Soziale Brüche

Veränderte Geschlechterbeziehungen?

von Ursula Schumm-Garling
Dezember 2014

Rückblickend über 40 Jahre die Beziehungen der Geschlechter nachzuzeichnen provoziert die Frage: Hat es Veränderungen gegeben – und wenn ja, welche? Rekonstruieren wir den historischen Ablauf, stoßen wir einerseits auf eine Reihe von Errungenschaften, andererseits auch auf hartnäckige Reste patriarchalischer Vorstellungen – und auf viele Widersprüche.

I.

Der gegenwärtige Diskurs wird einerseits geprägt durch traditionelle Sichtweisen andererseits durch den Wunsch – vor allem von Frauen – sich als autonome Individuen zu begreifen. Die Debatte um Frauenrechte als Menschenrechte reicht weit zurück. So entpuppte sich die Deklaration der Menschenrechte während der Französischen Revolution in der Praxis schnell als eine Deklaration von Männerrechten, insbesondere der bürgerlichen Männer. Es ist deswegen wichtig, auf diese lange Tradition hinzuweisen, weil Elemente des „mittelalterlichen Patriarchalismus“ (Weber 1907) im deutschen Familienrecht bis in das Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hineinreichen. Die Ehefrau durfte bis 1977 nur dann berufstätig sein, wenn dies mit den Interessen der Familie und des Ehemannes vereinbar war. Dem Ehemann kam das Entscheidungsrecht in allen Fragen des Ehe- und Familienlebens zu, und er hatte das Recht, die von der Frau eingegangenen Arbeitsverhältnisse zu kündigen, selbst gegen ihren erklärten Willen.

Das traditionelle Bild vom Verhältnis der Geschlechter ist durch einen scharfen Dualismus der Geschlechter gekennzeichnet: auf Grund sog. wissenschaftlicher Recherchen wurden anatomische und physiologische Unterschiede zur Legitimation für patriarchalische Normen der hierarchisch getrennten Lebenswelten von Frauen und Männern genutzt. Dieses Bild scheint weitgehend überwunden, obwohl auch heute von konservativer Seite dezidiert frauenfeindliche Argumente wiederbelebt werden.

Die soziale Ungleichheit der Geschlechter wurde systematisch in den siebziger Jahren durch die Frauenbewegung und die Frauenforschung thematisiert. Vor diesem Hintergrund konnte die Sichtweise auf Geschlechterbeziehungen rekonstruiert und der Wandel normativer Vorstellungen über geschlechtsspezifische Ungleichheit in den Blick genommen werden. Die allgemeinen Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit und damit verbunden die Forderungen nach gleichen Bedingungen und Chancen in Bildung, Arbeit, in Wissenschaft und politischer Teilhabe konnten so formuliert werden. Zugleich war es so möglich, nach sozialen Ursachen von Diskriminierung und Ausgrenzung zu suchen und nach Möglichkeiten ihrer Beseitigung zu fragen.

Judith Butlers Verdienst ist darin zu sehen, dass sie die bestehende Geschlechterordnung als Produkt der Zuschreibung bestimmter Merkmale als typisch männlich bzw. typisch weiblich auflöst und auf ethnische, kulturelle und klassenspezifische Differenzen zurückführt. Sie stellt die Binarität der Geschlechterordnung radikal in Frage, sie ordnet sie vielmehr einer sozialen Geschlechtsidentität zu. Dies führt in Folge zur Unterscheidung von biologischem Geschlecht (Sex) und sozialem Geschlecht (Gender). Ein zentraler Einwand gegenüber Butler lautet, dass sie sich auf symbolische Repräsentationsformen von Geschlecht konzentriere und nicht auf Themen, mit denen Frauen täglich konfrontiert sind.

II.

Ökonomische Entwicklungen und die Geschlechterverhältnisse sind auf das engste miteinander verbunden. Auseinandersetzungen in den Geschlechterverhältnissen sind immer auch Kämpfe um ökonomische und soziale Ressourcen, durch die Identitätsentwürfe und Lebensstile materiell abgesichert werden. Obwohl hervorgehoben werden muss, dass gegenüber der fordistischen Periode ein Wandel zu verzeichnen ist, bleiben eine Reihe von Problemen und Widersprüchen. In Diskussionen bis Mitte der siebziger Jahre wird thematisiert, dass die meist männlichen Familienernährer einen Familienlohn erhielten und die Frauen am Erwerbsleben nur sehr eingeschränkt teilnähmen. Die schon zu Beginn der Industrialisierung – verstärkt in der fordistischen Periode – erfolgte Trennung von privat und öffentlich d.h. von Haushalt und Erwerbsarbeit, und damit die Zuordnung der Lebensbereiche in die Zuständigkeit der beiden Geschlechter hatte das Ergebnis, dass Frauen die in der Regel unbezahlten Reproduktionsarbeiten leisteten. Im Zuge der Liberalisierung und der häufiger auftretenden ökonomischen Krisen wurden Löhne und sozialstaatliche Leistungen zunehmend zur Disposition gestellt. Die für die Absicherung aller Familienmitglieder existierenden sozialstaatlichen Leistungen wurden nach und nach reduziert.

Zu eben dieser Zeit wurde von Vertreterinnen der Frauenbewegung heftige Kritik an dem fordistischen Lebensmodell geübt; allerdings – wie sich später herausstellte – mit einem zwiespältigen Ergebnis: durch einseitige Interpretationen gelang es, neue Formen von Ungleichheit und Ausbeutung zu rechtfertigen; darauf hat vor allem Nancy Fraser aufmerksam gemacht. Die feministische Kritik an der fordistischen Periode habe, so Fraser, dem Kapitalismus zu einer Neuorientierung verholfen. Insbesondere die Kritik am „Familienernährermodell“ und die Kritik am Familienlohn waren gedacht als Kritik an der ökonomischen Abhängigkeit der Frauen von den Männern. Die Folge zunehmender Frauenerwerbstätigkeit war in der Realität, dass Frauen im flexiblen Kapitalismus Lohnarbeit unter prekären Bedingungen leisten mussten. Die Kritik an der Fokussierung auf die klassenbedingte Ungleichheit und die Betonung der nicht ökonomischen bzw. kulturellen Unterdrückung wie häuslicher Gewalt oder sexuelle Nötigung habe dazu geführt, dass sich der Feminismus einseitig auf die Geschlechtsidentität zu Lasten elementarer Überlebensfragen konzentriert habe. Dies begünstigte den Aufstieg des Neoliberalismus. Ideen von sozialer Gleichberechtigung und Emanzipation wurden weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt. Staatliche Interventionen wurden als „sozialstaatlicher Paternalismus“ kritisiert. Nicht vorhergesehen wurde, dass in der Folge nicht die Demokratisierung staatlicher Macht realisiert wurde, sondern eine Liberalisierung staatlicher Aufgaben und deren Übergabe an private Marktakteure, die weder legitimiert waren noch kontrolliert wurden. Das begünstigte den Abbau von sozialstaatlichen Leistungen durch Deregulierung und Privatisierung. Perspektiven können sich nach Fraser aus der Kritik an der Kritik ergeben, wenn erstens das Lohnarbeitsverhältnis nicht mehr im Zentrum stünde, sondern beispielsweise nicht entlohnte Pflegearbeiten aufgewertet würden; wenn der kulturelle Kampf um Überwindung der auf maskulistischen Werten beruhenden Statushierarchie mit dem Kampf um wirtschaftliche Gerechtigkeit verbunden würde; und wenn die Scheinverwandtschaft von Bürokratiekritik und Marktfundamentalismus herausgearbeitet und die partizipatorische Demokratie als erstrebenswertes Ziel angesehen werden würde.

III.

Gegenwärtig herrscht das Leitbild des sog. Zwei-Verdiener/-innen-Modell – das „adult-worker model“ – vor. Es besagt, dass unabhängig vom Geschlecht oder Familienstatus jede erwerbsfähige Person für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen habe. Damit wird gefordert, dass Frauen unabhängig von einem Familienernährer werden. Auf der anderen Seite werden sie durch den Zwang, ihre Arbeitskraft unter den Bedingungen des flexibilisierten Arbeitsmarktes und der prekären Arbeitsbedingungen zu verkaufen, außerordentlich stark belastet; insbesondere dann, wenn sie nicht von den Reproduktionsarbeiten entlastet werden.

Frauen und Männer wünschen sich eine Balance zwischen Beruf und Familie. Hier besteht eine erhebliche Diskrepanz zur Realität. Leider hat sich in den letzten Jahren an der Einkommenssituation von Frauen nicht viel verändert. Der durchschnittliche Verdienst von Frauen liegt seit vielen Jahren um ca. 22 Prozent unter dem durchschnittlichen Einkommen von Männern. Dafür gibt es Gründe: Nach wie vor existiert ein segregierter Arbeitsmarkt, d.h. Berufsbereiche wie Pflege, Erziehung, Reinigung und einfache Bürotätigkeiten sind auch heute Frauendomänen. Auch im Tarifbereich haben Lohnungleichheiten Bestand, weil frauendominierte Berufe niedrigeren Entgeltgruppen zugeordnet werden. Die Politik setzt widersprüchliche Anreize: Einerseits wurden die Bildungschancen von Frauen und Mädchen mit Erfolg verbessert und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt, anderseits werden durch das Ehegattensplitting oder das Erziehungsgeld traditionelle Rollenbilder verfestigt. „Das Erwerbsverhalten ändert sich bei den Frauen, sie wollen zunehmend erwerbstätig werden, aber landen durch Fehlanreize einer widersprüchlichen Familienpolitik oft in der Teilzeit-Sackgasse“. (IAQ 2014) Als Konsequenz der 2009 in Kraft getretenen Unterhaltsreform besteht zudem die Gefahr, dass sich die Frauen bei einer Scheidung in prekären Lebensverhältnissen wieder finden und im Alter arm sind.

Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen erreichen nicht alle betroffenen Familien und Frauen. So wird in der Familienpolitik zwischen LeistungsträgerInnen und LeistungsempfängerInnen unterschieden: das trifft für die Höhe des Elterngeldes ebenso zu wie für die Anrechnung des Elterngeldes bei Hartz-IV-EmpfängerInnen. Bei dem Ausbau der Kindertagesstätten ist vor allem daran gedacht, die Berufstätigkeit von qualifizierten Frauen zu sichern. Insbesondere die Frauen befinden sich in einer sog. Reproduktionsfalle. (Vgl. Winker 2013) Im Erwerbsleben sind sie zunehmend den flexiblen Ansprüchen, den steigenden Leistungsanforderungen oder Reallohneinbußen ausgesetzt. Entsprechend dem neoliberalen Credo werden in vielen Bereichen sozialstaatliche Leistungen abgebaut oder privatisiert. Die Frauen sehen sich individuell gefordert und versuchen, in Eigenverantwortung die beruflichen Anforderungen mit den Reproduktionsanforderungen zu vereinbaren.

Die Ungleichverteilung und Ungleichbewertung von Frauentätigkeiten könnte abgebaut werden, wenn öffentliche Mittel in Tätigkeitsfelder investiert würden, für die es einen individuellen und gesellschaftlichen Bedarf gibt, statt Anreize für das traditionelle Familienmodell bereit zu stellen. Diese Maßnahmen gehören abgeschafft. Eine unzureichende institutionelle Absicherung der Erwerbstätigkeit von Frauen schwächt ihre Position auf dem Arbeitsmarkt. In Ländern mit einem gut funktionierenden öffentlichen Sektor arbeiten Frauen seltener in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Sowohl die Bedeutung des öffentlichen Sektors als Arbeitgeber wie auch die Bereitstellung von öffentlichen Dienstleistungen bedingen diesen Zusammenhang.

IV.

Die Differenzierung von Lebensentwürfen und die Toleranz gegenüber sexuellen Orientierungen ist weiter verbreitet als in früheren Zeiten. Zunehmend leben Paare unverheiratet zusammen, Patchwork-Familien nehmen zu, Scheidungsraten steigen, seit den 1970er Jahren gibt es immer mehr Singles und Alleinerziehende, zumeist Frauen. Gleichgeschlechtliche Paare beanspruchen gleiche Akzeptanz und gleiche Rechte wie heterosexuelle Paare. Obwohl diese Entwicklungen nebeneinander bestehen, sprechen sich noch immer viele für die Lebensform Ehe und Familie aus.

Bei den jungen Frauen herrscht die Vorstellung vor, Familie und Erwerbstätig miteinander zu verbinden mit einer Präferenz für die Erwerbstätigkeit. So haben Allmendinger und Haarbrücker in einer Untersuchung über Lebensentwürfe junger Frauen und junger Männer festgestellt, dass aus der Perspektive von jungen Frauen eine Re-Traditionalisierung ihrer Rolle nicht zu beobachten sei. Frauen wollen erwerbstätig sein, ebenso wie Männer. Selbst wenn sie Kinder hätten, blieben sie auf Erwerbsarbeit orientiert. Der Anteil von Frauen, denen die Familie wichtiger ist als die Erwerbstätigkeit, liegt heute unter 5 Prozent. (Allmendinger/Haarbrücker 2013, 48)

Die Pluralisierung der Lebensstile hat jedoch noch nicht dazu geführt, dass Gleichberechtigung der Geschlechter zu einer Selbstverständlichkeit geworden wäre. Darauf wird in einer Studie des Allensbacher Instituts hingewiesen. Danach sind 64 Prozent der Männer der Meinung, dass es mit der Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland mittlerweile reiche und 28 Prozent der befragten Männer finden sogar, dass die Gleichberechtigung übertrieben werde. 6 Prozent der befragten Männer fühlen sich heute schon benachteiligt. (Allensbach 2013, 3)

Nach wie vor bestehen feste Vorstellungen darüber, welche Tätigkeiten Frauen und welche Männern zugeordnet werden sollen. Hausarbeit gehöre danach eindeutig zu den den Frauen zugeordneten Tätigkeiten. (Ebd., 40)

Dieses Ergebnis wird von Allmendinger und Haarbrücker bestätigt. Die Mehrheit der Befragten akzeptiert die Erwerbstätigkeit von Frauen. Überrascht sind die Autorinnen von dem Ergebnis, dass sowohl die jungen Männer wie die jungen Frauen die schlechten Chancen von Frauen benennen: 87 Prozent der Männer und der Frauen stimmen der Aussage zu: „Die Leistung von Frauen wird anders beurteilt als die von Männern.“ (Allmendinger/Haarbrücker 2013, 45) Radikal anders antworten 40 Prozent der Männer und 10 Prozent der Frauen auf die Aussage: „Ich bin heilfroh, da sich Frauen in erster Linie um Haushalt und Familie kümmern sollen.“ (Ebd., 46/47) Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt werden rational festgestellt, ohne dass dies Konsequenzen für das Verhalten hätte. Die Befragungsergebnisse bleiben widersprüchlich: Einerseits wird von den Frauen erwartet, dass sie unabhängig sind und möglichst viel Geld verdienen, andererseits ist beinahe die Hälfte der jungen Männer froh, dass Frauen in ihrem traditionellen Aufgabenbereich bleiben müssen. Darum überrascht es auch nicht, dass eine „verbindliche Frauenquote“ nur von 36 Prozent der jungen Männer unterstützt wird. Die Mehrheit der Frauen (62 Prozent) ist da ganz anders. (Ebd., 47)

Ost-West Unterschiede bleiben nach Erkenntnissen von Allmendinger und Haarbrücker bestehen. Frauen aus den ostdeutschen Bundesländern wollen nach der Geburt von Kindern schneller wieder in den Beruf zurück als die Frauen im Westen. Sie sind mit den aktuellen Rahmenbedingungen unzufriedener und sprechen öfter von einem Versagen der Politik. „Etwas überspitzt ausgedrückt: Ostdeutsche Frauen fordern ein wesentlich höheres Engagement vom Staat, westdeutsche Frauen sehen auch die Männer in der Pflicht.“ (Ebd., 50) Das hatte in der DDR eine Tradition. Von Beginn der DDR an existierte das Leitbild der berufstätigen Frau. Als Problem erwies sich, dass die propagierte gemeinsame Verantwortung von Frauen und Männern für Kindererziehung und Hausarbeit auf Grund patriarchalischer Relikte nicht realisiert werden konnte. Um den Konflikt zwischen bevölkerungs- und arbeitsmarktpolitischen Interessen der DDR zu entschärfen, wurden die Vereinbarkeitsbedingungen von staatlicher Seite verbessert. Gegen Ende der DDR konnte die „modernisierte Versorgerehe“ als überwunden betrachtet werden. Die Erwerbsquote der Frauen betrug 91 Prozent. Elke Holst und Anna Wieber zufolge gilt: „Bei der Erwebstätigkeit der Frauen liegt Ostdeutschland vorn“ (Holst/Wieber 2014, 967) Allerdings weisen sie darauf hin, dass die Veränderungen nach der Wende erhebliche Auswirkungen auf die Lebensformen von Paarhaushalten mit Kindern hatten: „Das modernisierte Ernährermodell (Vater Vollzeit/Mutter Teilzeit) hat in beiden Teilen Deutschlands zugenommen – in Westdeutschland auf Kosten des Alleinernährermodells (Vater Alleinverdiener), im Osten auf Kosten des Egalitätsmodells mit zwei Vollzeitbeschäftigten.“ (Ebd., 967)

V.

Die jungen Frauen bewegen sich in einem breiten Spektrum von neoliberalen Freiheitsversprechen und reflektiertem Bewusstsein ihrer Chancen sowie gesellschaftlich noch immer existierenden Diskriminierungen. In unzähligen Lifestyleblogs werden überwiegend von Frauen Informationen über Mode, Wohnen, Design, Kochen oder Kosmetik ausgetauscht, häufig versehen mit Hinweisen auf entsprechende Produkte. Frauen, die auf den ersten Blick modern wirken, zementieren alte Rollenbilder und sehen ihre Verwirklichung im Konsum. Andererseits hat Anne Wizorek auf sich aufmerksam gemacht, als sie dem Netzfeminismus ein Gesicht gegeben hat (@marthadear). Anlässlich der im Netz geführten Debatte (Kennwort #Aufschrei) um sexuelle Belästigung und angeregt durch Diskussionen um das Betreuungsgeld oder die Quote wird von jungen Frauen die alte Frage thematisiert: Wie sollen und wollen Frauen und Männer miteinander umgehen?

Diese Fragen beschäftigen zunehmend häufiger auch Männer. Eine emanzipatorische Männerbewegung existiert vergleichsweise noch nicht lange. Einzelne Männer begannen vor ca. 30 Jahren gesellschaftspolitische Fragen nach Werten und Normen des Zusammenlebens, nach Rechten und Pflichten von Vätern und nach der Verteilung von Macht und Herrschaft in Beziehungen zu stellen. Heute haben sie sich im „Bundesforum Männer“ vernetzt. Sie grenzen sich entschieden von der maskulistischen Szene ab, die Gleichstellungspolitik, Gendermainstreaming und Geschlechtergerechtigkeit als Erfindungen des Feminismus diskriminieren und sich aggressiv gegen alles „Weibliche“ wenden. Jegliche Formen der Frauenförderung sollten eingestellt werden; die „wahren Opfer“ des Geschlechterverhältnisses seien die Männer – so das Credo dieser Szene. Die Zahl der Akteure und Akteurinnen ist zwar noch gering, sie erlangen aber eine gewisse Bedeutung, weil sie eine Vielzahl von Aktivitäten entfalten und unheilige Allianzen mit christlichen Fundamentalist/-innen, Abtreibungsgegner/-innen, konservative Familienorganisationen, „Neocons“ oder Rechtsextremist/-innen eingehen.

Die Bündnisse, die bis in konservative Parteien hineinreichen, beruhen auf einer Sehnsucht nach konservativen Familienwerten – gemeint sind heterosexuelle Elternschaft mit der traditionellen Arbeitsteilung und einem Hass gegen alle Formen staatlicher Gleichstellungspolitik. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich zum Sprachrohr dieser konservativen Familienpolitik gemacht. Unter Berufung auf die Demonstrationen in Frankreich gegen die „Homo-Ehe“ („Manif pour tous“) formiert sich möglicherweise eine gesamteuropäische Bewegung gegen Toleranz und Vielfalt und für eine Rückkehr zu so genannten traditionellen Familienwerten.

Dagegen müssen wir uns der schon 1879 von August Bebel formulierten Einsicht immer wieder neu vergewissern: Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit der Geschlechter.

Literatur

Allensbach Studie 2013, Der Mann 2013. Arbeits- und Lebenswelten – Wunsch und Wirklichkeit. Hamburg und Allensbach am Bodensee

Allmendinger, Jutta/Haarbrücker, Julia 2013, Lebensentwürfe heute. Wie junge Frauen und Männer in Deutschland leben wollen. Kommentierte Ergebnisse der Befragung 2012. Discussion Paper P 2012-002 Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB)

Bebel, August 1879, Die Frau und der Sozialismus. Zürich

Beitzer, Hannah 2013, Männer, ihr habt doch ein Gehirn! In: Süddeutsche Zeitung vom 11.02.2013

Butler, Judith 1991, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main

Claus, Robert 2014, Maskulismus. Antifeminismus zwischen vermeintlicher Salonfähigkeit und unverhohlenem Frauenhass. Friedrich Ebert Stiftung, Forum Politik und Gesellschaft, Berlin

Fraser, Nancy 2013, Neoliberalismus und Feminismus: Eine gefährliche Liaison. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 12, S. 29-31

Holst, Elke/Wieber, Anna 2014, Bei der Erwerbstätigkeit der Frauen liegt Ostdeutschland vorn. In: DIW Wochenbericht Nr. 40, S. 967 – 994

IAQ (Institut Arbeit und Qualifikation) 2014, Presseerklärung vom 22.04.2014

Kemper, Andreas 2014, Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD – eine Expertise. Friedrich Ebert Stiftung, Forum Politik und Gesellschaft, Berlin

Rosowski, Martin 2014, Diversity – Dimension Geschlecht – Männlichkeiten. In: Nutzenberger, Stefanie/Welskopp-Deffaa, Eva M., Aufregend bunt, vielfältig normal! Managing Diversity in Betrieb und Verwaltung, Hamburg, S. 76 – 86

Schumm-Garling, Ursula 2009, Prekäre Arbeit – prekäres Leben. Frauen und prekäre Beschäftigung. In: Sozialismus, H. 4, S. 17 – 22

Weber, Marianne 1907, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, Tübingen

Winker, Gabriele 2013, Zur Bedeutung der Geschlechter-Verhältnisse in der sozialen Reproduktionskrise. In: Brie, Michael (Hrsg.) „Wenn das Alte stirbt“. Die organische Krise des Finanzmarktkapitalismus. Manuskripte Neue Folge – Rosa Luxemburg Stiftung, Berlin

Downloads