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Die Pariser Klimakonferenz: Anlass zu Euphorie oder zu Skepsis und Sorge?

von Franz Garnreiter
März 2016

Franz Garnreiter

Die Pariser Klimakonferenz: Anlass zu Euphorie oder zu Skepsis und Sorge?

Das IPCC ist eine zwischenstaatliche Organisation auf UN-Ebene, die für politische Entscheidungsträger den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel, zu seinen Konsequenzen und zu Vermeidungsstrategien zusammenfasst. Der aktuelle Bericht des IPCC von 2014 macht deutlich: Die Folgen des globalen Klimawandels sind schon heute zu beobachten. Um annähernd 1° ist das weltweite Temperaturniveau seit der vorindustriellen Zeit bereits gestiegen – wegen der langsam und verzögert ablaufenden meteorologischen Prozesse ist ein Anstieg um etwa 1,5° bereits bewirkt. 20 Prozent der landwirtschaftlichen Böden der Welt sind bereits von fortschreitender Degeneration und Unfruchtbarkeit betroffen, nicht zuletzt aufgrund der klimatischen Änderungen. Ohne raschen und ambitionierten Klimaschutz ist ein Temperaturanstieg um mehr als 4° in diesem Jahrhundert zu erwarten. Dabei sind die Auswirkungen eines 4°-Anstieges sehr viel heftiger als nur das Doppelte der Auswirkungen eines 2°-Anstieges, der vielfach beschworenen Höchstgrenze, die Natur und Mensch noch verkraften könnten. Denn diese Auswirkungen wachsen nicht linear, proportional mit dem Temperaturanstieg, sondern weitaus schneller, überlinear, exponentiell, explosiv.

Die Internationale Energieagentur IEA der OECD wurde in den 1970er Jahren anlässlich der Ölkrise gegründet. Sie soll die Ressourcen-, Preis- und Verbrauchsentwicklung im Energiebereich beobachten und die Energiepolitiken der reichen Länder (der OECD) koordinieren. Die IEA konzentriert wohl das weltweit umfassendste Wissen zu Energietechnik und Energiewirtschaft. In den letzten beiden Ausgaben ihres jährlich erscheinenden Weltenergieausblicks WEO beschäftigt sich die IEA mit der Frage, ob denn die auf der Klimaschutzkonferenz in Paris von den Staaten zu erwartenden (WEO 2014) bzw. tatsächlich vorgelegten (WEO 2015) Klimaschutzpläne die Welt unterhalb der 2°-Grenze bleiben lassen. Die Antwort: Auch wenn man all die papierenen Lippenbekenntnisse der Staaten für bare Münze nimmt, dann ist eine langfristige Temperaturerhöhung um rund 3° zu erwarten – ein Wert, um den auch in Paris die Erwartungen zur Erwärmung kreisten. Es klafft also eine enorme Diskrepanz zwischen den Anforderungen eines Weges zu einer wirklichen Klimasanierung und der Klimapolitik, zu der die Staaten maximal bereit sind.

Die Klimakatastrophe ist noch nicht zwingend

Was ist nötig zur Wahrung einer maximalen Erhöhung um 2°? Das Klimageschehen ist hoch komplex und noch lange nicht zur Gänze verstanden. Deshalb kann man keine exakten Zahlenwerte angeben, ab wann genau diese Grenze überschritten wird. Deshalb werden von den Klimawissenschaftlern Orientierungswerte angegeben, jenseits derer die Wahrscheinlichkeit einer Erhöhung um mehr als 2° sehr hoch wird:

- Nach IPCC-Berechnungen muss die Menschheit zur Wahrung der 2°-Grenze die Emissionen von CO2 ab 1870 auf 2900 Gt (= Milliarden Tonnen) begrenzen. Bis 2011 wurden schon zwei Drittel dieses Wertes emittiert, so dass ab 2012 noch rund 1000 Gt maximal möglich sind. Die heutigen Emissionen belaufen sich weltweit auf etwa 55 Gt Treibhausgase (THG) jährlich, davon etwa 32 Gt Kohlendioxid (CO2) aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, der Rest aus industriellen Prozessen (z.B. Zementherstellung), Waldvernichtung und der Emission von anderen klimaschädlichen Gasen wie Methan, Distickstoffoxid u.a. (v.a. Methan aus der Landwirtschaft). Diese gerade noch tolerierbaren 1000 Gt, die für CO2 aus der Verbrennung fossiler Energien reserviert sind, werden im Jahr 2040 aufgebraucht sein, jedenfalls nach den Berechnungen der IEA in dem schon angesprochenen Szenario (WEO 2014, S. 87). Das ist offensichtlich eine Entwicklung, die gegen die Wand fährt. Deshalb schreibt die IEA, dass unbedingt schon vor 2020 der Rückgang der weltweiten Emissionen aus Verbrennung eingeleitet werden muss, „wenn das Ziel von 2°C nicht vollkommen unerreichbar werden soll“ (WEO 2015, S. 27). Tatsächlich ist genau das aber nach dem Stand der Klimaschutzpläne, die die Länder zur Pariser Konferenz eingereiht haben, wohl illusorisch. Die IEA, die eben diese Zusagen ihrer Prognose zugrunde legt, berechnet, dass die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energien kontinuierlich steigen werden, auch nach 2020, auch noch nach 2030, weiter bis zum Prognoseende 2040. 2040 liegen sie mit knapp 37 Gt um 15 Prozent höher als der heutige Wert von 32 Gt. Der Anstieg der jährlichen Emissionen war weltweit im Jahrzehnt 2000 bis 2010 weitaus stärker als jemals vorher in einem Jahrzehnt – angesichts dessen erfordert allein schon das Stoppen des Anstieges eine Riesenanstrengung.

- Begrenzung der Förderung von Kohle, Öl und Gas auf 10 Prozent bis 20 Prozent der heutigen Ressourcen. Das entspricht in etwa der Emissionsbegrenzung auf 1000 Gt. Bei dieser Darstellung wird aber deutlicher, wer die Gegner einer Klimasanierung sind: Kann man sich vorstellen, dass die extrem markt- und lobbymächtige Förderwirtschaft, dass Exxon und Shell, Total und Chevron, Aramco und Pemex und wie sie alle heißen, freundlich damit einverstanden sind, auf 80 Prozent, 90 Prozent des möglichen Geschäftes zu verzichten, bloß um irgendeine Temperaturgrenze in 100 Jahren zu wahren? Das Potsdam-Institut für Klimaforschung hat ausgerechnet: Wenn alle erreichbaren fossilen Energien gefördert und verbrannt werden (wenn sich die Öl- und Kohlekonzerne also absolut durchsetzen), dann dürfte die Antarktis abschmelzen, die Temperatur um 11° und der Meeresspiegel um 50 Meter steigen (SZ, 14. 9. 2015). Allerdings erst weit nach 2100, wenn es längst keine Ölwirtschaft mehr gibt.

Ist die Klimakatastrophe also schon unvermeidbar? Noch nicht – Betonung auf noch. Das IPCC sagt, dass mit einer sehr ambitionierten Klimapolitik das 2°-Ziel noch erreichbar ist. Die IEA rechnet ein „450 Szenario“, nach dem die 2°-Grenze vermutlich gerade noch zu halten ist. Außerordentliche Maßnahmen sind aus IEA-Sicht dafür erforderlich. Greenpeace hat im Herbst 2015 eine vorwiegend ingenieurwissenschaftliche Studie vorgestellt, die auf eine weltweite Nullemission von CO2 ab dem Jahr 2050 zielt. Von 2012 bis 2050 werden bei diesem Greenpeace-Szenario noch 670 Gt emittiert, also zwei Drittel des obigen Höchstwertes (Garnreiter 2015). Aus technischer und organisatorischer Sicht ist also eine Klimasanierung möglich. Die Klimakatastrophe ist (noch) nicht zwingend.

Die Pariser Klimakonferenz

Die Pariser Klimakonferenz war die 21. Folgekonferenz nach dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro. 20 Konferenzen in mehr als zwei Jahrzehnten sind eigentlich vollständig gescheitert. Lediglich auf der Konferenz in Kioto 1997 haben sich die Industrieländer zu Reduzierungen in Höhe von gut 5 Prozent ihrer Emissionen von 1990 verpflichtet (rund 1 Gt). Nach dem Ausstieg der USA und Kanadas aus diesem Vertrag blieb noch rund die Hälfte dieser Reduzierungsverpflichtung übrig, die dann bis 2012 erreicht wurde.

Nach diesen angesichts der Problemgröße erbärmlichen Maßnahmen, und nach dem jährlich wiederholten Scheitern der Verhandlungen wählte man einen neuen Ansatz. Statt sich in einer Konferenz über die Verteilung der noch möglichen Emissionen (der 1.000 Gt) verbindlich zu einigen, sollte doch jeder Staat bitteschön eine Erklärung abgeben, wie viel er selbst denn zu reduzieren bereit sei. Freiwillige und unverbindliche Selbstverpflichtung ist das neue Codewort, wobei die unverbindliche Selbstverpflichtung einen direkten Widerspruch ausdrückt. Das ist der eine große Punkt der Pariser Vereinbarung: die Verpflichtung zu freiwilligen Handlungen, deren Nichteinhaltung nicht sanktioniert wird. Außerdem werden alle fünf Jahre diese Klimaschutzpläne neu formuliert, wobei sie nur in Richtung stärkere Reduzierung geändert werden dürfen. Weil das alles unverbindlich ist, gibt es auch keine Schiedsstelle (analog der TTIP-Investitions- oder der WTO-Schiedsgerichte), auf der Staaten wegen zu hoher Emissionen angeklagt werden könnten.

Der andere wichtige Punkt ist die Zusage der Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Mrd. Dollar den armen Ländern für Emissionsreduzierungen und die Anpassung an Klimaänderungen zur Verfügung zu stellen (eigentlich: die Industrieländer werden zu solchen Finanzierungen „dringlich gemahnt“, wobei diese Finanzierungen auch aus Krediten und auch aus Auslandsinvestitionen der Konzerne bestehen können). Das klingt nach viel Geld, dürfte aber nur rund 0,2 Prozent des weltweiten Sozialproduktes ausmachen. Man weiß aber noch nicht, wer wie viel zahlen soll. Diese Zusage wurde eigentlich schon auf der Kopenhagener Klimakonferenz 2009 abgegeben, und sie ist das vorläufige Ende einer schon rund zehn Jahre dauernden Serie an ähnlichen Zusagen, die bisher kaum materialisiert wurden. Möge dieser Zusage ein besseres Schicksal beschieden sein als dem seit 40 Jahren immer wieder bekräftigten Versprechen der Industrieländer, die Entwicklungshilfe endlich auf 0,7 Prozent des Sozialproduktes zu erhöhen – ein Versprechen, das in der entsprechenden Statistik nicht die geringste Spur hinterlässt. Dagegen verankerte die Konferenz, entgegen dem Drängen der armen Länder, nicht das Recht, für klimabedingte Schäden, degradierte Böden, untergegangenes Land und Existenzvernichtungen eine Entschädigung zu verlangen. Die armen Länder wurden mit der Aussicht auf ein billiges Versicherungsmodell abgespeist.

Gemessen am Erwartbaren und an den Ergebnissen der bisherigen Konferenzen mag Paris – die Abgabe unverbindlicher Zusagen – ein Erfolg sein; gemessen am Notwendigen bedeutet Paris einen weiteren Nichterfolg für den Klimaschutz.

Wie sehr Paris eine euphorische Parallelwelt war, sieht man am Alltag in den Tagen danach. In Deutschland: Der Landwirtschaftsminister beeilte sich, als Erster mit dem Statement aufzuwarten, „dass die Landwirtschaft nicht zum Sündenbock der Klimaschützer werden dürfe“ (SZ, 15. 12. 2015), was heißt, sie müsse von jedweden Einschränkungen verschont bleiben. Merkel zählte auf dem gleichzeitig stattfindenden CDU-Parteitag ausführlich die Ereignisse des Jahres 2015 auf (7 Seiten Redemanuskript), hat Zeit für die Erwähnung der Absage eines Fußballspieles (1/4 Seite), aber für die wichtigste Klimakonferenz seit Jahren: absolut Null, keine Erwähnung. Die Deutsche Bahn – vielleicht zeitlicher Zufall – meldet zwei Tage nach der Konferenz, dass sie ihren Gütertransport bis 2017 radikal reduziert: minus ein Drittel der Arbeitsplätze und minus ein Drittel der Verladestellen. Verkehrspolitik? Profitmaximierung ist die Antwort! Man könnte meinen, dass die Aktienkurse der Energiekonzerne nach den so bejubelten Pariser Beschlüssen kräftigst verlieren – ihr Geschäftsfeld soll ja massiv beschnitten werden. Aber in der Woche nach Paris stiegen die Kurse der Stromversorger RWE und Eon um 3 bis 4 Prozent, einen Prozentpunkt mehr als der Dax. Exxon und Shell stiegen um 4 Prozent, während der Dow Jones leicht negativ war. BP, Shell und Total, die europäischen Ölkonzerne, verharrten auf dem Kursniveau der Vorwoche, nur leicht unter dem europäischen Kurstrend Eurostoxx. Das Kapital wertet die Pariser Beschlüsse also offensichtlich dahingehend, dass ihm von dort her keine Gefahr droht.

Deutsche Emissionspolitik – jämmerlich und unglaubwürdig

Das reale Desinteresse an der Pariser Konferenz und an der nervigen Klimapolitik überhaupt, das Bestreben, Klimapolitik beiseite zu wischen, zeigt sich insbesondere auch an der deutschen Emissionsentwicklung – das ist das Gebiet, auf dem eigentlich der selbst ernannte Energiewende-Weltmeister brillieren sollte.

Seit 1987 macht die Bundesregierung große Versprechen hinsichtlich zukünftiger Emissionsreduzierungen. Lange Zeit waren es 25 Prozent Reduzierung bis 2005 gegenüber 1990. Im Jahr 2005 stellte sich dann heraus, dass es gerade mal zu 20 Prozent gereicht hat, von 1.250 auf 1.000 Millionen Tonnen Treibhausgase, Methan etc. mit einbegriffen (siehe Grafik 1). Diese Reduzierung ist aber zu mehr als der Hälfte auf den Zusammenbruch und die Abwrackung der ehemaligen DDR-Industrie zurück zu führen. Nach Berechnungen des DIW verringerten sich die ostdeutschen Emissionen von 1990 bis 1995 um 135 Mio. Tonnen CO2, fast die Hälfte des Ausgangswertes von 1990 (Pomrehn 2007). Seither stagnieren die Emissionen in Ostdeutschland.

Die Lehre aus diesem Versagen war für die Bundesregierung, noch vollmundigere Versprechen zu machen: Nach ihrem Energiekonzept 2010 sollen die THG-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 sinken und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent. 40 Prozent minus bis 2020 heißt: 2020 dürfen noch 750 Mio. Tonnen THG emittiert werden, massiv weniger als der letztverfügbare Istwert für 2013 mit 952 Mio. Tonnen. Der Zielwert für 2050 liegt auf dem Niveau, das seit der Rio-Konferenz 1992 von Klimawissenschaftlern für die reichen Länder gefordert wird.

Grafik 1: Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente

Grafik 1 zeigt die Istentwicklung bis 2013, den notwendigen Verlauf zur Wahrung der Ziele 2020 und 2050 und die Entwicklung, wenn es so weiter geht wie bisher (BAU = business-as-usual nennen das die Szenariobauer). Im Durchschnitt der Jahre 1990 bis 2013 wurde eine Reduzierung um jährlich 1,2 Prozent erreicht (ohne den Effekt aus der Abwrackung der DDR-Industrie wären es nur 0,7 Prozent). Mit dieser Einsparrate käme man im Jahr 2050 auf gut 600 Mio. Tonnen THG, die Hälfte des Ausgangswertes 1990. Sicherlich nicht zufällig kommen die üblichen Prognosegutachten für die Bundesregierung häufig auf eine Reduzierung von rund 50 bis 60 Prozent für 2050. Mit einer Reduzierung um die Hälfte ist noch nicht sehr viel erreicht, denn dann liegt der Wert für 2050 immer noch fünfmal so hoch wie der Zielwert, wenn man diesen auf minus 90 Prozent beziffert. Und hier kommt noch ein wichtiger Umstand zum Tragen: eine Reduzierung um z.B. 100 Mio. Tonnen ist sehr viel einfacher bei einer Ausgangsmenge von 1.000 als bei einer von 200 Mio. Tonnen. Im ersten Fall handelt es sich um ein Zehntel, im zweiten Fall um die Hälfte des Ausgangswertes. Im ersten Fall reicht das Abstellen von Verschwendung, der zweite Fall bedeutet eine tiefgehende Strukturänderung. Deshalb ist es, wenn man die Anstrengung zur Emissionsreduzierung beurteilen will, sehr viel aussagekräftiger, wenn man die relative, also die prozentuale jährliche Änderung betrachtet. Denn Reduzierungen um z.B. 5 Prozent pro Jahr sind bei unterschiedlichen Ausgangsniveaus viel eher miteinander vergleichbar als Reduzierungen um z.B. 50 Mio. Tonnen.

Grafik 2: Jährliche Veränderungen der Treibhausgasemissionen in Deutschland in Prozent

Grafik 2 zeigt die jährlichen prozentualen Änderungen der THG-Emissionen in Deutschland seit 1990 und die nötigen Reduzierungen, um auf die Zielwerte für 2020 und 2050 zu kommen. Um das Ziel für 2020 noch zu erreichen, braucht man für die verbleibenden Jahre eine jährliche Reduzierung um 3,4 Prozent, ein Wert, der nur in den beiden ersten Jahren des Zusammenbruchs der ostdeutschen Wirtschaft und in der Weltwirtschaftskrise 2009 erreicht wurde. Noch schärfer stellt sich die Perspektive für die folgenden 30 Jahre bis 2050 dar: Hier ist kontinuierlich eine jährliche THG-Reduzierung um 5,8 Prozent nötig. Das ist fünfmal so intensiv wie der bisher erreichte Durchschnitt seit 1990 (1,2 Prozent). Nach dieser Betrachtung ist in den letzten 25 Jahren in Deutschland trotz aller Feiertagsreden wenig Nennenswertes und Bemerkenswertes in Richtung Klimaschutz passiert; die großen Aufgaben und Umstrukturierungen stehen alle noch an.

Das weiß natürlich auch die Bundesregierung. Um sich nicht völlig zu blamieren, hat sie im Dezember 2014 ein „Aktionsprogramm Klimaschutz“ verabschiedet. Es soll rund 70 Mio. Tonnen THG zusätzlich bis 2020 einsparen und damit die Lücke zwischen Trend und Ziel 2020 schließen. Wie Grafik 1 zeigt, wird das nicht reichen, weil die Lücke eher bei 120 Mio. Tonnen liegt. Aber sei’s drum.

Ein wichtiger Teil dieses Programms betrifft die Stromwirtschaft. 22 Mio. Tonnen Reduzierung sollten daraus resultieren, dass Gabriel den Braunkohleeinsatz verteuern wollte, wie er mit reichlich Selbstlob verkündete. Der BDI und die Stromgewerkschaft BCE machten Druck dagegen, und nach einem Dreivierteljahr Verhandlungen stand im Herbst 2015 das Ergebnis fest: RWE und Eon schalten einige alte überschüssige Kohlekraftwerke ab und kassieren dafür 1,6 Milliarden Euro Subventionen – statt der ursprünglichen Vorstellung, dass sie die Kraftwerke stilllegen, weil sie nach der steuerlichen Kohleverteuerung unrentabel werden – und die Emissionen sinken um 12 Mio. Tonnen, die Hälfte des angestrebten Wertes (wobei das m.E. schöngerechnet ist). In der darauf folgenden Woche explodierten die Aktienkurse von RWE und Eon mit einem Plus von rund 30 Prozent.

Was soll aus einer solchen Klimapolitik nur entstehen? Dasselbe beim Verkehr: Das genannte Aktionsprogramm will an prominenter Stelle die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene vorantreiben. Die Bahn (im Eigentum der Bundesregierung) beschließt zwei Tage nach der Pariser Konferenz den radikalen Abbau des Güterverkehrs. Absolut kabarettreif. Kurz vor dieser Konferenz kam eine von der Regierung berufene Kommission zum Ergebnis, dass das Klimaziel 2020 „erheblich gefährdet“ sei und „das Tempo der Emissionsminderung mindestens verdreifacht“ werden müsse (das ergibt sich auch aus Grafik 2). Die Regierung rechne sich ihre Szenarien zu oft schön und die niedrigen Ölpreise verschärften die Lage zusätzlich (SZ, 19. 11. 2015). Das ist alles eine stimmige Fortführung der desaströsen Energiepolitik, die dazu führte, dass Deutschland heute die kohleintensivste Stromwirtschaft unter allen reichen Ländern hat (Garnreiter/Selinger 2014).

Man könnte diese Gegenüberstellung von Istentwicklung, hehren Versprechungen und notwendiger Anstrengung auch für die EU und für die Welt insgesamt machen. Es käme ein ähnliches oder noch beunruhigenderes Bild heraus.

Befürchtungen

Viel Grund zum Optimismus besteht jedenfalls nicht. Im Gegenteil. Weil der Tag mit Riesenschritten näher kommt, an dem wir das 2°-Ziel (vom 1,5°-Ziel kann man bereits heute nicht mehr ernsthaft sprechen) endgültig aufgeben müssen, werden zunehmend neue verführerische Argumente vorgetragen, die suggerieren sollen, dass wir doch noch eine Menge Zeit haben und uns die Sache mit der teuren Energiewende und ihren Einschränkungen noch gründlich überlegen können und sollten. Ich meine die Stichworte Geoengineering und negative Emissionen.

Unter Geoengineering wird das gewollt-aktive und großräumige Eingreifen in das globale Klima verstanden, hier zum Stopp der Erwärmung. Es gibt eine ganze Menge von Theorien und Vorstellungen, wie die Erwärmung rückgängig gemacht werden könnte (Überblick in: UBA 2011). Es geht beispielsweise um die Installation von Spiegeln oder reflektierenden Scheiben im Weltall oder um das Ausblasen von Millionen Tonnen Schwefelverbindungen in die Stratosphäre (mehr als 20 km hoch), beides mit dem Ziel, einen Teil der Sonneneinstrahlung vor Erreichen der Erdoberfläche in den Weltraum zu reflektieren. Das Sonnenlicht soll also heruntergedimmt werden. Oder die großflächige Düngung der Ozeane mit dem Ziel, das Algenwachstum und damit die CO2-Aufnahme zu steigern, wobei das fixierte CO2 nach Absterben der Algen mit diesen auf den Meeresgrund absinken soll.

Allen Plänen gemeinsam ist, dass sie nur auf dem Papier das Beste versprechen und Forschungen zu den Auswirkungen noch gar nicht begonnen haben – z.B. zu der Frage, wie sich steigende CO2-Konzentrationen und die Versauerung der Ozeane zu einer künstlichen Temperatursenkung per Schwefelemission verhalten. Aber: Sie alle versprechen einen Erwärmungsstopp, der ingenieurmäßig nach Bedarf dosiert werden kann und der vergleichsweise billig ist. Eine Anpassung des Lebensstils – Entchemisierung des Alltags, Umbau des Verkehrssystems, Rücknahme der Wachstums-, Konsum- und Luxusgier – also ein Hinterfragen des westlichen Konsummodells, das ja keinesfalls auf die ganze Erde ausgedehnt werden kann, soll unnötig werden.

Ähnliches verspricht das zweite Schlagwort, die negativen Emissionen. In Zukunft, so die hoffnungsfrohen Protagonisten, verfügen wir über Techniken, mit denen wir das CO2 aus der Luft wieder herausholen können. Entweder über den großflächigen Anbau von Energiepflanzen (viele Millionen km² wären nötig), die wir verbrennen und deren CO2 wir aus den Rauchgasen ziehen und tief in die Erde oder am Meeresgrund versenken (so genannte Carbon Capture and Storage Technik). Oder wir filtern das CO2 gleich unmittelbar aus der Umgebungsluft, etwa in Anlagen entlang den Autobahnen. Oder durch die genannte Ozeandüngung. Diese Techniken sind zwar vielleicht nicht so billig wie die vorher genannten, aber sie eliminieren den Urheber, das CO2. Wenn das die Zukunft ist, so die unterschwellige Botschaft, dann können wir heute fröhlich weiter emittieren, denn wir holen das Zeug später wieder aus der Luft, wir haben dann also negative Emissionen. Dass CO2, auch wenn es verflüssigt ist, ein mehrfach höheres Volumen hat als die Ursprungsstoffe Kohle, Öl, Erdgas und dass es daher höchst zweifelhaft ist, ob wir ausreichend Platz finden, um das CO2 sicher zu entsorgen (am einfachsten: in den ausgeförderten Kohle- und Öllagerstätten), das ist hier kein Thema. Ebenso der Umstand, dass das Verfahren dermaßen energieintensiv ist (es sind regelrechte Chemiefabriken, die an die Kraftwerke angelagert werden müssen), dass es als der beste Weg erscheint, die vorhandenen fossilen Bodenschätze auf dem schnellstmöglichen Weg auszufördern.

Die absolut vage, aber in Zukunft m.E. sicherlich immer dringlicher und lockender propagierte Aussicht, die Welttemperatur nach Bedarf hoch und runter fahren und/oder negative CO2-Emissionen erreichen zu können, suggeriert und soll suggerieren, dass wir noch Jahrzehnte weiter machen können wie gewohnt und später immer noch alles korrigieren oder rückabwickeln können – und das sogar billig oder zu moderaten Kosten. Angesichts der Tatsache, dass die Auswirkungen dieser Techniken, und vor allem ihrer Kombination, nicht im Ansatz bekannt sind, wäre ein Sich-Einlassen auf sie sehr wahrscheinlich ein Vabanquespiel allererster Klasse, gegen das das heutige Ölverbrennen noch ganz harmlos wäre. Es wäre Vollgas und Vollbremsung gleichzeitig. Es braucht schon viel Gottvertrauen, um davon ein Gleichgewicht in der Klimaentwicklung zu erwarten. Das Umweltbundesamt bewertet diese Vorstellungen in vorsichtiger Sprache so: „Es besteht die Gefahr, dass die Treibhausgasminderung vernachlässigt wird, weil vermeintliche ‘Rettungsschirme’ zur Verfügung stehen.“ Und diese Maßnahmen können zudem ein „erhebliches Konfliktpotential“ zwischen den Staaten verursachen, weil sie zu aller globalen Unsicherheit hinzu „für Mensch und Umwelt regional sehr unterschiedliche Risiken verursachen“ (UBA 2011, S. 7). Genauso wie der Treibhauseffekt selbst, und damit dessen Risiken verdoppelnd.

Der französische Präsident Hollande meinte zur Pariser Konferenz: „Um die Klimakrise zu lösen, werden gute Wünsche und Absichtserklärungen nicht reichen.“ (SZ, 1. 12. 2015). Wie wahr! Es wird immer deutlicher, dass das kapitalistische System, das den kurzfristig erreichbaren Profit unabweisbar und gnadenlos höher bewertet als alle nichtökonomischen Interessen der heutigen und künftigen, der hier und anderswo lebenden Menschen, dass dieses kapitalistische System gewaltige Hindernisse auftürmt, die zur Rettung aus der Klimakrise überwunden werden müssen, was sicher die Funktionsweise des Kapitalismus im Kern betrifft. Ein erster Schritt wäre, auf der Basis kommunaler Wirtschaft und Daseinsvorsorge (hier: die Stadtwerke) eine neue, eine demokratisch kontrollierte und eine an gemeinsam beschlossenen Energie- und Klimazielen gebundene Energiewirtschaft aufzubauen und den bisherigen abgewirtschafteten Energiekonzernen ihre Markt- und Lobbymacht zu nehmen. Aber allein dazu ist schon eine politische Umwälzung nötig (vgl. Garnreiter u.a. 2012).

Quellen

Garnreiter, Franz: Die Energie-[R]evolution von Greenpeace, 3. 10. 2015, in: http://isw-muenchen.de/2015/10/die-energie-revolution-von-greenpeace/

Garnreiter, Franz, Helmut Selinger: Die Energiewende im Würgegriff der Konzerne. isw-Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung, Report 99, Dezember 2014

Garnreiter, Franz, Joachim Schubert, Conrad Schuhler, Helmut Selinger: Grüne Wende. Neue Farbe oder neues System? isw-Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung, Report 91, Dezember 2012

IEA: World Energy Outlook 2015, Paris

IEA: World Energy Outlook 2014, Paris

Pomrehn, Wolfgang: Klimaziele: Deutsche Ankündigungspolitik, in: Onlinemagazin Telepolis, 22. 8. 2007

SZ – Süddeutsche Zeitung: Klima der Ernüchterung, 15. 12. 2015

SZ – Süddeutsche Zeitung: „Es geht um die Zukunft des Planeten“, 1. 12. 2015

SZ – Süddeutsche Zeitung: Deutsche Klimaziele „erheblich gefährdet“, 19. 11. 2015

SZ – Süddeutsche Zeitung: Das Ende der Antarktis, 14. 9. 2015

UBA– Umweltbundesamt: Geo-Engineering. Wirksamer Klimaschutz oder Größenwahn? April 2011

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