Ein Hang zur Gigantomanie

Über zentralistische und dezentrale Strukturen alternativer Energieversorgung

von Wolfgan Pomrehn
Dezember 2011

Angela Merkel mag es groß, möglichst gigantisch. Aber sie ist dennoch flexibel. Nachdem sie nicht mehr umhin kam, die 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke wieder zurück zu nehmen, versucht sie nun den Ausbau der erneuerbaren Energieträger möglichst zentralisiert und großtechnisch zu gestalten. Allerdings geht es dabei natürlich nicht um die Vorlieben der Kanzlerin, sondern um die Interessen ihrer Auftragsgeber. Die großen Vier der Stromversorgung – EnBW, Vattenfall, E.on und RWE –, die es in guten Jahren auf einen gemeinsamen Gewinn von über 25 Milliarden Euro bringen können, wollen im Geschäft bleiben, und das gestaltet sich angesichts der Umbrüche in der Landschaft der Energieversorgung als nicht ganz so einfach. Die bisher eher kleinräumige Struktur von Sonnen-, Wind- und Biogasanlagen behagt den zentralistischen Riesen nicht.

Kleckern statt Klotzen

Daher hat die schwarz-gelbe Bundesregierung zwei Steckenpferde auf diesem Gebiet entwickelt, die Abhilfe schaffen sollen. Das eine sind die Offshore-Windparks vor den Küsten in der Nord- und der Ostsee. Für diese wurden die gesetzlich geregelten Einspeisevergütungen mehrfach heraufgesetzt, sodass der Windstrom von See, aus dem die Regierung gerne ein wichtiges Standbein für die künftige Energieversorgung machen würde, inzwischen mehr als 50 Prozent teurer ist, als die Produktion mit Windkraftanlagen an Land.

Der Vorteil, den diese Strategie für die Stromkonzerne hat, liegt auf der Hand: Die Windparks auf See sind so kapitalintensiv, dass sie nur von großen Gesellschaften aufgebaut werden können. Die vor allem in Schleswig-Holstein und Niedersachsen verbreiteten Bürgerwindparks sind daher auf See kaum möglich. Nur ganz hoch im Norden, vor der Küste Nordfrieslands, gibt es ein Projekt, dass auf die Initiative von Kleinanlegern aus der Region zurückgeht.

Die Sache mit den Offshore-Windparks hat allerdings einen Haken: Der Ausbau steckt immer noch in den Kinderschuhen; der schon vor fast zehn Jahren versprochene Boom bleibt immer noch aus. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist die Küstenferne. Zu Beginn des Jahrtausends hatte die seinerzeitige Regierung unter Gerhard Schröder den Grundsatzbeschluss gefasst, dass die Windparks in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) entstehen sollen. Das sind jene Gewässer jenseits der 12-Meilen-Grenze, die zwar nicht mehr zum Hoheitsgebiet der Küstenstaaten zählen, aber ihnen nach internationalen Verträgen zur alleinigen Nutzung überlassen sind. Für gewöhnlich liegt ihre Grenze 200 Seemeilen (rund 360 Kilometer) vor der Küste, aber in Nord- und Ostsee haben sich die Anrainer auf einen relativ komplizierten Grenzverlauf geeinigt, der diese Meere vollständig unter ihnen aufteilt.

Verschiedene Gründe sprachen seinerzeit dafür, die Windparks nicht direkt an der Küste, sondern weit draußen in der AWZ zu errichten. Vor den deutschen Nordseeküsten liegen verschiedene Nationalparks, mit denen das dortige Wattenmeer geschützt werden soll. Dort wäre ein Bau rechtlich schwierig und sicherlich auch nicht wünschenswert, denn das Wattenmeer ist ein einzigartiges Ökosystem, das in seinem Artenreichtum seines Gleichen sucht. Unter anderem gilt es als Kinderstube vieler Fischarten und sein Erhalt ist daher für deren Bestände von zentraler Bedeutung.

Ein weiterer Gedanke war, die Anlagen jenseits des Horizonts zu bauen, sodass es keine Klagen der Anwohner und der Tourismusbranche geben konnte. Und schließlich hat die AWZ-Lösung den Vorteil, dass sie allein in die Zuständigkeit des Bundes fällt. In den Küstengewässern hätten hingegen die Landesregierungen das Sagen gehabt, ein großer Wurf wäre daher schwieriger geworden.

Allerdings haben unerwartete technische Schwierigkeiten, das Fehlen von ausreichend Spezialschiffen und nicht zuletzt gestiegene Stahl- und Kupferpreise dafür gesorgt, dass sich die Planungen immer wieder verzögerten. Einzig vor dem ostfriesischen Borkum und vor dem mecklenburgischen Darß in der Ostsee, dort allerdings noch innerhalb der 12-Meilen-Zone, drehen sich seit neuestem ein paar Windräder. Aus dem Klotzen auf hoher See wurde also bisher nur ein kleines Kleckern.

Fehlschüsse

Das andere gigantomanische Steckenpferd der Bundesregierung ist der Sonnenstrom aus dem Süden. In Südeuropa und in Nordafrika seien die Bedingungen für Fotovoltaikanlagen viel besser als hierzulande und deshalb sollte Deutschland lieber seinen Strom von dort importieren, heißt es schon im Energiekonzept der Merkelregierung, mit dem diese im Sommer 2010 recht notdürftig die Verlängerung der AKW-Laufzeiten zu begründen versuchte. Entsprechend wird insbesondere gegen den hiesigen Ausbau der Fotovoltaik gewettert, das heißt jener Solaranlagen, die die einfallende Strahlung direkt in elektrische Spannung umwandeln.

Interessanter Weise haben aber bisher alle Querschüsse, die insbesondere aus dem Wirtschaftsministerium, aus der FDP und vom Wirtschaftsflügel der Unionsparteien kommen, eher das Gegenteil des gewünschten Effekts erzielt. Die Konzernfreunde richteten sich vor allem gegen die Einspeisevergütung, die das Erneuerbare Energiegesetz den Betreibern von Solaranlagen garantiert. Die Höhe wird vom Datum der Inbetriebnahme bestimmt und ist für jeweils 20 Jahre fixiert.

Obwohl 2010 diese Vergütung nun in mehreren zusätzlichen Schritten wesentlich schneller abgesenkt wurde als ohnehin vorgesehen, gab es einen gewaltigen Boom. Anlagen mit einer Spitzenleistung von insgesamt 7.408 Megawatt wurden installiert.[1][1] Das entsprach rund der Hälfte des Weltmarktes, der dadurch einen gewaltigen Schub erhielt. Die neuen Solaranlagenbesitzer wurden von der Diskussion um die Einspeisetarife und von den neuen Absenkungsterminen zwar verunsichert, aber nicht abgeschreckt. Sie beeilten sich vielmehr, noch vor den jeweiligen Stichtagen Anlagen zu kaufen und in Betrieb zu nehmen.

Das Gezeter der Lobbyisten erwies sich also als ein für sie folgenschwerer Fehlschuss. Der deutsche Boom hat im Zusammenspiel mit einer erheblichen Ausweitung der Produktionskapazitäten für Solarmodule insbesondere in China dazu geführt, dass die Preise kräftig gepurzelt sind. Allein in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres sind sie um weitere 20 bis 30 Prozent gefallen. Wenn dies so weiter geht, und damit ist durchaus zu rechnen, wird es sich für jeden Häuslebesitzer selbst ohne gesetzlich-geregelte Förderung lohnen, den eigenen Strom vom Dach zu ernten. Auch für Wohnungsbaugenossenschaften und andere könnte das zu einer lukrativen Nebeneinnahme werden, und viele Bauern sind ohnehin längst in diesen Markt eingestiegen.

Sonnenstrom aus dem Süden?

Da ist es also durchaus eine offene Frage, ob Konzerne und Bundesregierung nicht auch mit ihrem zweiten Steckenpferd, dem Sonnenstrom aus der Wüste, etwas spät dran sind. Vielleicht hätten sie doch früher auf den Club of Rome hören sollen, der seit Jahren im In- und Ausland die Klinken für das sogenannte Desertec-Programm putzt[2][2]. Selbst das jordanische Königshaus wurde eingespannt für die Idee vom Sonnenstrom aus der Wüste.

Vor rund zwei Jahren hatte das Werben Erfolg. Schwergewichte der deutschen Wirtschaft gründeten die Desertec-Industrie-Initiative, kurz dii GmbH.[3][3] Als Gesellschafter mit von der Partie sind unter anderem die Deutsche Bank, Siemens, MünchenRück, außerdem E.on und RWE und schließlich mit Schott Solar, MAN Solar Millennium und ABB auch drei Unternehmen, die als Hersteller ganz konkrete Interessen an dem Projekt haben. Eine ganze Reihe weiterer Industriekonzerne und Banken treten als assoziierte Partner auf.

Worum geht es? Die Idee ist, einen gigantischen Strom-Verbund zu schaffen, der den Nahen Osten, Nordafrika und die EU umfasst. EU-MENA wird die Region im Diplomatendeutsch genannt (EU, Middle East, North Africa). Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) mit speziellen Kabeln, die ABB liefern könnte, sollen das Grundgerüst bilden, mit dem der Strom über sehr lange Entfernungen bei vergleichsweise geringen Verlusten transportiert werden kann.

In der öffentlichen Debatte kommt von diesen Plänen bisher meist nur an, dass in den Wüsten Nordafrikas in Solarkraftwerken Strom für Europa erzeugt werden soll, aber ursprünglich war der Ansatz, für den der Club of Rome warb, wesentlich breiter. An den jeweils günstigsten Standorten sollten Windräder, Biogasanlagen, Wasserkraftwerke, Solarzellen sowie geo- und solarthermische Kraftwerke Strom in ein neu zu schaffendes internationales Verbundnetz einspeisen, das von Island bis Mauretanien, von Norwegen bis in den Süden der arabischen Halbinsel reichen würde.

Was ist von derlei Plänen aus technischer Sicht zu halten? Machbar wären sie, wie diverse Studien unter anderem des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt gezeigt haben.[4][4] Die Kosten, die allein für die Mittelmeer-Variante, also für Desertec, veranschlagt werden, erscheinen mit 400 Milliarden Euro zunächst gigantisch. Sie würden sich allerdings auf 40 Jahre verteilen und sind verglichen mit dem, was in dieser Zeit in die europäische Strom-Infrastruktur investiert werden muss, eher ein Nebenaspekt.

Das Speicherproblem

Für die Energieversorgung sowohl Europas als auch Nordafrikas und des östlichen Mittelmeerraums hätte eine großräumige Vernetzung einige Vorzüge. Der Ausbau der erneuerbaren Energieträger geht mit einem Speicher- oder Timing-Problem einher. Anders als in Kohle- oder Gaskraftwerken ist die Stromproduktion von Solarzellen und Windkrafträdern nicht steuerbar. Angebot und Nachfrage können daher zeitlich auseinander fallen. Am augenfälligsten ist das bei den Solarzellen, die nur bei Sonnenschein Strom liefern.

Wenn man jedoch die Solarkraftwerke über mehrere Zeitzonen verteilt, den Strombedarf also nicht nur aus der Nachbarschaft, sondern aus einem Pool von Kraftwerken deckt, die von der Atlantikküste bis zur arabischen Halbinsel verteil sind, dann lässt sich die täglich nutzbare Zeit verlängern und der negative Einfluss von Bewölkung und damit auch die Notwendigkeit, Strom zu speichern, minimieren.

Außerdem schwebt den Desertec-Freunden auch der Bau solarthermischer Kraftwerke vor. Diese konzentrieren die einfallende Sonnenstrahlung zum Beispiel mittels verspiegelter Parabolrinnen oder einer großen Anordnung von Reflektoren. Im Brennpunkt dieser Installationen wird ein Medium – das kann ein spezielles Öl oder auch ein flüssiges Salz sein – auf mehrere hundert oder auch über tausend Grad erhitzt. Diese Wärme wird ganz analog zu einem Kohlekraftwerk für die Erzeugung von Wasserdampf genutzt, mit dem wiederum eine Turbine angetrieben wird. Großer Vorteil dieser Variante: Die Wärme lässt sich für einige Stunden speichern, so dass auch noch nach Sonnenuntergang oder am frühen Morgen, bevor die Sonne ihre Kraft entwickelt hat, Strom geliefert werden kann. Das Problem: Diese so genannten solarthermischen Kraftwerke stehen nach dem jüngsten Preissturz der Fotovoltaik-Solarzellen als relativ teuer da. In den USA, die kurz davor stehen, sich zum El Dorado der Solarthermie zu entwickeln, sind einige Projektplaner in den letzten Monaten auf Solarzellen umgestiegen.

So wie für die Sonnenkraftwerke eine großräumige Vernetzung sinnvoll erscheint, ist sie es auch für Windkraftanlagen. Oberhalb von einigen hundert Kilometern gilt, dass es immer irgendwo weht. Wenn nicht an der deutschen Nordseeküste, dann eben vor Irland, oder auch vor Marokko, wo die Winde besonders beständig sind. Und wenn es wirklich einen Mangel an Windstrom gibt, dann können vielleicht die Wasserkraftwerke Schwedens und mehr noch Norwegens einspringen, oder eben auch der Sonnenstrom aus der Sahara, so die Vorstellungen der Desertec-Enthusiasten.

Und da diese Ideen angesichts der großen Speicherprobleme, die mit dem Ausbau der Erneuerbaren auf uns zu kommen, einen erheblichen Reiz haben, werden in Europa Teile dieses Konzeptes inzwischen vollkommen unabhängig von Desertec verfolgt. Der Europäische Windenergieverband fordert zum Beispiel, ein HGÜ-Kabel von der irischen See um die Nordspitze Schottlands und entlang der Küsten der Nordsee zu verlegen.[5][5] Damit könnten die entstehenden Offshore-Windparks miteinander verbunden und ihre Stromlieferung verstetigt werden. Bereits konkret in Planung oder teilweise schon verlegt sind verschiedene Kabel, die Norwegen mit den britischen Inseln und mit dem europäischen Kontinent verbinden. Künftig könnten sie genutzt werden, um in windreichen Zeiten überschüssigen Strom in norwegischen Pumpspeicherkraftwerken „zwischenzulagern“.

Neokolonialismus?

Bei einigen Linken ist Desertec als neokoloniales Projekt in Verruf geraten. Das ist angesichts der europäisch-arabischen Geschichte der letzten 1000 Jahre nicht weiter verwunderlich. Immer ging es darum, Nordafrika und die Levante zu unterwerfen und die dortigen Länder auszuplündern. Und immer auch, wenn es gerade passte, mit kriegerischen Mitteln, wie zuletzt im Irak und in Libyen. Und da es bei Desertec wie beim Öl um Energiefragen geht, liegt der Verdacht doch wirklich nahe.

Dennoch sind die Verhältnisse etwas komplizierter. In den betreffenden Ländern wird Strom heute meist in öl- und gasbefeuerten Kraftwerken gewonnen. Das ist teuer, insbesondere für jene Länder, die keine eigenen Quellen dieser fossilen Brennstoffe haben. Zudem entwickeln sich die Länder. Vor allem in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten Land der Region, wächst der Energie-Bedarf sehr schnell.

Da liegt es auf der Hand, diesen mit erneuerbaren Energieträgern zu decken, zumal die Länder mit reichlich Sonnenscheinstunden gesegnet sind. Marokko und Ägypten haben außerdem hervorragende Bedingungen für die Nutzung der Windenergie. Einige Standorte am Roten Meer gehören wegen ihrer starken und beständigen Winde zu den weltweit besten.

Entsprechend geht es nach Anspruch sowohl der Werber des Club of Rome wie auch der dii GmbH und vor allem der beteiligten Akteure in den MENA-Ländern nicht allein um elektrische Energie für Europa, nicht einmal unbedingt hauptsächlich. Die im arabischen Raum zu installierenden Sonnenkraftwerke, Windparks und ähnliches sollen vor allem den regionalen Bedarf decken und nur den Überschuss nach Europa liefern.

Aus historischen und geografischen Gründen liegt der Vergleich mit der Ölindustrie nahe. Es gibt allerdings eine ganze Reihe ökonomischer Unterschiede zwischen den Technologien: Solar- und Windkraft sind kleinteiliger. Da sie wesentlich weniger Kapital als ein Kohle- oder gar Atomkraftwerk oder auch die Erschließung eines neuen Ölfeldes benötigen, ist für ihre Errichtung nicht unbedingt ein potenter Investor, womöglich ein europäischer Konzern, von Nöten. Diese Rolle kann genauso gut von lokalen Geschäftsleuten, öffentlichen Körperschaften oder auch Genossenschaften wahrgenommen werden.

Außerdem sind sie arbeitsintensiver als die Ölindustrie und erfordern daher relativ viel hochqualifiziertes Personal vor Ort. Diese Fachkräfte sind aber zugleich nicht so einseitig spezialisiert wie Ölfacharbeiter und -Ingenieure, sondern können ohne weiteres auch im Handwerk oder in anderen Industrien arbeiten. Tatsächlich hat die dii GmbH in Zusammenarbeit mit marokkanischen Partnern bereits die Ausbildung von lokalen Fachleuten begonnen.

Schließlich besteht ein wesentlicher Vorteil von Wind- und Sonnenenergie darin, dass sie unerschöpflich sind. Vernünftig gemanaged könnte der Stromexport für die entsprechenden Länder zu einer stetigen Einnahmequelle werden. Die Arbeitsintensität zusammen mit einer nicht monopolisierten Eigentumsstruktur könnte außerdem zu einer dauerhaften Wertschöpfung in den jeweiligen Ländern führen. Dabei ist die Eigentumsstruktur natürlich keine rein technische Frage, sondern auch von den jeweiligen politischen und ökonomischen Kräfteverhältnissen abhängig.

Wer braucht Wüstenstrom?

Eine andere Frage ist, ob und wie viel Wüstenstrom in Europa gebraucht wird. In den südeuropäischen Ländern mögen einige Verbindungen Sinn machen, und tatsächlich gibt es bereits ein Kabel zwischen Marokko und Spanien. Bisher fließt dort der Strom aber ausschließlich südwärts. Ob allerdings auch Deutschland Strom aus Nordafrika braucht, ist eher fraglich.

Wind, Wasser, Biomasse und Sonne sind hierzulande durchaus ausreichend vorhanden, insbesondere wenn die Energie künftig effizienter eingesetzt würde. Den Strom überwiegend vor Ort in einer dezentral aufgebauten Stromversorgung mit erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen hätte dabei den Vorteil, das Wertschöpfung und damit Einkommen breiter gestreut werden könnten. Schon jetzt leisten die Erneuerbaren in einigen Regionen einen wesentlichen Beitrag gegen die Verödung des ländlichen Raums.

Inzwischen decken die erneuerbaren Energieträger hierzulande bereits ein Fünftel des Strombedarfs ab.[6][6] Die 35 Prozent, die die Bundesregierung für 2020 als Zielmarke anvisiert, werden von der Branche als viel zu niedrig erachtet. Nach Ansicht der Interessenverbände der Windmüller und Solaranlagenhersteller sind 45 Prozent bis 2020 möglich.[7][7] Olav Hohmeyer, Energieökonom an der Uni Flensburg, geht davon aus, dass die Vollversorgung mit Erneuerbaren bereits bis 2030 erreicht sein kann.[8][8] Allerdings ist kleinräumige Autarkie wegen des Timing-Problems kaum möglich, und so muss langfristig eine vernünftige Mischung aus eigenen Speichern – in Frage kommen zum Beispiel Druckluftkraftwerke oder auch die Nutzung alter Bergwerke – und grenzüberschreitendem Stromverbund gefunden werden.

Schlussfolgerung

Als Fazit lässt sich festhalten, dass es wenig Sinn macht, die energiepolitische Auseinandersetzung auf die Alternative Offshore-Windparks und Desertec auf der einen und dezentrale Erzeugung auf der anderen Seite zuzuspitzen. Die Energiekonzerne werden natürlich in den kommenden Jahren verstärkt versuchen, den kleinräumigen Ausbau mit dem Verweis auf den angeblich günstigeren Wüstenstrom zu behindern, und Teile der schwarz-gelben Koalition werden versuchen, ihre entsprechenden Wünsche auszuführen. Aber ob sie damit noch erfolgreich sein können, ist fraglich. Die Entwicklung ist bereits weit vorangeschritten und in der Bevölkerung populär. Entsprechend ließe sich politischer Gegendruck gegebenenfalls relativ leicht aufbauen, wie wir zuletzt auch an der Frage der Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke gesehen haben.

Wichtiger wäre es, die Frage nach der Kontrolle der Netze zu stellen. Diese werden von den Konzernen allzu oft gegen die Erneuerbaren eingesetzt. Für viele regionale Verteilnetze laufen in den nächsten Jahren die Konzessionsverträge aus, und mancherorts gibt es Bürgerinitiativen und engagierte Kommunalpolitiker, mitunter selbst in den bürgerlichen Parteien, die im Interesse der Entwicklung der regionalen Wirtschaft diese Netze wieder in öffentliche Kontrolle übernehmen wollen. In Berlin wird derzeit ein entsprechendes Volksbegehren vorbereitet, in Hamburg versucht die SPD einer ähnlichen Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen, in dem ein Anteil von 25 Prozent aufgekauft werden soll.

Etwas komplizierter, aber ebenso wichtig ist die Frage der großen überregionalen Höchstspannungsnetze, die in vier Regelgebiete aufgeteilt sind und sich traditionell in der Hand der vier großen Konzerne befinden. (Zum Teil mussten sie auf Druck der EU-Kommission in jüngster Zeit an andere ebenfalls gewinnorientierte Unternehmen abgegeben werden.) Hier könnte nach dänischem Vorbild eine öffentlich kontrollierte, nicht profitorientierte Gesellschaft das Ruder unternehmen, die sich aktiv um mehr Energieeffizienz und Speicher bemüht. Eine solche Übertragung würde natürlich auf erheblichen Widerstand seitens der Eigner stoßen. Ohne eine breite massive politische Mobilisierung wird das nicht durchsetzbar sein, wäre aber ein wichtiger Schritt auf dem Wege der notwendigen Zerschlagung der zentralistischen Strukturen in der Energieversorgung.

[1][9] Bundesverband Solarwirtschaft 2011: Entwicklung des deutschen PV-Marktes 2010/2011. Auswertung und grafische Darstellung der (vorläufigen) Meldedaten der Bundesnetzagentur nach § 16 (2) EEG 2009 – Stand 27.06.2011, http://www.solarwirtschaft.de /fileadmin/ content_files/ BNetzA-Daten_mai2011.pdf

[2][10] Pomrehn, Wolfgang, 2007: Der Club of Rome will Sonnenstrom en Gros aus Nordafrika und dem Vorderen Orient nach Europa schaffen, telepolis.de, http://www.heise.de/tp/artikel/26/26723/1.html

[3][11] http://dii-eumena.com/

[4][12] Czisch, Gregor, 2006: Szenarien zur zukünftigen Stromversorgung, kostenoptimierte Variationen zur Versorgung Europas und seiner Nachbarn mit Strom aus erneuerbaren Energien. Dissertation an der Universität Kassel. Siehe auch af der Themen-Webseite der DLR: http://www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-10200/

[5][13] EWEA 2009: Oceans of Opportunity – Harnissing Europe's largest domestic energy source, http://www.ewea.org/fileadmin/ewea_documents/documents/publications/reports/Offshore_Report_2009.pdf

[6][14] Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, Pressemitteilung vom 29. August 2011: Erneuerbare liefern mehr als 20 Prozent des Stroms – Anteil der Windenergie steigt im ersten Halbjahr auf 7,5 Prozent/Photovoltaik überholt zum ersten Mal Wasserkraft, http://www.bdew.de/internet.nsf/id/DE_20110829-PI-Erneuerbare-liefern-mehr-als-20-Prozent-des-Stroms?open&ccm=900010020010

[7][15] Bundesverband Erneuerbare Energie, 2009: Branchenprognose Stromversorgung 2020, http://www.bee-ev.de/_downloads/publikationen/studien/2009/090128_BEE-Branchenprognose_Stromversorgung2020.pdf

[8][16] Hohmeyer, Olav, Sönke Bohm, Gesine Bökenkamp und Frauke Wiese, 2011: Atomausstieg 2015 und regionale Versorgungssicherheit, http://www.duh.de/uploads/tx_duhdownloads/Kurzgutachten_Atomausstieg_2015_Uni_Flensburg.pdf

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