Editoral

Juni 2011

Die Umwälzungen im arabischen Raum betreffen einen Weltteil, der vor allem wegen seines Ölreichtums globale Bedeutung hat. Auch hier werden die Völker selbst aktiv und melden ihre Forderungen an. Damit ist der imperialistische Zugriff auf zentrale Rohstoffe nicht unmöglich geworden, die ehemaligen Herrscher der Welt aber müssen nun taktieren. Drei Beiträge beleuchten die inneren Triebkräfte und den Klassencharakter der Volksbewegungen und machen deutlich, wie unterschiedlich die Bedingungen in den einzelnen Ländern gelagert sind.

Die Veränderungen in Tunesien und Ägypten bewertet Werner Ruf im Kern als „Übergang von Despotie zu einer bürgerlichen Ordnung“, womit aber noch keine grundlegenden Machtverschiebungen verbunden seien. Es handele sich dort eher um einen „regime change light“. Die Entwicklung in Libyen dagegen sieht er als Bedrohung des Fortschritts zu liberaleren Regierungsformen und befürchtet, dass dadurch die Gewalt despotischer Regime und kolonialistische Einmischung wieder legitimiert werden könnten. Adam Hanieh untersucht genauer die Entwicklung in Ägypten. Er beleuchtet vor allem die wenig bekannte Vorgeschichte der Februarereignisse, die durch zahlreiche soziale Konflikte im Gefolge der Weltwirtschaftskrise gekennzeichnet war. Den ägyptischen Demonstranten, so beobachtet er, geht es um viel mehr als bloß um Demokratie: Indem sie die despotischen Regierungsformen angreifen, protestieren sie gleichzeitig gegen die neoliberale Form kapitalistischer Unterdrückung und Ausbeutung. Sabine Kebir macht auf die zentrale Rolle des arabischen Senders Al Dschasira für Vorbereitung und Verbreiterung der Aufstände aufmerksam. Dieser habe die in den arabischen Gesellschaften bestehenden Widersprüche offen gelegt und durch seine rasche und offene Darstellung der Ereignisse ganz entscheidend zur Ausbreitung der Bewegung über den gesamten arabischen Raum beigetragen. So zeigt sich auch im Medienbereich, dass die Interpretationsmacht des Westens an ihre Grenzen gestoßen ist.

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Als ein zentrales Feld der Organisation von Hegemonie für Formen bürgerlicher Herrschaft gelten spätestens seit den Gefängnisheften Antonio Gramscis die Medienapparate. Zeitungen und Zeitschriften, vor allem aber Fernsehen und Rundfunk sind freilich nicht bloß Apparate der Verbreitung und popularisierung von Ideologien, sondern gleichzeitig selbst ein mächtiger Industriezweig. Dessen nationale und internationale Eigentums- und Machtverhältnisse und deren politische Dimension stehen im Mittelpunkt des Schwerpunkts des vorliegenden Heftes. Dabei wird auch danach gefragt, in welchem Verhältnis die Eigentumsverhältnisse in diesem Sektor zu den medialen Inhalten stehen.

Einen Überblick über die Kapitalstrukturen des deutschen Medienmarkts gibt Gert Hautsch. Seinem Beitrag zufolge sind diese Strukturen bislang „erstaunlich stabil geblieben“. Nach wie vor stehen der Bertelsmann- und der Springerkonzern an der Spitze des Mediengeschäfts. Auffallend freilich ist, dass die Strategie des Aufbauens von umfassenden „Verwertungsketten“ in möglichst vielen Mediensparten gescheitert ist. Jörg Becker berichtet in seinem Beitrag vom weltweiten TV-Markt. Das überraschende Ergebnis seiner Analyse der Fernsehmärkte im Nahen Osten, Indien, China Afrika, Lateinamerika und USA-Europa: Die „weltweite Dominanz der US-amerikanischen Medien [ist] vorbei“. Becker bestätigt dabei die von Kebir vertretene These, dass Sender wie Al Dschasira das Meinungsmonopol westlicher Medien aufbrechen konnten.

Den Medien in links regierten Ländern Lateinamerikas widmet sich ausführlich Dieter Boris.Dabei untersucht er sowohl die Zentralisation und Konzentration der Medienstrukturen als auch die sehr unterschiedlichen Politiken der Regierungen in Venezuela, Argentinien, Bolivien und Ecuador beim Versuch der Durchbrechung traditioneller Medienmacht und der Etablierung demokratischer Medienstrukturen.

Fallbeispielen dafür, wie Medien Ideologie produzieren und verbreiten, sind die Artikel von Reiner Diederich, Achim Kessler und David Salomon gewidmet. Diederich analysiert die Zeitschrift SPIEGEL und arbeitet heraus, wie diese „Bildzeitung für den gehobenen Bedarf“ (Enzensberger) auf die Skandalisierung bestimmter Ereignisse setzt, auf die Aufdeckung so manch skandalösen Zustands indes verzichtet. Die Medienkampagne gegen die Partei DIE LINKE während des hessischen Landtagswahlkampfs ist Gegenstand des Beitrags von Kessler. Der Autor führt vor Augen, wie die Medien aus einzelnen prominenten Parteiaustritten ganze „Austrittswellen“ konstruieren und jede Diskussion als existenzbedrohenden Konflikt erscheinen lassen. Gleichzeitig warnt er die Linke davor, sich in der Rolle des „Opfers medialer Heimtücke gemütlich einzurichten“. Er empfiehlt, die Medien kritisch zu begleiten und zugleich Ansprechpartner zu bleiben. Salomon untersucht aktuelle Formate des Nachmittagsfernsehens auf RTL und Sat.1. Auf der einen Seite rekonstruiert er die Nachmittagsformate als Träger neoliberaler Ideologie. Gleichzeitig zeigt er Widersprüche auf, die sich als Ansatzpunkte für eine immanente Kritik des Trashfernsehens eignen.

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Domenico Losurdo sieht in seinem Beitrag „Marx, Hegel und die Ontologie des gesellschaftlichen Seins“ bei Hegel „die fortschreitende … Erkenntnis des Gewichts des gesellschaftlichen Seins …, aus dem man nicht ausbrechen kann und darf, auch wenn, ja besonders wenn man ambitiöse Pläne der Weltveränderung hegt.“ Hegels marxistische Kritiker, die die besondere Bedeutung der gesellschaftlichen Verhältnisse betonten, blieben umgekehrt nicht vor Rückfällen in einen „historischen Idealismus“ und „Messianismus“ gefeit. Die Geschichte des „Realsozialismus“ erwies sich insofern als „Geschichte einer schmerzhaften Entdeckung der Objektivität des gesellschaftlichen Seins“ – wie sich z.B. an der Stabilität gesellschaftlicher Einrichtungen wie Staat, Recht, Sprache, Nation, Religion, Markt usw. zeigte, all dem, was „bestimmt war, zu verschwinden“. Insofern benötigt der Marxismus, so Losurdo, eine Ontologie des gesellschaftlichen Seins, bei deren Entwicklung Hegel von Nutzen sein kann.

Die „Ökonomisch-philosophischen Manuskripte“ von Marx wurden 1932 erstmals auf Deutsch veröffentlicht – in einer gekürzten Fassung von Siegfried Landshut und (wenig später) vollständig in der MEGA1 durch David Rjazanov. Lars Lambrecht berichtet über die wissenschaftliche Biografie des Marx-Editors Siegfried Landshut und rückt dabei die Marx-Studien dieses (Mit-)Begründers der Politikwissenschaften in Deutschland in den Mittelpunkt.

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Weitere Beiträge:Einen kenntnisreichen Überblick über die Entwicklung der Treuhandanstalt gibt Joerg Roesler. Er zeigt, dass die Privatisierungsaktivitäten in der ehemaligen DDR auch der neoliberalen Wende in den alten Bundesländern Rückenwind verschaffen sollten. Wenig bekannt ist, dass die Belegschaften der später abgewickelten Betriebe teilweise aussichtsreiche Modelle demokratischer Selbstverwaltung entwickelt hatten. Diese wirtschaftsdemokratischen Ansätze wurden allerdings im Keim erstickt. Im zweiten Teil ihres Beitrags „Geschlecht – Nein Danke“ setzt sich Margarete Tjaden-Steinhauer kritisch mit der feministischer Theorietradition auseinander. Auch hier walte ein abstrakter Geschlechterbegriff, der sich letztlich als kontraproduktiv für eine wirkliche Emanzipation der Frauen erweise. Andreas Wehr diskutiert das Verhältnis zwischen dem heutigen Neoliberalismus und dem Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts am Beispiel von Domenico Losurdos Buch „Freiheit als Privileg“, einer Kritik der liberalen Denkern jener Epoche. Wehr teilt Losurdos Auffassung, dass der Neoliberalismus sich zwar auf die liberalen Traditionen beruft, tatsächlich aber nur eine Art „Wiedergänger“ ist und mit wirklicher liberaler Weltanschauung und Politik nichts zu tun hat.

Werner Röhr klopft die posthum erschienene Lenin-Biografie von Wolfgang Ruge und das umfangreiche Werk von Alexander Rabinowitch über die ersten Jahre der Sowjetmacht daraufhin ab, welche neuen Erkenntnisse sie über jene Zeit vermitteln können. Beide Studien behandeln zwar die gleichen historischen Geschehnisse, befassen sich, so betont Röhr, aber de facto mit unterschiedlichen Gegenständen. Rabinowitch liefert eine materialreiche Geschichte der Oktoberrevolution und zeigt, dass deren Inkriminierung als „Putsch ohne Massengrundlage“ haltlos ist. Ruges Buch ist als politische Lenin-Biografie angelegt und argumentiert vom Standpunkt eines abgewendeten und enttäuschten Leninisten.

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Die Berichte behandeln drei Tagungen zu strategischen Problemen der Linken: Reformalternative, Imperialismus, Ökologie und Arbeit. Im Rezensionsteil stehen Studien zur Geschichte der Arbeiterbewegung und zu aktuellen Problemen der Linken im Mittelpunkt. Z 85 (September-Ausgabe) wird Fragen der politischen Theorie und Bewegung, von Klassen und Bewusstsein thematisieren.