (2007) und dem Elterngeld Plus (2015), verbunden mit einem Partnerschaftsbonus, wurden erste Voraussetzungen geschaffen, um in Ansätzen eine partnerschaftliche Arbeitsteilung und eine eigenständige Existenzsicherung für Frauen zu fördern. Eine lebensphasenspezifische Arbeitszeitverkürzung in der Eltern- oder Pflegezeit sowie für Weiterbildung und Ehrenamt ist geplant. So soll die Elterngeld Plus-Regelung zu einer Familienarbeitszeit ausgeweitet werden. Eltern sollen 300 Euro pro Monat für zwei Jahre erhalten, wenn sie ihre Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche reduzieren.[8] Dies wäre ein erster Schritt zu einer kurzen Vollzeit für alle. Allerdings bleiben die Realisierungschancen für diese Vorschläge gegen Ende der Legislaturperiode offen.

Ein zögernder Schritt nach vorne

Nach langem Ringen einigte sich die Große Koalition Anfang des Jahres auf ein Gesetz zu mehr Lohngerechtigkeit von Frauen und Männern. Darin ist vorgesehen, dass in Firmen mit mehr als 200 Beschäftigen eine Auskunftspflicht darüber besteht, wie hoch die Einkommen von Kollegen und Kolleginnen in vergleichbaren Positionen sind. Aus Datenschutzgründen sollen nur Durchschnittsgehälter genannt werden. Außerdem sollen die Firmen bei zukünftigen Stellenausschreibungen verpflichtet werden, ein Mindestgehalt anzugeben. Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten sollen regelmäßig einen Bericht zum Thema Lohngleichheit vorlegen. Mit diesem Gesetz würden 14 Millionen abhängig Beschäftigte per Rechtsanspruch die Höhe ihres Gehalts mit den anderen im Betrieb gezahlten Gehältern vergleichen können. Im Konfliktfall muss der Arbeitgeber darlegen, dass gerecht bezahlt wird. Die Beweislast kehrt sich damit um.

Ursprünglich sollte diese Auskunftspflicht in Betrieben ab sechs Beschäftigten gelten. Das war allerdings mit der CDU/CSU nicht zu machen. In der beschlossenen Form erreicht es daher nur etwa ein Drittel der Erwerbstätigen. Die Arbeitgeberverbände hätten das Vorhaben am liebsten komplett verhindert. So kam gegen diese massiven Widerstände nur ein Kompromiss zustande. Das Gesetz wurde daher z. B. von den Gewerkschaften als ein erster Schritt in die richtige Richtung bewertet, der jedoch bei weitem nicht ausreiche.

Die meisten Frauen arbeiten in kleineren Betrieben. Ihnen wird das Gesetz wenig nützen. Ungleiche Bezahlung ist keine individuelle, sondern eine kollektive Benachteiligung. Deswegen wäre es notwendig, auch kollektiven Rechtsschutz zu gewähren. Außerdem müssten die Arbeitgeber verpflichtet werden, ihre Bezahlpraxis regelmäßig mit zertifizierten Verfahren überprüfen zu lassen. Freiwilligkeit hilft nach allen Erfahrungen nicht weiter. Dagegen würde eine stärkere Festlegung auf die Tarifbindung deutlichere Verbesserungen bringen. In Betrieben mit starken Mitbestimmungsstrukturen und Tarifverträgen ist die Bezahlung schon heute deutlich gerechter.

Es sind immer nur kleine Schritte auf dem Weg zu einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung. Aber wie schwierig es ist, mehr Gerechtigkeit herzustellen, wird deutlich, wenn auch die Sicht der Unternehmerverbände mit einbezogen wird.

Die Sicht der Unternehmer

In einer Analyse des von den Arbeitgebern finanzierten Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) wird behauptet, die Unterschiede beim Gehalt ergäben sich wesentlich aus individuellen Entscheidungen der Frauen. Und seien im Übrigen auch gar nicht so groß wie zumeist behauptet. „Die Annahme, bei der Lohnlücke handele es sich um Diskriminierung durch die Unternehmen, ist unsachgemäß“, erklärte der IW-Direktor Michael Hüther.[9] Er vertrat die Auffassung, die unterschiedliche Lohnhöhe von Frauen und Männern sei im Wesentlichen eine Folge von Beschäftigung in bestimmten Branchen oder werde von der Betriebsgröße bestimmt. Es habe sich gezeigt, dass Frauen in Hochlohnbranchen unterrepräsentiert seien und tendenziell in kleineren Betrieben arbeiteten. So seien gut drei Viertel aller Stellen in den – eher niedrig entlohnten – Bereichen Erziehung und Unterricht sowie im Gesundheits- und Sozialwesen von Frauen besetzt. In dem – eher hoch entlohnten – verarbeitenden Gewerbe seien jedoch weniger als drei von zehn Beschäftigten weiblich. Zudem nähmen Frauen seltener Führungsaufgaben wahr und arbeiteten häufiger in Teilzeit als Männer. „Die Entscheidungen über Karriere sind jedoch rein privat.“ Damit wird nahegelegt, Frauen seien selber schuld, wenn sie weniger verdienten. Eine gesetzliche Regelung zur Lohngerechtigkeit sei demnach überflüssig, wirtschaftlich schädlich und störe den Betriebsfrieden. Was aus frauenpolitischer Sicht skandalisiert wird, wird von den Arbeitgebern zu einem Argument erhoben, das genau diese Diskriminierung rechtfertigt.

Ungleichheit als strukturelles Problem

Tatsächlich sind Berufswahl und die Wahl des Arbeitsplatzes und der Art der Tätigkeit zumeist keineswegs eine beliebige persönliche Entscheidung. Die Ungleichheit in Beruf und Karriere „ist strukturell bedingt und keineswegs nur mit unterschiedlichen, frei gewählten Präferenzen von Frauen und Männern zu erklären. Wer das behauptet – wie das IW – übersieht den Einfluss, den gesellschaftliche Rahmenbedingungen auf individuelle Entscheidungen ausüben“ (Streidl 2017, S. 14). Frauen nehmen Auszeiten zur Kinderbetreuung, weil Männer das größere Einkommen haben und ihr Betrieb ihnen eine längere Elternzeit ungern gewährt. Später übernehmen Frauen weniger gut bezahlte Teilzeitjobs, die häufig nicht in den oberen Karriereleitern angesiedelt sind. Noch später müssen sie mit geringeren Rentenerwartungen zurechtkommen. Solche Entscheidungen werden also nicht völlig frei getroffen, sondern sind gesellschaftlich bedingt. Insofern befinden wir uns „noch immer in der Steinzeit“, kritisiert Marcel Fratzscher, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).[10]

Kleine Schritte zu partnerschaftlicher Erwerbs- und
Familienarbeit

In einer Untersuchung des WZB werden die betrieblichen Voraussetzungen einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit untersucht (Bernhardt u.a. 2016): Demnach richten sich die Wünsche junger Eltern darauf, die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern zu überwinden oder wenigstens weiter abzuschwächen. Gerade bei den Vätern klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Während 83 Prozent der befragten Männer keine oder höchstens zwei Monate Elternzeit genommen haben, hätte sich mehr als die Hälfte (52 Prozent) mindestens drei Monate Elternzeit gewünscht. 35 Prozent der Mütter und 42 Prozent der Väter plädieren für annähernd gleiche Wochenarbeitszeiten. Mehr als die Hälfte der befragten Mütter (52 Prozent) und Väter (56 Prozent) geben an, ihre Arbeitszeit aus finanziellen Gründen nicht reduzieren zu können. Außerdem verhindern betriebliche Gründe eine Arbeitszeitreduktion. Knapp jeder zweite Vater (46 Prozent) und knapp jede dritte Mutter (30 Prozent) haben derzeit keine passende Stelle mit einer geringeren Stundenzahl in Aussicht. 36 Prozent der Väter geben an, dass Teilzeit in ihrem Betrieb für Männer unüblich sei, 34 Prozent sagen, dass die Vorgesetzten dagegen seien.

Diese Ergebnisse zeigen, dass noch immer viele Hindernisse zu überwinden sind und Veränderungen nur gegen Widerstände mühsam und in kleinen Schritten erreicht werden. Eine im Februar 2017 veröffentlichte OECD-Studie zeigt, dass Frauen in Deutschland im europäischen Vergleich nach wie vor am wenigsten zum Haushaltseinkommen beitragen. Frauen in Deutschland arbeiten demnach häufiger in Teilzeit als in anderen Ländern, wenn auch in vielen Fällen unfreiwillig. Zwar investiere der Staat deutlich mehr als früher in die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, dennoch bleibe Deutschland Schlusslicht. Im jetzigen Deutschland hält sich die Diskriminierung von Frauen, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, besonders beharrlich.

Aber auch hier muss differenziert werden: Frauen aus den ostdeutschen Bundesländern wollen nach Erkenntnissen von Allmendinger und Haarbrücke (2013, hier S. 50) auch nach der Geburt von Kindern schneller wieder in den Beruf zurück als die Frauen im Westen. Sie sind mit den aktuellen Rahmenbedingungen unzufriedener und sprechen öfter von einem Versagen der Politik. „Etwas überspitzt ausgedrückt: Ostdeutsche Frauen fordern ein wesentlich höheres Engagement vom Staat, westdeutsche Frauen sehen eher die Männer in der Pflicht.“

Die externe Kinderbetreuung war in der DDR weitgehend akzeptiert. Diese Auffassung hat sich in Ostdeutschland bis heute stärker erhalten. Auch für Mütter war die Vollzeiterwerbstätigkeit normal, so dass die Frauen meistens nach Ablauf des Babyjahres wieder arbeiten gingen. Ab 1986 erhielten sie während der einjährigen Babypause den vollen Lohnausgleich. Die Kinderbetreuung war kostenlos, bis auf einen geringen Betrag für die Verpflegung.

Gegen Ende der DDR konnte dort die „modernisierte Versorgerehe“ als überwunden betrachtet werden. Die Erwerbsquote der Frauen betrug 91 Prozent. Elke Holst und Anna Wieber titeln ihren Beitrag im DIW-Wochenbericht: „Bei der Erwerbstätigkeit der Frauen liegt Ostdeutschland vorn“. (Holst, Wieber, 2014, S. 967) Allerdings weisen sie darauf hin, dass die Veränderungen nach der Wende erhebliche Auswirkungen auf die Lebensformen von Paarhaushalten mit Kindern hatten: „Das modernisierte Ernährermodell (Vater Vollzeit/Mutter Teilzeit) hat in beiden Teilen Deutschlands zugenommen, im Osten auf Kosten des Egalitätsmodells mit zwei Vollzeitbeschäftigten – in Westdeutschland auf Kosten des Alleinernährermodells.“

Fazit

Resümieren wir die Anstrengungen und Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen, so müssen wir feststellen, dass Frauen auch heute noch um Anerkennung und Wertschätzung ringen müssen. In der letzten Zeit werden sogar die Kräfte stärker, die darauf sinnen, den Rückwärtsgang einzulegen. Das hat viel mit der Renaissance rechtsextremer Bündnisse und Parteien zu tun. Patriarchalische familienpolitische Vorstellungen reichen bis weit in konservative Parteien hinein. Sie beruhen auf einer Sehnsucht nach traditionellen Familienwerten – gemeint ist heterosexuelle Elternschaft, verbunden mit einem Hass gegen alle Formen staatlicher Gleichstellungspolitik. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich zum Sprachrohr dieser konservativen Familienpolitik gemacht. So steht im AfD-Grundsatzprogramm von 2016 das Bekenntnis zum Leitbild der traditionellen Familie. „Gender Mainstreaming und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit.“ (S. 27) Noch deutlicher wird die Position, wenn von der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung zugunsten von „Gender-Wahn“ und gegen „staatliche Bevormundung“ polemisiert wird.

Die geringere Bezahlung von Frauen ist Teil eines umfassenden Diskriminierungs-Themas mit vielen Facetten. Zählebige historische Unterdrückungsmechanismen vermischen sich mit einem vorherrschenden neoliberalen Common Sense und individuellen Bedürfnissen und Interessen, die auf Kapitalinteressen an Lohndruck, Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, billiger Arbeitskraft zurückzuführen sind, verbunden mit neoliberalen Interessen an einem schwachen Staat, der Reproduktionskosten so weit wie möglich auf die Lohnabhängigen und insbesondere die Frauen abwälzt. Eine Allianz der Verfechter und Verfechterinnen von sozialer Sicherheit, Wohlstand und Emanzipation könnte ein Fundament für eine revitalisierte Frauenbewegung bilden, die für Gerechtigkeit kämpft.

Literatur

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[1] www.frauenlohnspiegel.de.

[2] S. a. Heribert Prantl: Warum Frauen so selten geeignet sind, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. 7. 2014.

[3] www.frauenlohnspiegel.de.

[4] Daten nach WSI-Genderdatenportal, https://www.boeckler.de/wsi_38957.htm.

[5] WSI Genderdatenportal; https://www.boeckler.de/64812.htm.

[6] WSI Genderdatenportal 2017, https://www.boeckler.de/wsi_38957.htm.

[7] Der DGB stützt sich dabei vor allem auf Daten der Bundesagentur für Arbeit.

[8] Pressemeldung des BfFSFJ vom 1. 8. 2016.

[9] Pressemeldungen des IW, 20. 6. 2016 und 18. 2. 2017; www.iwkoeln.de.

[10] Zeit online, 13. 1. 2017.