Kapitalismustheorie

Wohnungsbauboom und globale Kapitalverhältnisse

von Bernd Belina
März 2017

„Der private Wohnungsbau, auf den die Politik ihre Hoffnungen setzt, schafft so gut wie keine bezahlbaren Mietwohnungen. 95,3 Prozent der privaten Neubauwohnungen in den 20 größten deutschen Städten sind für die Mehrheit der deutschen Mieter nicht bezahlbar.“[1]

Seit einigen Jahren werden hierzulande wieder verstärkt Wohnungen gebaut. Auf die neue Wohnungsfrage[2] reagieren Politik und Wirtschaft primär mit dem Schlachtruf „bauen, bauen, bauen“. Wo Wohnungen fehlen, so die scheinbar simple Logik, müssen neue gebaut werden. Doch verweist das Eingangszitat darauf, dass gerade nicht solche Wohnungen gebaut werden, die sich Mieter mit niedrigem oder mittlerem Einkommen leisten können. Völlig zu Recht betonen Dieter Rink, Barbara Schönig, Daniel Gardemin und Andrej Holm[3], dass zur Behebung der Wohnungsnot „eine Rückkehr zu einer Wohnungspolitik, die aktiv preisgünstige Bestände schafft und sichert und Bodenpreissteigerungen eindämmt“ vonnöten wäre. Dabei sollte aber nicht aus den Augen verloren werden, dass eine solche Politik im Kontext globaler ökonomischer Prozesse und deren Niederschlag hierzulande eingebettet ist, die in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. Wohnungsbau im hochpreisigen bzw. Luxussegment in zentralen Lagen vieler deutscher Groß- und Universitätsstädte als profitable Investition erscheinen lassen. An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an: Die Interessen der profitorientierten Wohnungswirtschaft, so die These, gehen nicht nur an einer Lösung der neuen Wohnungsfrage vorbei, sie stehen der Schaffung bzw. dem Erhalt[4] von günstigem Wohnraum sogar entgegen.

Im Folgenden wird der aktuelle Wohnungsbauboom hierzulande im Kontext globaler Entwicklungen situiert und es werden dabei, im Sinne einer Kritik der politischen Ökonomie des Wohnungsbaus, zwei miteinander zusammenhängende Argumente stark gemacht. Erstens fließt derzeit so viel Kapital in den Neubau von Wohnungen im oberen Preissegment in (bestimmten Regionen von) Deutschland, weil (große und kleine, nationale und internationale) Investoren dies in Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise für eine der wenigen verbliebenen, einigermaßen sicheren und profitablen Anlagestrategien halten. Diese Zeitdiagnose ist eingebettet in das zweite, grundlegendere Argument: Der aktuelle Wohnungsbauboom hierzulande liefert ein schlagendes Beispiel dafür, dass Entscheidungen zu Qualität und Quantität des Bauens nicht nach Maßgabe des Bedarfs an (bezahlbarem) Wohnraum getroffen werden, sondern in Abhängigkeit von Entwicklungen globaler Kapitalströme und ihrer politischen Regulierung. Was und wo gebaut wird, wird durch Entwicklungen des globalen Kapitalismus und seiner politischen Regulation determiniert.

Der aktuelle Wohnungsbauboom

Abbildung 1 zeigt die Entwicklung des realen Bauvolumens der drei Bereiche Wohnungsbau, Wirtschaftsbau und öffentlicher Bau in Deutschland für 2004 bis 2014.

Abbildung 1: Entwicklung des realen Bauvolumens in Deutschland nach Baubereichen, 2004–2014, Index 2005; Datenquelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hg.), Strukturdaten zur Produktion und Beschäftigung im Baugewerbe. Berechnungen für das Jahr 2014, BBSR-Online-Publikation 17/2015, Bonn, S. 34.

In 2014 entfielen von den knapp 330 Milliarden Euro des Bauvolumens in Deutschland 56 Prozent auf den Wohnungsbau, 30 Prozent auf den Wirtschaftsbau und 14 Prozent auf den öffentlichen Bau. Die Abbildung ist auf das Jahr 2005 indiziert, wodurch besonders die unterschiedlichen Entwicklungen der drei Bereiche seitdem ins Auge fallen. Ihre Interpretation verdeutlicht den Zusammenhang zwischen (Wohnungs-)Bautätigkeit hierzulande auf der einen und globalen ökonomischen Prozessen und ihrer nationalen Bearbeitung auf der anderen Seite: Bis 2008, als die globale Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland ankam, legt der Wirtschaftsbau zu, bevor sich dessen Volumen in etwa einpendelt. Wirtschaftsbauten fungieren, marxistisch formuliert, als fixes Kapital und sind als solches „in die Ebbe- und Flutperioden des industriellen Zyklus direkt einbezogen“.[5] Deshalb hat das Bauvolumen in diesem Bereich in der hierzulande nur kurzen Phase einer spürbaren Krise 2008–2010 eine „Delle“. Der leichte Anstieg des öffentlichen Baus in den Jahren 2007 bis 2011 lässt sich auf die Konjunkturpakete im Rahmen des selektiven Krisen-Keynesianismus zurückführen. Er kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Bereich öffentlicher Infrastrukturen, die vor allem von Kommunen vorgehalten werden, insgesamt ein „Investitionsstau“ zu konstatieren ist. Das Volumen des Wohnungsbaus schließlich steigt seit 2009 deutlich an, zwischen 2009 und 2014 um 13 Prozentpunkte. Dass dies entgegen der generellen Konjunktur überhaupt möglich ist, liegt daran, dass Wohnungsbauinvestitionen „[a]ufgrund ihres quantitativen Gewichts […] eine eigene zyklische Bewegung [konstituieren]“.[6]

Abbildung 2: Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland in Prozent des BIP, Quartalswerte; Datenquelle: Deutsche Bundesbank Eurosystem, http://www.bundesbank.de/Navigation/ DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_details_value_node.html?tsId=BBDY1.Q.B30.Y.G750.R0200. A&listId=www_s300_iswi_realw2.

In einen längeren zeitlichen Kontext gestellt zeigt sich, dass der aktuelle Boom auf einen lang anhaltenden Rückgang der Investitionen in den Wohnungsbau folgt. Abbildung 2 verdeutlicht dies: Nach dem (durch Steuervergünstigungen angeheizten) Vereinigungsboom, der bis 1996 anhielt, fielen die Investitionen in den Wohnungsbau von 7,65 Prozent des BIP im 4. Quartal 1996 auf 4,97 Prozent im 4. Quartal 2005.

In jüngster Zeit aber sind die Investitionen in den Wohnungsneubau von 32,9 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 53,03 Milliarden Euro im Jahr 2014 angestiegen.[7] In den folgenden drei Abschnitten werden nacheinander die drei zentralen Gründe benannt, warum dieser Neubau vor allem im höheren oder Luxussegment entstehen. Während die drei Gründe zunächst aus der Sicht der Bauindustrie als Kosten (des Bauens, des Bodens und des Geldes) benannt werden, erfolgt ihre Diskussion im Hinblick auf die diesen Oberflächenerscheinungen zugrunde liegende Prozesse der Wertproduktion, der Grundrentensteigerung und des zinstragenden Kapitals.

Baukosten

Die Bauwirtschaft klagt medienwirksam über neue gesetzliche Auflagen bezüglich Energieeffizienz, Brandschutz etc., die das Bauen verteuerten. Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Bauen ist aufgrund der „relativ niedrige[n] organische[n] Zusammensetzung des Baukapitals“[8] immer eine kostspielige Angelegenheit. Alleine schon deswegen übersteigen selbst bei einfacher Ausstattung und geringer Größe Neubauwohnungen das Budget von Millionen von Mietern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen. Dieses Marktsegment ist für profitorientierte Investoren mithin uninteressant. Für größere Wohnung mit besserer Ausstattung (Balkon, Aufzug, Tiefgarage etc.) und Grundrissen entsprechend der Bedürfnisse solventer Mieter oder Käufer hingegen findet sich eine weit größere zahlungsfähige Nachfrage. Weil solche hochpreisigen Wohnungen in der Herstellung nicht viel teurer sind als einfacher Wohnraum, mit ihnen aber im Vergleich ein deutlich höherer Gewinn zu erzielen ist, sind sie das bevorzugte Produkt der Bauwirtschaft. Diese Extragewinne rühren mithin daher, dass der Preis solcher Wohnungen ihren Wert übersteigt, was, wie im folgenden Abschnitt thematisiert wird, die Grundrentenerwartungen steigen lässt. Die Mehrkosten durch neue gesetzliche Auflagen verteuern das Bauen von einfachen wie Luxuswohnungen gleichermaßen und verschärfen lediglich den genannten Grund dafür, dass bevorzugt im hochpreisigen Segment gebaut wird.

Es „finden sich in der 140-jährigen Geschichte des Wohnungsbaus […] keine Beispiele für die Errichtung preiswerter Mietwohnungen durch private Markteilnehmer“.[9] Dass durch ebendiese derzeit in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten Luxuswohnungen gebaut werden, lindert die Wohnungsnot gerade nicht, sondern vernichtet mitunter sogar bezahlbaren Wohnraum (wenn die Neubauten günstigeren Wohnraum an gleicher Stelle durch Luxussanierung oder Abriss und Neubau ersetzten) und treibt vor allem die Grundrenten in die Höhe.

Grundstückskosten

Die Grundstückspreise sind in den interessanten Lagen der von Wohnungsknappheit betroffenen Groß- und Universitätsstädten in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Der Bodenpreis ist bekanntlich „nichts als die kapitalisierte und daher antizipierte Rente“.[10] Vereinfacht formuliert: Je mehr Grundrente ein Grundstück zukünftig durch Nutzung oder Verpachtung abzuwerfen verspricht, desto höher ist sein Preis. Die „koordinierenden Funktionen, die [die Grundrente] bei der Allokation von Landnutzungen und bei der geographischen Organisation des Raums ausübt“[11], entscheiden darüber, was wo passiert. In der aktuellen Situation führt das zu zwei Besonderheiten. Erstens versprechen wegen der hohen zahlungsfähigen Nachfrage Luxus- und hochwertiges Wohnen – am „richtigen“ Ort und bei hoher Wohnfläche pro Grundfläche – zukünftige Einnahmen, die über jenen anderer Nutzungen liegen. Zweitens befeuern die mauen Aussichten in anderen Investitionssphären die Spekulation auf Grundrentensteigerungen. Im Folgenden wird auf beide Aspekte näher eingegangen, um zu betonen, dass beide Aspekte sowohl zur Lösung der neuen Wohnungsfrage kontraproduktiv als auch politisch veränderbar sind.

Zum ersten Aspekt: Der Neubau von Luxuswohnen und die Luxussanierung vorhandenen Wohnraums steigert die zukünftige Grundrente, also die zu erwartenden Einnahmen durch Verkauf oder Vermietung – und zwar so sehr, dass diese mit den zu erwartenden Einnahmen durch andere, sonst weit rentablere Nutzungen wie Bürogebäude, Hotels oder Einkaufszentren konkurrieren können. So werden in Frankfurt a.M. Büros angesichts eines hohen Leerstandes profitabel in Wohnraum umgewandelt, allerdings zu Mietpreisen von über 12 Euro/qm.[12] Wie hoch die zukünftigen Einnahmen sind, zeigen insbesondere die teuersten Wohnungsneubauten, die gerade in Frankfurt entstehen. Die Penthouse-Wohnung eines Luxusneubaus im Westend, der an Stelle eines abgerissenen Bürohauses entsteht, wurde für 18.000 Euro/qm verkauft, und in einem Neubau auf einem ehemals gewerblich genutzten Areal zwischen Altstadt und Bankenviertel direkt am Main kosten die 100 entstehenden Luxus-Eigentumswohnungen bis zu 10.000 Euro/qm.[13] Ersteres Projekt richtet sich explizit an ein sehr reiches Klientel, das bisher im Umland wohnte, jetzt aber Urbanität suche. Es ist damit ein einschlägiges Beispiel für die Enteignung der kollektiv produzierten Stadt durch „die räuberischen Methoden der Immobilienunternehmer, Finanziers und einkommensstarke[n] Konsumenten“[14], von der David Harvey spricht. „Räuberisch“ nennt er dies, weil städtische Räume durch die Bewohner der Mittel- und Arbeiterklasse attraktiv und lebendig gemacht werden, die dann von den Grundrentensteigerungen gerade nicht profitieren, sondern durch sie sogar aus diesen Räumen verdrängt werden. Anders formuliert: Die Grundrente wird möglich durch die Praxen Aller, von ihnen profitieren aber nur Wenige auf Kosten Vieler. Um die Stadt jenen zurückzugeben, die sie durch ihre Alltagspraxen als urbanen, lebendigen und lebenswerten Raum produzieren, müssten sie, so Harvey weiter, zu einem kollektiven und nicht-kommodifizierten „Common“ werden, zu einem Gemeingut also, was nur gegen die Verwertungsinteressen der Immobilienwirtschaft möglich ist.

Das zweite erwähnte Projekt, ein Wohnhochhaus, illustriert den aktuellen Trend zu solchen Wohntürmen in Frankfurt[15], den es hierzulande in dieser Form sonst noch nirgends zu geben scheint. Dieser Trend verdeutlich zum einen, dass Bodenknappheit die Vermehrung der Nutzfläche pro Grundstück durch weitere Stockwerke befeuert, und damit – weil bei großer Wohnfläche höhere zukünftige Einnahmen zu erwarten sind – wiederum die Bodenpreise. Für Toronto, wo Condominium Towers (Hochhäuser mit überwiegend Eigentumswohnungen) seit den 00er Jahren boomen, beschreiben Ute Lehrer und Thorben Wieditz die Konsequenzen: einen „Anstieg der Immobilienpreise mit dem Resultat, dass Menschen, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind, verdrängt werden“.[16] Zum anderen wird hier besonders deutlich, dass der lokale Staat solche Entwicklungen ermöglichen muss, weil sie eine Änderung des Bebauungsplans benötigen, die vom Stadtparlament beschlossen werden muss. Dass Luxuswohnen an bestimmten Orten derzeit lukrativer ist als die Produktion anderer Nutzungen, muss also politisch unterstützt werden. Verstärkt wird dies durch die weit verbreitete Praxis der öffentlichen Hand, eigene Grundstücke im Höchstpreisverfahren zu veräußern, anstatt etwa durch „Konzeptvergabe“ in Erbpacht gemeinnützigen Trägern die Produktion bezahlbaren Wohnraums zu ermöglichen.

Zum zweiten Aspekt: Dass derzeit die Grundstückspreise in zentralen Lagen vieler Groß- und Universitätsstädte aufgrund der gestiegenen Erwartungen bezüglich der Profitabilität ihrer zukünftigen Nutzung explodieren, führt direkt in die Spekulation. Die Tatsache, dass der Preis von Grund und Boden grundsätzlich davon abhängt, was zukünftig mit ihm an Grundrente erwirtschaftet werden kann, und dass sich letzteres durch allgemeine politische und ökonomische Entwicklungen ohne Zutun des Eigentümers wie von selbst ändern kann, macht Grundstücke von vorneherein zu Spekulationsobjekten par excellence. Mitunter muss man nur warten, um mit Gewinn verkaufen zu können. Wer darüber hinaus, wie der Spekulant Saccard in Zolas Die Beute, über exklusive Informationen bezüglich zukünftiger Nutzungsmöglichkeiten verfügt – etwa zu anstehenden Stadtplanungsentscheidungen –, oder diese Entscheidungen sogar zu eigenen Gunsten zu beeinflussen in der Lage ist (etwa durch „Kontakte“), kann diesen Prozess deutlich beschleunigen.

Doch auch ohne – in diesem Bereich nie auszuschließende – illegale Aktivitäten ist in Zeiten wie diesen und an Orten wie den Zentren der Groß- und Universitätsstädte hierzulande das reine Warten ein Geschäftsmodell: „Mitverantwortlich [für die steigenden Grundstückspreise] sind reiche Familien, deren Finanzverwalter ‚Land Banking‘ betreiben: Sie kaufen gezielt Grund und Boden und spekulieren darauf, dass ihr Wert steigt.“[17] Für Frankfurt schätzt die IG BAU, dass „[e]in Fünftel aller Baugenehmigungen im Wohnungsbau […] aus Gründen der Spekulation nicht sofort umgesetzt“[18] werden.

Beide Aspekte zusammen führen dazu, dass derzeit Grund und Boden so teuer ist – und bezahlbarer Wohnraum gerade nicht gebaut bzw. erhalten wird. Dies gilt nicht nur auf den unmittelbar von Luxusneu- und -umbau oder Spekulation betroffenen Grundstücken, sondern auch in deren Umgebung. Denn auch wenn die Grundrente auf Basis des Eigentums an einem Grundstück eingestrichen wird, das, raumtheoretisch formuliert, nur durch Abgrenzung und Individuation im absoluten Raum möglich ist, so ist dessen Tauschwert bzw. Preis durch seine Lage im relativen Raum bestimmt, also durch seine Nähe oder Entfernung relativ zu anderen Raumnutzungen und Aktivitäten (was sich im bekannten „location, location, location“ der Immobilienbranche ausdrückt).[19] Ein Mechanismus, durch den sich dies in steigenden Mieten äußert, ist die Berechnung der „ortsüblichen Vergleichsmiete“, die weitgehend auf Basis der Neuvermietungen erfolgt. Neue Luxuswohnungen erlauben so Mietsteigerungen anderswo.

Die teuren Grundstücke sind also nicht so sehr ein Grund dafür, dass derzeit nur teurere Wohnraum gebaut wird – wie dies die Immobilienbranche stets betont –, sondern vielmehr eine Folge eben jenes Baus von und Umbaus zu Luxuswohnungen. Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen ist nur möglich, wenn derartige Steigerungen der Grundrente (inklusive der Spekulation hierauf) verhindert werden, und damit nur gegen die Interessen jener, die von ihr profitieren. Es liegt also am politischen Willen bzw. an den Kräfteverhältnissen, eine entsprechende Planung zu betreiben und den Bodenmarkt adäquat zu regulieren. Dazu gehört auch und gerade, dass die öffentliche Hand ihren eigenen Grundbestand für den Bau und den Erhalt bezahlbaren Wohnraums einsetzt und diesen durch Zukauf oder auch durch Enteignung wieder vergrößert.

Kreditkosten

Die Kosten für Geld, die Kreditzinsen, sind so niedrig wie lange nicht mehr. In Abbildung 3 sind – als durchgezogene Linie – der prozentuale Anteil der Wohnungsbauinvestitionen am BIP aus Abbildung 2 zusammen mit der Entwicklung der Zinssätze von Wohnungsbaukrediten an private Haushalte (mit anfänglicher Zinsbindung über 5 bis 10 Jahre) vom ersten Quartal 2003 bis zum ersten Quartal 2016 dargestellt. Der Zusammenhang der sinkenden Kreditkosten ab Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 mit dem Anstieg der Wohnungsbauinvestitionen ist augenfällig.

Abbildung 3: Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland in Prozent des BIP, Quartalswerte (Quelle: siehe Abb. 2) und Effektivzinssätze deutscher Banken (Neugeschäft) für Wohnungsbaukredite an private Haushalte, anfängliche Zinsbindung über 5 bis 10 Jahre, Datenquelle: Deutsche Bundesbank Eurosystem, http://www.bundesbank.de/Navigation/DE/ Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_details_value_node.html?tsId=BBK01.SUD118.

Die Niedrigzinspolitik stellt einen politisch festgelegten Kompromiss in der Auseinandersetzung zwischen Finanzkapital auf der einen Seite und industriellem Kapital auf der anderen Seite dar, die die Profite ersterer zugunsten einer funktionierenden Kreditvergabe an letztere beschneidet.[20] Darauf Bezug nehmend betont EZB-Präsident Mario Draghi[21], dass niedrige Zinsen und der von ihnen ausgehende „Druck auf das Geschäftsmodell von Finanzinstitutionen“ nicht das Problem seien, sondern das „Symptom eines tiefer liegenden Problems, der weltweit unzureichenden Investitionsnachfrage“. Damit benennt er den aktuell wohl zentralen Widerspruch der Welt- und dabei auch und vor allem der europäischen Ökonomie: Die Wall of Money, wie das massenhaft vorhandene Geld in der Wirtschaftspresse genannt wird, dessen Besitzer nach Profit versprechenden Investitionsmöglichkeiten suchen, ist da, es gibt Geld – aber es wird nicht in ausreichendem Maße bzw. zu befriedigenden Konditionen an Unternehmen verliehen, die es benötigen. Denn Kredite für Unternehmen werden umso teurer, desto mehr deren Profitabilität in Frage steht. Und um letztere ist es in vielen Sektoren und/oder Weltgegenden seit 2007 nicht gut bestellt. Eine große Masse an Anlage suchendem Geldkapital trifft mithin auf eine Situation, in der klassische Anlagesphären– wie Aktien von Industrieunternehmen – für dieses Geld gerade nicht ausreichend interessant wirken. Die niedrigen Zinsen machen das Verleihen von Geld insgesamt und damit auch den Kauf von Staatsschuldpapieren – eine weitere klassische Anlagesphäre, insbesondere für risikoarme Investitionen – unattraktiv. Eine Sphäre, die durch niedrige Zinsen hingegen gerade als lohnend erscheint, ist – quasi als Nutznießerin der Niedrigzinspolitik – der Kauf und/oder Bau von Immobilien, unter anderem jener von Luxuswohnimmobilien in Deutschland. Die weit verbreitete Einschätzung lautet: „Anleger müssen bei den derzeit niedrigen Zinserwartungen rentable Investitionsgüter finden. Und das sind Immobilien.“ Und zwar hierzulande. Zwischen 2007 und 2013 konnte in den fünf größten EU-Staaten allein der deutsche Wohnungsbau ein Wachstum verzeichnen.[22] Warnungen, dass die hohen Investitionstätigkeiten in deutschen Großstädten zu Blasenbildungen führt, die, so einige Marktbeobachter, gar die Stabilität der deutschen Ökonomie gefährden würden[23], werden angesichts mangelnder Alternativen bislang noch kaum ernst genommen. Noch überwiegt offenbar die Hoffnung, dass die Rückzahlung der Kredite inklusive Verzinsung durch zukünftige Einnahmen, etwa aus Miete, geleistet werden kann; und dass auch in den Fällen, in denen Finanzmarktakteure diese zukünftigen Einnahmen bereits in verbriefter Form und mit bereits eingepreisten Mietsteigerungen weiterverkauft haben, was letztere noch mehr zu einer Notwendigkeit macht, als dies ohnehin schon der Fall ist.[24]

Billiges Geld – selbst eine Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise – macht gerade das Bauen von Luxuswohnungen interessant. Dasselbe billige Geld könnte bei entsprechendem politischem Willen genossenschaftlichen Bauträgern zur Verfügung gestellt werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen bzw. zu erhalten; und es müsste, um den konkurrierenden Trend zu Luxussanierung und -bau zu anzuhalten, für eben solche Vorhaben steuerlich oder durch Auflagen verteuert werden.

Fazit

Der aktuell gebaute Wohnraum ist gerade nicht dazu angetan, die neue Wohnungsfrage zu lösen. Er ist zu teuer, treibt die Grundstückspreise in die Höhe und wird durch billige Kredite ermöglicht, die Blasenbildungen befeuern. Eine Wohnungspolitik, die die neue Wohnungsfrage angehen will, und die nicht nur die Profite von Wohnungswirtschaft und Grundstücksspekulation steigert, muss den nicht profitorientierten Sektor auch und gerade auf Kosten des profitorientierten fördern. Nur gemeinnützig durch Genossenschaften oder den Staat bzw. die Kommunen gebauter und gehaltener Wohnraum, der nicht Profite abwerfen soll (die, nebenbei gesagt, via Zinszahlungen zu einem guten Teil an die Finanzindustrie gehen), kann einen Beitrag zur Lösung der neuen Wohnungsfrage leisten. Die Widerstände, auf die eine Politik stößt, die in eben dieser Richtung ein paar Weichen zu stellen sich anschickt, wurden deutlich an dem erzwungenen Rücktritt des in Deutschland wohl am einschlägigsten ausgewiesen Experten in diesen Fragen als Staatssekretär für Wohnen in Berlin im Januar dieses Jahres.

[1] Johannes Edelhoff und Christian Salewski, Panorama-Recherche zu privaten Investoren. Unbezahlbare Neubauten, 2016, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/immobilien-preise-neubauten-101.html.

[2] Barbara Schönig, Die neue Wohnungsfrage, in „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 2/2013, S. 17-20.

[3] Dieter Rink, Barbara Schönig, Daniel Gardemin, Andrej Holm, Städte unter Druck. Die Rückkehr der Wohnungsfrage, in: „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 6/2015, S. 69-79, hier: S.79.

[4] Häufig ist der Erhalt von abbezahltem und nur renovierungsbedürftigem Wohnraum nicht nur die ökologisch, sondern auch die sozial und ökonomisch sinnvollere Alternative zum dominanten Paradigma von Abriss und Neubau, vgl.: Daniel Fuhrhop, Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift, München 2015.

[5] Stephan Krüger, Entwicklung des deutschen Kapitalismus 1950–2013. Beschäftigung, Zyklus, Mehrwert, Profirate, Kredit, Weltmarkt, Hamburg 2015, S. 35.

[6] Krüger, Entwicklung des deutschen Kapitalismus 1950-2013, a.a.O.

[7] Bundesinstitut, Strukturdaten zur Produktion und Beschäftigung im Baugewerbe, a.a.O., S. 19.

[8] Helmut Brede, Bernhard Kohaupt und Hans-Joachim Kujath, Ökonomische und politische Determinanten der Wohnungsversorgung, Frankfurt a. M. 1975, S. 27.

[9] Andrej Holm, Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert, München 2014, S. 32.

[10] Karl Marx, Das Kapital. 3. Band, Berlin 1988, S. 816.

[11] David Harvey, The Limits to Capital, Oxford 1982, S. 333.

[12] Christoph Manus, Mehr Büros werden Wohnungen, in „Frankfurter Rundschau“, 14.01.2015, S. R16.

[13] Claus-Jürgen Göpfert, Wohneigentum wird noch teurer, in „Frankfurter Rundschau“, 23.01.2015, S. R13; Rainer Schulze, 6,4 Millionen Euro für 460 Quadratmeter, in „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 23.01.2014, http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurts-teuerste-wohnung-6-4-millionen-euro-fuer-460-quadratmeter-12764936.html.

[14] David Harvey, Rebellische Städte. Vom Recht auf Stadt zur urbanen Revolution, Berlin 2013, S. 146.

[15] Christoph Manus, Das Jahr der Wohntürme, in „Frankfurter Rundschau“, 09.01.2016, S. D3.

[16] Ute Lehrer und Thorben Wieditz, Condominium Development and Gentrification. The Relationship Between Policies, Building Activities and Socio-economic Development in Toronto, in “Canadian Journal of Urban Research” 1/2009, S. 82-103, hier: S. 93.

[17] Alexander Jung, Die neue Wohnungsnot, in „Der Spiegel“ 15/2016, S. 10-18, hier: S.17.

[18] Claus-Jürgen Göpfert, Spekulation im Wohnungsbau, in „Frankfurter Rundschau“, 27.07.2016, S. R16.

[19] David Harvey, Raum als Schlüsselbegriff, in: Räume der Neoliberalisierung, Hamburg 2007, S. 125-150.

[20] Guenther Sandleben, Politik des Kapitals in der Krise, Hamburg 2011.

[21] Mario Draghi, Addressing the causes of low interest rates. Introductory speech at the Annual Meeting of the Asian Development Bank, Frankfurt am Main, 2 May 2016, https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2016/html/sp160502.en.html, Herv. i. Orig.

[22] Stefan Rein und Christian Schmidt, Ausnahmeposition des deutschen Bausektors in Europa, in „BBSR-Analysen KOMPAKT“ 12/2014, S. 8.

[23] Metzler Asset Management, Deutschland. Immobilienpreisblase gefährdet die Stabilität Deutschlands, https://www.fundresearch.de/sites/default/files/partnercenter/metzler/news/news_2016/1605_Immobilien_Deutschland.pdf.

[24] Knut Unger, Financialization of Rental Mass Housing. Understanding the Transaction Cycles in the Mass rental Housing Sector 1999–2015, in: Barbara Schönig und Sebastian Schipper (Hg.), Urban Austerity, Berlin 2016, S. 176-190, hier: S. 186f.