Diskussion – Kritik – Zuschriften

Klimakrise und ökonomische Instrumente

Überlegungen zum Beitrag von Helmut Knolle in Z 102

von Karl Hermann Tjaden
September 2015

In seinem Beitrag über Klimawandel und ökonomische Theorie hat Helmut Knolle[1] sowohl zur allgemeinen Krise der Mensch-Umwelt-Beziehungen und ihrer ökonomischen Behandlung als auch zum besonderen Problem der Praxis und Theorie des Handels mit CO2-Verschmutzungsrechten sachkundig Stellung genommen. Wie weit bringen uns seine Überlegungen?

Ökologische Krise und ökonomische Theoreme

Der Verfasser, ein Mathematiker und Ökonom, erzählt einleitend die Geschichte der Regierung Ecuadors, die der „internationalen Gemeinschaft“ angeboten hatte, auf die Ausbeutung von Erdöllagern unter einem Regenwaldgebiet gegen eine Kompensationszahlung, zu zahlen durch die reichen Länder, zu verzichten (woraus nichts wurde). „Aber wie hoch sollten diese Zahlungen sein? Die Frage führt in das Gebiet der Ökonomie.“ (S. 92) Ich frage mich, ob das so stimmt. Führt die Frage nicht mindestens genauso in ein Gebiet voller politischer, kultureller und familialer Gewaltverhältnisse, und sofern sie auch in das Gebiet der Ökonomie führt: ist nicht dieses Terrain selber viel komplexer als (wie Knolle uns vermuten lässt) die Welt der Arbeitswerte oder die der Knappheiten von Waren und als die offenen oder geschlossenen Kreisläufe irgendwelcher ökonomischen Systeme, die er kritisch durchleuchtet? Denn nach den ertragreichen Streifzügen durch ökonomische Theorien zur ökologischen Krise, die uns der Verfasser bietet, wird zweierlei klar: Helmut Knolle wendet sich, einerseits, mit aller wünschenswerten Deutlichkeit dagegen, klassische oder neoklassische Produktionskonzepte ökologisch aufzuputzen „und sonst alles beim Alten [zu] lassen“; aber er ist, andererseits, soweit in abstrakten Systemkategorien befangen, dass er die Einbettung gesellschaftlicher Verhältnisse in ihre globalen natürlichen Substrate nur fallweise, aber nicht grundsätzlich wahrnimmt. Er möchte „eine ökologische Wirtschaft als Kreislauf konzipieren, der […] in der Lage ist, alle [!] unerwünschten Nebenprodukte und Abfälle zu rezyklieren.“ (S. 94) Ein ökonomistischer Euphemismus, den ein abfallwirtschaftlicher Experte nicht akzeptieren könnte. Umso erfreulicher ist Knolles negatives Urteil über die Verwendung „fragwürdiger Kosten-Nutzen-Rechnungen“ in der Klimapolitik, die etwa dazu benutzt werden, ein hohes gegenwärtiges „Wirtschafts“-Wachstum zu proklamieren, welches einen Aufschub aufwändiger Klimaschutz-Maßnahmen rechtfertige. (S. 98f)

Kohlendioxid-Pfade und Verschmutzungsrecht-Handel

Zur Erinnerung: Das in der Atmosphäre befindliche Kohlendioxid, das durch seine wachsende Menge wesentlich zur Erderwärmung beiträgt, ist Teil eines die Erdoberfläche berührenden Kreislaufs, der Zufuhren durch Tier-(einschließlich Menschen-)Atmung, Pflanzenatmung, Abfallzersetzung, Waldzerstörung, intensive Bodenbearbeitung und Verbrennung fossiler u. a. Energieträger erhält, während gleichzeitig CO2 durch Pflanzen und über die Meeresoberfläche der Atmosphäre entnommen wird. Insgesamt steigt nunmehr der CO2-Pegel der Atmosphäre. Hieraus und aus weiteren stofflichen Effekten auf die Atmosphäre ergeben sich der sog. Treibhauseffekt und dazu zwei zentrale klimapolitische Ziele: Die Verringerung des anthropogenen CO2-Ausstosses und der Erhalt und die Vermehrung einer Pflanzenwelt, die CO2 aus der Atmosphäre aufnimmt und langfristig festhält. Es ist angesichts der Klimakrise daher von den Sachzusammenhängen her – und nicht aufgrund irgendwelcher wissenschaftlichen Begriffsbildungen – geboten, mit allen hierzu tauglichen Mitteln den menschengemachten CO2-output zu verringern und die CO2 aufnehmenden Biomassenbestände zu vergrößern. Man/Frau meint, man solle von „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts“ sprechen, vergisst aber wohl, dass es gerade darum geht, Kohlenstoffbestände zu erhalten bzw. Kohlendioxid mithilfe der Photosynthese als Kohlenstoff zu fixieren.

Schlampige Begriffe und Handhabungen fast überall. Helmut Knolle hat (S. 99-101) gezeigt, dass dies auch für die heute offiziöse Strategie der kombinierten Verringerung und Rückhaltung von CO2 gilt: für den Emissions-Handel in den reichen Großindustrie-Ländern in Verbindung mit Klimaschutz-Maßnahmen in armen Rückstands-Ländern. Man kann den Preis von Verschmutzungsrechten ganz niedrig halten; man kann Pflanzungen für einen (angeblichen) Klima-Schutz mit rasch wachsenden Bäumen betreiben; man kann für beinahe alles und jedes die Begriffe klimafreundlich und CO2-neutral verwenden. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass – auch hier stimme ich Helmut Knolle zu – eine „Verzahnung“ von (begrenzenden) Emissionsrechten und (nützlichen) Absorptionsmaßnahmen, wenn alles richtig funktionieren würde, nicht sinnvoll sein könnte. Dass hierzu Warentausch praktiziert wird, sogar ein doppeltes und staatliches geregeltes G – W – G‘ passiert, sollte das Denken nicht behindern; das kommt öfter vor. Helmut Knolle schlägt so auch – auf der Grundlage des Gedankens einer internationalen „Verzahnung“ von CO2-Quellenbeschränkung und CO2-Senkenpflege im kapitalistischen Rahmen – ein eigenes klimapolitisches Modell vor, das sich an Konzepte Piero Sraffas anlehnt. (S. 101-104) Das Modell bildet gesamtwirtschaftliche Produktionsprozesse unterschiedlicher Wirtschaftszweige bzw. Kapitalintensitäten sowie CO2-Betroffenheiten (Abgabe: ja/nein) durch Gleichungen von Stoffmengen ab. Eines der konstruierten Systeme impliziert Quellen und Senken von CO2, wobei sich Emission und Absorption die Waage halten, was in einer Version des Konstrukts Abgaben der Emittenten an die Absorbenten beinhaltet. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen bzw. Branchen auch im Fall einer solchen klimapolitischen Abgabe, wenn auch mit einer geringeren Profitrate als der ursprünglich angenommenen, ganz gut existieren können; ferner, dass die Preise der Waren aus stark emittierenden Branchen jetzt sehr stark gestiegen sind. Falls Helmut Knolle das alles richtig berechnet hat, kann man sagen: anscheinend ein erfreuliches Ergebnis.

Knolles Konzept einer stoffwirtschaftlichen Produktion, in der ebenso viel Kohlendioxid hervorgebracht wie untergebracht wird, beinhaltet eine quasi sozialstaatliche, abgabenpolitisch organisierte Belastung der Umweltverschmutzer und Entlastung der Umweltentschmutzer. Hergestellt würde dieses Arrangement, dem Modell zufolge, als internationales Handelssystem durch staatliche Gewalt. Die Verschmutzungsrechte sollten durch Staaten ausgegeben werden, „auf deren Territorium mehr CO2 absorbiert als emittiert wird“. (S. 101f) Dass die Umsetzung institutioneller Regelungen z. T. durch marktvermittelte Interaktionen erfolgen muss, ist nicht notwendig eine Schwachstelle dieses Konzepts. Allerdings muss man sich klar darüber sein, dass die vorgesehene Verteuerung umweltschädlicher Erzeugnisses noch nicht deren Ersetzung durch Umweltfreundliches bedeutet, ebenso, dass die tatsächliche Verwendung transferierter Umweltabgaben in armen Ländern offen ist. Alles in allem präsentiert Helmut Knolle hier ein interessantes klimapolitisches Instrument, und es fragt sich, was man damit machen kann.

„Das Ziel einer CO2-neutralen Weltwirtschaft“?

Schon die dogmengeschichtlichen Exkursionen des Verfassers am Anfang seiner Abhandlung lassen vermuten, dass es ihm letztlich darum geht, die Klimakrise, als ein zentrales Moment der gegenwärtigen Krise gesellschaftlicher Mensch-Umwelt-Beziehungen, angemessen theoretisch zu fassen. Die oben zitierte Zwischenüberschrift bestätigt diese Annahme und ruft zugleich wichtige Fragen hervor, zum Beispiel: was ist eine CO2-neutrale Weltwirtschaft; wie können wir sie verwirklichen? – Für die zweite Frage kann ich keine Antwort des Verfassers entdecken, aber was die erste Frage betrifft, so lautet seine Antwort: die „Weltwirtschaft ist CO2-neutral, wenn das gesamte emittierte CO2 von den Ozeanen und der Vegetation auf der Landmasse der Erde absorbiert wird.“ (S. 101) Daran möchte ich einige Fragen anschließen: woher wissen wir, dass und ggf. wann eine bestimmte Menge CO2 emittiert und die gleiche Menge absorbiert wurde? Was wir kennen, ist der jeweilige Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre, Grundzüge der Entstehungsgeschichte dieser Mengen kann man analysieren, solche der künftigen Geschichte kann man simulieren, die durchschnittlichen Verweilzeiten eines CO2-Moleküls in der Atmosphäre sind variabel, dauern aber Jahre. Wie will man also wissen, wieviel Kohlendioxid wann insgesamt ausgestoßen ist und wieviel zugleich weltweit aufgenommen ist, wenn es doch dafür allenfalls einzelne Schätzungen gibt? Noch dümmer stünde man da, falls man die Frage der Lokalisierung entsprechender Emittenten und Absorbenten mithilfe dieses output-input-Schemas zu beantworten versuchte. Und schließlich die grundlegende Schwäche des vorgeschlagenen Begriffs „CO2-Neutralität“ der „Weltwirtschaft“: Das „Prädikat ‚CO2-neutral‘“, um dessen „logisch einwandfreie“ Anwendung es Helmut Knolle geht, müsste bei Emissions/Absorptions-Gleichheit auf hohem Niveau des Kohlendioxid-Gehalts „verliehen werden“, jedoch bei Emissions/Absorptions-Ungleichheit und niedrigem CO2-Gehalt der Atmosphäre verweigert werden. Das „Ziel einer CO2-neutralen Weltwirtschaft“ ist eine leere, selbstgemachte Vorstellung, die man als Rechenexempel, nicht aber als Teil der Wirklichkeit begreifen kann. So, wie Helmut Knolle diese Vorstellung in Worte gekleidet hat, taugt sie für Rechenkünste, nicht aber für ein Begreifen der Bezugsgegenstände unserer gesellschaftlichen Wahrnehmung. Sie ist eine Fiktion, weil ihre Bestandteile „Ziel“, „CO2-Neutralität“ und „Weltwirtschaft“ Abstrakta sind, die auch als Zusammengesetzte keine Realität ergeben. Letztere aus klimakritischer Sicht wahrzunehmen und zu verstehen erfordert, die Interaktionen von Menschen in ihrer Umwelt, mitsamt der durch sie modifizierten Strömungen und Bestände elementarer Substanzen, in unseren Gesellschaften und ihren historisch-geographischen Milieus zu verorten und dabei insbesondere die schadenstiftenden Institutionen und deren Aktivitäten und Effekte unter die Lupe zu nehmen, deren Urheber erforderlichenfalls still zustellen sind.

[1] Helmut Knolle, Der Klimawandel und die ökonomischen Theorien, in: Z 102 (Juni 2015), S. 91-105.

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