Buchbesprechungen

Einheit der Kommunisten

von Siegfried Prokop zu Harald Neubert
September 2010

Harald Neubert, Die internationale Einheit der Kommunisten. Ein dokumentierter historischer Abriss, 2. korrigierte Auflage, Neue Impulse Verlag, Essen 2009, 347 S., 19,80 Euro

Der Autor, der von 1974 bis 1989 als Direktor des Instituts für Internationale Arbeiterbewegung an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften der DDR wirkte, verstarb im August 2009. Als Experte für die Geschichte der kommunistischen Bewegung darf sein letztes Buch als eine Art Testament aufgefasst werden, das die Aufmerksamkeit der Linken verdient. Neubert, der sein Handwerk als Historiker mit einer Promotion über das frühe Mittelalter Italiens gelernt hatte, bekam von 1963 bis 1969 als Mitarbeiter der Abteilung Internationale Verbindungen im ZK der SED die Chance, sich mit den Widersprüchen und Problemen der kommunistischen Bewegung detailliert bekannt zu machen. 1973 habilitierte er mit einer Arbeit zur Geschichte der italienischen Arbeiterbewegung der neuesten Zeit.

Ein Grundzug des Herangehens von Neubert besteht darin, dass er sich konsequent um eine ausgewogene, sachliche und kritische Analyse bemüht. Dazu zählt auch, dass er die positiven Leistungen, die die UdSSR und die DDR erbracht haben, nicht klein redet. Neubert geht von drei Säulen der internationalen Einheit der kommunistischen Bewegung aus. Zu untersuchen seien:

- theoretisch-ideologisch der Marxismus(-Leninismus),

- organisatorisch-strukturell der Internationalismus und

- gesellschaftspolitisch der real existierende Sozialismus.

Die Einheit sei von Anfang an ein Konstrukt gewesen, das unmittelbar nach der Oktoberrevolution auf erklärlichen, aber euphorischen Überzeugungen und Ansprüchen basierte, die jedoch bald der sich rasch verändernden Realität nicht standhielten. Die Einheit habe auf Prinzipien und Wahrheiten basiert, die als feststehend begriffen wurden, aber der Dialektik der Entwicklung nicht mehr entsprachen.

Die im März 1919 in Moskau gegründete Kommunistische Internationale ging davon aus, dass der Kapitalismus sich in einer tiefen Krise befinde, eine revolutionäre Situation herrsche und die sozialistische Weltrevolution begonnen habe. Der einzige Ausweg aus der Krise wurde in der sozialistischen Revolution gesehen. Diese Orientierung sei die Ursache dafür, dass viele Mitgliedsparteien der Komintern sich zu strategischen und taktischen Fehlentscheidungen verführen ließen. Dies habe nichts gemein gehabt mit dem Verständnis Rosa Luxemburgs von einer „revolutionären Realpolitik“. Problematisch sei gewesen, dass die Komintern sich auf einen Internationalismus festlegte, der die Gleichberechtigung und Selbstständigkeit der kommunistischen Parteien nicht zuließ. Damit war auch der dem Internationalismus zugrunde liegende Zentralismus kein demokratischer, als der er ausgegeben wurde. Die ursprüngliche Idee der Komintern, die einheitliche kollektive Führung der ihr angehörenden Parteien zu sein, erwies sich als Illusion. Aus der verständlichen Fixierung auf die Oktoberrevolution, den Leninismus und die Solidarisierung mit Sowjetrussland habe sich in einem von Auseinandersetzungen begleitetem Prozess die Unterordnung der Komintern unter die Dominanz des russischen Bolschewismus ergeben. Die Oktoberrevolution avancierte, wovor schon W.I. Lenin gewarnt hatte, zum allgemeinen Modell und die Erfahrungen der KPdSU wurden als allgemeingültig deklariert. Von der gesamten kommunistischen Bewegung wurde das uneingeschränkte Bekenntnis dazu eingefordert.

Gleichwohl neigten die gerade neu gegründeten kommunistischen Parteien anfangs von sich aus zu Sektierertum und Dogmatismus. Diese Politik musste ihnen also nicht von der führenden KPdSU oktroyiert werden.

Mitte der 1920er Jahre bildete sich jenes sowjetische Gesellschafts- und Herrschaftssystem mitsamt der ideologischen Grundlage heraus, das später mit dem bis heute nicht einheitlich gebrauchten Begriff des Stalinismus bezeichnet wurde. Die Komintern übernahm die Stalinschen Positionen und erkannte sie als Grundlage ihrer Einheit an, was allerdings nicht ohne Widerspruch geschah und in der Folgezeit Ausgrenzungen von „Abweichlern“ nach sich zog. Stalin verwirklichte eine Praxis im Umgang mit anderen Parteien, die keinen Widerspruch duldete und die deren spezifische Interessen und Bedingungen nicht berücksichtigte. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Parteien wurde üblich. Stalin nahm auch Einfluss auf die Zusammensetzung der Führungen der kommunistischen Parteien. Neubert weist die kontraproduktive Wirkung der „Sozialfaschismus“-These nach. Wie sollte die von der Komintern angestrebte Arbeitereinheit zustande kommen, wenn die Sozialdemokratie zu den bürgerlichen Parteien gezählt wurde, die „einen mehr oder weniger faschistischen Charakter“ angenommen hätte? Noch auf dem V. Kominternkongress schloss die Delegation der KRPP auf Veranlassung Stalins und ohne Vollmacht der eigenen Partei einige Funktionäre der polnischen Partei aus der Führung aus und setzte ein neues Büro des ZK ein. Im Sommer 1938 verfügte das Präsidium der Komintern die Auflösung der Kommunistischen Partei Polens. Ihre Führer wurden verfolgt und, sofern sie sich in der Sowjetunion aufhielten, umgebracht.

In der Zeit des Siegeszuges des deutschen Faschismus entwickelten Komintern und KPD fragwürdige strategische Positionen. Die angestrebte breite Bündnisfront wurde durch die falsche Alternative eines Sowjetdeutschlands blockiert. Erfolgversprechend wären, meint Neubert, unter den gegebenen Kräftekonstellationen Bündnisse zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gewesen. Die bürgerliche Demokratie hätte für verteidigungswürdig gehalten werden müssen, wie das später der VII. Kominternkongress tat. Antifaschistische Bündnispartner, vor allem die Sozialdemokratie, wären dafür zu gewinnen gewesen. Es war realitätsfremd, dass zwischen der Herrschaft der Bourgeoisie in Form der bürgerlichen Demokratie und faschistischer Herrschaft kein Unterschied gemacht wurde.

Mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 begann die Abkehr von der antifaschistischen Grundorientierung des VII. Kominternkongresses. Im November 1940 stellte Molotow in Berlin die Frage nach dem Dreierpakt. Zur gleichen Zeit gab Stalin Dimitroff zu verstehen, dass die Komintern unter den neuen Bedingungen zum Hindernis für die Tätigkeit der kommunistischen Parteien werde und neue Formen der Arbeit notwendig wären. Falls Stalin sich tatsächlich dem Dreierpakt anzuschließen und ihn durch Beitritt der UdSSR zu einem Viererpakt zu verändern gedachte, gibt Neubert zu bedenken, hätte ihm die Komintern tatsächlich im Wege gestanden. Doch Hitler ließ Stalin keine Zeit, über dieses Projekt weiter nachzudenken. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 kam es zu einer anderen Koalition – zur Antihitlerkoalition mit den Westmächten. Die Auflösung der Komintern blieb weiter aktuell. Sie wurde im Mai/Juni 1943 vollzogen. Die Entscheidung fällten das EKKI-Präsidium und das Politbüro des ZK der KPdSU. Die anderen Parteien hatten nur die Möglichkeit, im Nachhinein zuzustimmen. Es ging der Sowjetunion darum, den Westalliierten im Interesse der Kriegskoalition die Bedenken und die Furcht zu nehmen, die Sowjetunion wolle mit Hilfe der Komintern Revolutionsexport zwecks eigener Machtausdehnung betreiben. Neubert ist überzeugt davon, dass Stalin die kommunistischen Parteien nicht mehr als Instrumente der Weltrevolution ansah. Aber als Potenzial, das der sowjetischen Außenpolitik dienlich sein konnte, sah er sie immer noch an.

Mit derselben Akribie wie die Komintern untersucht Neubert zwei weitere Versuche, die internationale Einheit der Kommunisten herzustellen: das Kominformbüro 1947- 1956 und die Internationalen Beratungen der kommunistischen und Arbeiterparteien 1957-1969. Daran schließt er eine grundsätzliche Betrachtung über den Zerfall der internationalen Einheit der kommunistischen Bewegung an.

Neubert lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die KPdSU große anerkennenswerte Verdienste um die Formierung und Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung besaß. Jedoch habe sie als führende, ja als bestimmende Partei der Bewegung zugleich das enge Korsett einer zentralistisch-hierarchischen Struktur und eines verbindlichen ideologischen Monismus aufgezwungen, wodurch ihre Aktions- und Integrationsfähigkeit nicht nur erheblich gelähmt, sondern vielfach durch Fehlentscheidungen in eine falsche, schädliche Richtung gelenkt wurde. Hinzu kam, dass die KPdSU den von ihr vertretenen Marxismus-Leninismus (als den angeblich einzig wahrhaftigen Marxismus) zu einer Rechtfertigungsideologie pervertiert hatte, sodass auch er in dieser Form nicht mehr als theoretisches Rüstzeug für eine revolutionäre Programmatik und Aktion dienen konnte.

Nach einer kritischen Wertung der gegenwärtig existierenden kommunistischen Parteien hält Neubert eine Erneuerung ihrer internationalen Einheit auf der Grundlage früherer Normen für abträglich, da sie die Abgrenzung von anderen fortschrittlichen Kräften bewirken würde: „Und wegen der internationalen Dimension der Zielsetzung bedarf es eines internationalen Zusammenwirkens, einer neuen Form der Einheit, die demnach auch nur plural, also als Einheit in der Vielfalt und Differenziertheit hergestellt werden könnte und müsste, auf Grundlagen, die ... breite und – im Rahmen eines zu vereinbarenden Mindestkonsenses – offene Aktionsbündnisse ermöglichen.“ (332)

Siegfried Prokop