Aktuelle Gewerkschaftsprobleme

Arbeiterklasse in Großbritannien: Bewegung, Politik und Protest

von Len McCluskey
Dezember 2013

Ralph-Miliband-Lecture 2013

Wir veröffentlichen nachstehend die am 16. Januar 2013 an der London School of Economics (LSE) gehaltene „Ralph-Miliband-Lecture“ von Len McCluskey, Generalsekretär der größten britischen Gewerkschaft Unite the Union („Unite“). Über die Aktivitäten der britischen Gewerkschaften, ihre politische Positionierung und den Stil ihrer Auseinandersetzungen ist hierzulande in der breiteren Öffentlichkeit wenig bekannt. McCluskey sprach im Rahmen des „Ralph Miliband Programme“ über „The Labour Movement and Protest. A Working-Class Politics for the 21st Century“.[1]

Len McCluskey, 1950 in Liverpool geboren, arbeitete als Dock- und Hafenarbeiter. Seit 1968 Gewerkschaftsmitglied, wurde er bald shop steward und campaign organiser der Transport and General Worker’s Union (TGWU), ab 1979 hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Er nahm verschiedene Funktionen in der TGWU wahr (National Secretary der General Workers Group seit 1990, später National Organiser für den Dienstleistungsbereich, Seit 2011 ist er Generalsekretär der 2007 aus dem Zusammenschluss mehrerer Gewerkschaften gebildeten Unite the Union. „Unite“ weist mit ca. 1,4 Mio. Mitgliedern die höchste Mitgliederzahl unter den britischen Gewerkschaften auf. Sie gehört damit auch zu den größten Geldgebern der Labour Party. Deren derzeitiger – und von McCluskey heftig kritisierter – Vorsitzender, Ed Miliband, ist Sohn des aus Belgien stammenden britischen Marxisten Ralph Miliband (1924-1994), dem die Rede von McCluskey gewidmet ist.

Übersetzung/Anmerkungen: Alan Ruben van Keeken und Redaktion.

Es ehrt mich, dass ich zu dieser bedeutenden Vorlesungsreihe etwas beitragen darf. Für mich persönlich markieren die drei Stränge des Themas dieser Vorlesung – Arbeiterklassenpolitik, Arbeiterbewegung und Protest – klar bestimmbare Bezugspunkte meines Lebens – seit meiner Jugend in Liverpool und während meines ganzen politischen und Arbeits-Lebens. Leuten meiner Generation wurde Arbeiterklassenpolitik sozusagen in die Wiege gelegt. Denn genauso, wie Dein Geschlecht von Geburt an festgelegt ist, so bestimmt sie auch Deine Klassenzugehörigkeit, oft Deine Aufstiegsmöglichkeiten, das, was Du verdienen wirst, und vieles andere mehr. Und deswegen waren Politik, Protest und Arbeiterbewegung auch die einzigen Mittel, mit denen wir Veränderungen bewirken konnten.

Auch wenn Ralph Miliband nicht in der Bewegung in Großbritannien aufgewachsen ist – all seine politische Arbeit bezog sich auf die Geschichte und die inneren Kontroversen der britischen Arbeiterbewegung. Wir tun also recht daran, uns auf ihn zu berufen – umso mehr, als seine beiden Söhne heute eine so wichtige Rolle in der Labour Party spielen. Ja, manchmal wird von einem „roten Faden“ gesprochen, der die Miliband-Generationen verbindet – der Vater war sein ganzes Leben bemüht, unserer Bewegung klar zu machen, dass es keine Möglichkeit eines parlamentarischen Wegs zum Sozialismus gibt. Und die Söhne haben ganz loyal Theorie in Praxis umgesetzt und gezeigt, dass Ralph Recht hatte!

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Lasst mich also meine Ausführungen zum Thema ‚Arbeiterklassenpolitik unter heutigen Bedingungen’ mit einem Zitat von Ralph Miliband eröffnen: „Bei jeder Politik, gleich welcher Art, geht es um Konflikt – wie er einzudämmen ist, wie er beseitigt werden kann.“ So verstehe ich Politik aus meiner eigenen Erfahrung und aus meiner eigenen Wahrnehmung unserer Geschichte heraus. Ich sage das nicht, um Konflikte – noch weniger Gewalt – in irgendeiner Weise abzufeiern – ich stelle lediglich fest: In der Politik geht es immer um Kampf, um das Aufeinanderprallen von Interessen und, für mich, letzten Endes um die Frage, wie eine Gesellschaft und eine Welt geschaffen werden können, in der es tatsächlich Interessenübereinstimmung gibt.

Um ein aktuelles Beispiel zu nehmen: Ed Milibands Idee von „Einer Nation“. Ich stimme der Art zu, wie Ed Miliband diese Frage stellt – oder erneut stellt – und auch dem Sinn, den er ihr zu geben versucht. Aber lasst uns nicht vorgeben, wir wären bereits ‚Eine Nation’ oder wir könnten sie ohne die Konflikte werden, die Ralph Miliband als Kern jeder Politik bezeichnet hat. Denken wir nur daran, dass Disraeli von „Einer Nation“ sprach, um die Arbeiterklasse für das Empire einzuspannen. Und erst jüngst meinte Tony Blair, New Labour sei „der politische Flügel des Britischen Volkes“ – und das, wo New Labour sich häufig genug als Sprachrohr der City of London oder gar des Pentagon entpuppte. Falls wir uns also auf dem Weg hin zu „einer Nation“ oder letztlich „einer Welt“ befinden sollten, so ist dies ein Weg gesäumt von Kampf und Konflikt. In einer Gesellschaft, in der die Ungleichheit so groß ist wie seit Generationen nicht mehr, können wir nicht einfach Interessen-Gemeinsamkeit herstellen, indem wir sie uns herbeiwünschen.

Nun, wie kommen wir zu dieser „Einen Nation“ und welche Rolle spielt dabei Arbeiterklassenpolitik? Eines ist eindeutig, wie es der schwedische Soziologe Göran Therborn formuliert hat: „Man kann das 20. Jahrhundert mit einer ganzen Reihe plausibler Bezeichnungen charakterisieren, aber mit Blick auf die Sozialgeschichte war es eindeutig das Jahrhundert der Arbeiterklasse.“

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Aus meiner Sicht war die Arbeiterbewegung der Garant für politischen Wandel und Fortschritt für Generationen. Wenn das 20. Jahrhundert das der Arbeiterklasse war, dann wegen der Organisationen der Arbeiter und der Gewerkschaftsbewegung. Die Gewerkschaftsbewegung ist das Kind von Konflikten, von Auseinandersetzungen zwischen Lohnarbeitern und Unternehmern über Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, Sicherheit am Arbeitsplatz – kurz, der Auseinandersetzung darum, wer in welchem Ausmaß von dem Reichtum profitieren sollte, den der industrielle Kapitalismus geschaffen hat. Und das ist auch der Grund dafür, warum die herrschende Klasse so lange darauf bedacht war, den Gewerkschaften rechtliche Fesseln anzulegen. England war das erste Land der Gewerkschaften – ein Sachverhalt, der sich zu meiner Freude in Danny Boyles[2] inspirierender Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele widerspiegelte.

In der„Geschichte des britischen Trade Unionismus“, geschrieben 1894 von den Begründern des Fabianismus (Sidney und Beatrice Webb), wurden die Gewerkschaften als „eine ständige Assoziation von Lohnarbeitern zum Erhalt und zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen“ charakterisiert. Die Gewerkschaften waren anfangs strikt gegen „Staatsinterventionen“ bzw. staatliche „Einmischung“ in ihre Beziehungen zu den Unternehmern. Erst als buchstäblich die Existenz von Gewerkschaften zu Beginn des letzten Jahrhunderts auf dem Spiel stand – u.a. durch feindselige Entscheidungen der Gerichte, beispielsweise während des Taff Vale-Verfahrens[3] – fanden sich die Gewerkschaften im Kampf um ihr Überleben plötzlich mitten auf der nationalen politischen Bühne. Aus diesen stürmischen Zeiten erwuchs eine neue Agenda. Gewerkschaften mussten ihren Einfluss auf Parlament und Regierung ausweiten. Die Arbeiterbewegung brauchte eine politische Stimme, um für die Interessen der organisierten Arbeit auch auf der politischen Ebene kämpfen zu können. Die Arbeiterbewegung musste Einfluss auf den Regierungsapparat bekommen. Darin war die britische Gewerkschaftsbewegung einzigartig: Sie etablierte ihre eigene sozialistische Partei.

Das war in ihrem Denken ein Schritt hin zur Politik, aber es blieb immer noch ein langer Weg hin zum Sozialismus, wie es Ralph Miliband uns heute sicher erklärt hätte. Zunächst ging es nur um das vorläufige Ziel, die Rechte der organisierten Arbeit und gewerkschaftlicher Aktionen durch Gesetzgebung zu schützen. Erst nach der großen Wirtschaftskrise von 1910/11 und dem weit schlimmeren Desaster des ersten Weltkrieges wurde in einem nächsten Schritt daran gedacht, mit dem Mittel der Gesetzgebung die allgemeinen Rechte der arbeitenden Menschen zu sichern und die Kontrolle der Produktionsmittel, der Verteilung und des Austauschs ins Auge zu fassen. Sozialismus, daran sollte uns dies erinnern, kam nicht so sehr dank der bewundernswerten Arbeit sozialistischer Propagandagruppen auf die politische Tagesordnung, sondern entsprang den tatsächlichen Erfahrungen der Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft.

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Aber Politik im Interesse der Arbeiterklasse, verstanden im weitesten Sinne, ist mehr als Politik nach konventionellem Verständnis (was passiert in Westminster und während der Wahlen?). Sie wurzelt auch in einem Sinn für Gemeinschaft. Lange vor dem Wohlfahrtsstaat war es die Arbeiterbewegung, die erste Elemente sozialer Fürsorge etablierte. Niemand dachte damals daran, dies „Big Society“[4] zu nennen. Ganze Gemeinden – oft entstanden in der Nähe eines Bergwerks, einer Industriemühle oder eines Docks– wurden zu Mikrokosmen dessen, was später der Sozialstaat unseres Landes werden sollte. Bevor irgendeine Regierung daran dachte, ein nationales Gesundheitssystem oder eine Sozialversicherung zu schaffen, gab es die stolze Tradition von Eigenverantwortlichkeit und weitreichender kommunaler Versorgung. In den Bergbaugemeinden gab es Einrichtungen einer sozialen Gesundheitsversorgung und Wohnungen für alte Bergarbeiter und ihre Witwen. Und die Gewerkschaftskomitees organisierten und bezahlten die Bestattungen. Noch bevor es ein allgemeines Recht auf Bildung gab, waren es die Gewerkschaften, die sich auf kommunaler Ebene für die Bildung der Arbeiter einsetzten – die „Workers Education Association“ wurde 1903 gegründet und bot arbeitenden Frauen und Männern die Möglichkeit einer Ausbildung. Der Slogan „Erziehen – Agitieren – Organisieren“ fasste zusammen, wie die Arbeiter ihr Leben verbessern konnten.

Wenn wir den Erfolg der Arbeiterbewegung danach bemessen, in welchem Maße sie das Verhalten und die Verantwortung der Regierung veränderte, sehen wir im 20. Jahrhundert Erfolge in einer unvorstellbaren Größenordnung, aber Erfolge, die um den Preis großer Entbehrungen und fast ausschließlich im Konflikt erreicht wurden. Es ist eine bemerkenswerte Leistung, dass es – auf dem Höhepunkt der industriellen Macht, in einer Zeit, wo „oben“ Reichtum angehäuft und „unten“ Armut verordnet wurde, wo die Menschen von der Hand in den Mund lebten – die Arbeiterbewegung (der Arm der arbeitenden Klassen) vermochte, einen solch radikalen Wandel durchzusetzen, die Kontrolle hoher Ämter zu erlangen und die Regierung – über die Labour Party – zu beeinflussen. Die Arbeiterklasse hat – gegen alle Widrigkeiten – die Gesellschaft verändert.

Auf die Frage „Was hat die Gewerkschaftsbewegung für uns getan“ würden manche bestimmt auf bessere Bezahlung und verbesserte Arbeitsbedingungen verweisen. Ich würde weiter gehen und sagen, dass die politische Aktivität der Arbeiterklasse so gut wie alles gesichert oder garantiert hat, was wir heute schätzen.

Um nur einiges zu nennen:

Demokratie – niemals gab es eine starke, auf allgemeinen Wahlen beruhende Demokratie ohne eine machtvolle Bewegung der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse bildete das Rückgrat im Kampf gegen den Faschismus, als noch viele europäische Eliten mit Hitler, Franco und Mussolini liebäugelten.

Frieden – die Arbeiterklasse hat immer die Opposition gegen den Krieg angeführt.

Gleichheit – Arbeiterpolitik hat gleiche Rechte für Frauen und Männer aller Rassen und Kulturen in Arbeit und Gesellschaft durchgesetzt.

Öffentliche Wohlfahrt – Öffentliche Erziehung, Gesundheitsversorgung, Arbeitslosenversicherung und Rentensysteme sind Ergebnisse der Agitation und des Kampfes der Arbeiterklasse.

Die Idee, dass der Kapitalismus oder die herrschende Klasse von allein Demokratie, soziale Gleichheit oder Wohlfahrtsstaatlichkeit eingeführt hätten, ist komplett illusorisch. Die Zivilisation, wie wir sie heute haben, verdanken wir Generationen von Aktivisten aus der Arbeiterklasse, die sich kollektiv für ihre eigene Klasse organisierten und damit auch für die ganze Gesellschaft. Wenn viele dieser Errungenschaften heute unter Druck geraten, so ist dies eine Konsequenz langjähriger bewusster Aktionen der Eliten, um die Gewerkschaften und Politik der organisierten Arbeit zu zerstören.

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Eric Hobsbawm bringt es auf den Punkt, wenn er von einem langen 19. Jahrhundert spricht, das von der Französischen bis zur Russischen Revolution reicht, und von einem kurzen 20. Jahrhundert vom ersten Weltkrieg bis zum Fall der Sowjetunion. Für die Arbeiterklasse im Westen war das Jahrhundert sogar noch kürzer als es Hobsbawms kluge Analyse nahe legt. Denn alles, was im 20. Jahrhundert erreicht wurde, erfuhr schon ab Mitte der 1970er Jahre einen radikalen Rückschlag.

Rufen wir uns die Situation in den heute verunglimpften 1970er Jahren in Erinnerung: Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften waren auf einem Allzeithoch; öffentliches Eigentum bei Schlüsselindustrien und Infrastruktur war gesichert, es herrschte Vollbeschäftigung. Das war alles sicher nicht perfekt, aber es bot den Menschen aus der Arbeiterklasse etwas, was sie vorher lange nicht hatten – Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten. Mit den Worten meines Kollegen, des Liverpooler Gewerkschaftsführers Billy Hayes: „Die 1960er waren groß. Jeder in Liverpool lebte in einem besseren Haus am Ende der 60er als vorher und dazu hatten wir noch die Beatles.“ Das war es, was die Elite nicht ausstehen konnte – arbeitende Menschen, die ‚ihren Platz’ nicht kannten, die sich unter Verletzung heiliger Rechte ins Management von Unternehmen einmischten und jene Lebensqualität an ihrem Arbeitsplatz und in ihren Wohnorten beanspruchten, welche die Mittelklasse schon lange hatte. Die neoliberale Offensive, die Mitte der 1970er begann, war weniger eine ökonomische. Tatsächlich trug sie sogar zu einer Verschlechterung der Wachstumsraten bei. Es ging vielmehr darum, das wiederherzustellen, was unsere hohen Herren als die althergebrachte soziale Hierarchie ansahen, und darum, die Arbeiterklasse wieder aus der Politik zu drängen.

Diese Attacke hält bis heute an. Trotz des großen Crashs von 2008 geht der Neoliberalismus wie ein Untoter um, wie ein Vampir. Das bestätigen die Politik und die Prioritäten von Cameron und Osborne. Hauptziel war und ist es, die Macht der Gewerkschaften zu brechen und damit die Organisation zu zerstören, durch die die Arbeiterklasse ihren sozialen Ausdruck findet. Wenn Thatcher darauf bestand, dass private Unternehmen von Staatseingriffen frei bleiben sollten, so demonstrierte sie damit nur, in welchem Ausmaß die Regierung die Freiheit der Arbeiter, sich zu organisieren, behindern konnte. Das belegt auch, dass die Rhetorik der Deregulierung umgedreht wird, wenn es um die Gewerkschaften geht. Jahrzehnte lang hat New Labour nichts oder nur wenig getan, um etwas an dieser Situation zu ändern, und auch heute gibt es immer noch Tories, die mit neuen Gesetzen gern noch weiter gehen würden.

Es sind nicht nur die Gewerkschaften als kollektive Körperschaften, die für diese Offensive bezahlen mussten, auch die Gesellschaft als ganze hat darunter gelitten. Der neoliberale „Washington Consensus“, der seit Thatcher jeder Regierung als Leitfaden diente und die Einschränkung der Macht der Gewerkschaften verlangte, hat – das ist nun offensichtlich – der Mehrheit der Gesellschaft geschadet. Der nationale Abwärtstrend in der Beteiligung an Tarifverhandlungen quer durch die Sektoren der Gesellschaft war ein Schlüsselfaktor für die Vergrößerung der Ungleichheit, heute Quelle allgemeiner Sorge. Zwischen 1975 und heute ging der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt von 65 auf 53 Prozent zurück, ein bemerkenswerter Einschnitt. Andere, damit zusammenhängende Indikatoren, die die wachsende Ungleichheit in der angelsächsischen Welt belegen, wurden mit vielen Details von Wilkinson und Picket in ihrem aufschlussreichen Buch „The Spirit Level“[5] dargelegt.

Die öffentliche Unterstützung für Privatisierungen ist schnell zurückgegangen und die Arbeitnehmerbeteiligung an den Unternehmen, einst gepriesen als große Alternative zu den Gewerkschaften, ist heute kaum höher als zu dem Zeitpunkt, als die Idee aufkam:

- Anstatt eine Armee von „Reichtumsschaffern“ zu erzeugen, führte die Privatisierung nur zu gewaltigen privaten Unternehmen, die in kurzer Zeit Geld und Macht anhäuften.

- Anstelle von massenhafter individueller Beteiligung führte sie zu Machtübertragung an Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften, die von der Londoner City kontrolliert werden.

- Anstatt Wettbewerb zu beleben und Leistungen zu verbessern wurden private Monopole geschaffen, die ihre Macht missbraucht haben – besonders im Energie- und Eisenbahnsektor.

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Soviel zur Vergangenheit. Wenn wir uns nun der Zukunft zuwenden, welche Art von Politik können wir uns vorstellen? Was heißt Arbeiterklassenpolitik im 21. Jahrhundert? Wie ich dargelegt habe, brauchen wir erst einmal überhaupt Arbeiterpolitik. Die Demokratie selber stirbt, wird sie das Privileg einer kleinen Elite, so wie wir es heute beobachten können.

In meiner Jugend war es einfach, Lebenswelt und Politik der Arbeiterklasse zu verstehen und zu bestimmen. Die Demarkationslinie zwischen denen und uns, zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, war klar für alle zu sehen. Ich wuchs auf in lebendigen und politisierten Kommunen – das Leben spielte sich im Umfeld der Liverpooler Docks ab. Um die Arbeit herum formte sich das Leben der Arbeiterklasse – Gewerkschaft, Gemeinde, die Labour Party.

Heutzutage können wir daran nicht mehr einfach anknüpfen. Wir können zukünftige Arbeiterpolitik nicht auf einer Grundlage entwickeln, die schon lange erodiert ist. Der wohl augenfälligste Wandel ist das Verhältnis zwischen stabilen Normalarbeitsverhältnissen und solchen, die unsicher sind. Das unterscheidet die heutige Arbeiterklasse mehr als alles andere von jener Arbeiterklasse, in der ich aufgewachsen bin. In vielen Gemeinden, die über ein Jahrhundert lang oder mehr von einer großen Industriearbeiterschaft bevölkert wurden, lebt heute eine ganz andere Bevölkerung. Sie mag von den ehemaligen Industriearbeitern abstammen, aber die Menschen sind heute oft marginalisiert, ökonomisch inaktiv und werden von den Medien und den Besserverdienenden schlecht gemacht. Nehmen wir zum Beispiel die ehemaligen Siedlungen der Bergarbeiter wie Easington im Nordosten oder Merthyr Tydfil in Südwales. Dies sind heute zwei der ökonomisch inaktivsten und ärmsten Kommunen in England. Sie waren einst die Hauptstädte des britischen Kohlebergbaus, die die englische Industrie für über 100 Jahre und durch zwei Weltkriege hindurch mit Energie versorgten. Jetzt liegen diese Kommunen brach – zerstört durch das neoliberale Experiment, das die„alten“ Industrien in andere Erdteile vertrieb und als Alternative bloß einen aufgeblähten Finanzsektor und eine Immobilienblase anzubieten hatte.

Nicht jede Gemeinde hat so gelitten. Aber keine blieb unberührt. Menschen müssen oft umziehen, um Arbeit zu finden. Die Verbindung zwischen Gemeinde und Arbeitsplatz ist zerbrochen. Einst stolze Gemeinden, hart arbeitend und aufstrebend, wurden von Arbeitslosigkeit, Depression, Drogen und Alkoholismus heimgesucht. Forschungen des „Institute for Public Policy Research“ haben ergeben, dass Langzeitarbeitslose häufiger in den gleichen benachteiligten Gemeinden leben, die wirtschaftlich schlecht gestellt sind und in denen es wenig Aussicht auf Arbeit gibt. Eine Arbeiterklasse ohne Aussicht auf Arbeit.

Während unsere Gemeinden sich verändert haben und das Wirtschaftsmodell transformiert wurde, ist die Demarkationslinie zwischen denen und uns geblieben: Das Prinzip von Ausbeuter und Ausgebeuteten existiert weiter. Und diese Menschen teilen noch eine andere Gemeinsamkeit mit der früheren Arbeiterklasse: Beide werden von Presse und Politikern dämonisiert.

Lasst mich einen Auszug aus George Orwells „The Road to Wigan Pier“[6] aus dem Jahre 1937 vorlesen. Über seine frühe Kindheit bemerkt George Orwell: „Für mich und für fast alle Kinder aus Familien wie der unseren waren im frühen Knabenalter ‚gewöhnliche’ Leute fast etwas Untermenschliches. Sie hatten grobe Gesichter, eine fürchterliche Redeweise und ungeschliffene Manieren, sie hassten jedermann, der nicht so war wie sie selber, und bei der ersten Gelegenheit würden sie einen auf die brutalste Art angreifen. Das war unser Bild von ihnen, und obwohl es falsch ist, war es verständlich. Denn man muss bedenken, dass es in England vor dem Krieg viel mehr offenen Klassenhass gab als heute.“

Die heute durch die Medien verbreitete Dämonisierung der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger weist deutliche Parallelen zu damals auf. „Wayne und Waynneta Slob“, „Vicky Pollard“ und Fernsehsendungen wie „Shameless“ sind die fiktionalen Portraits der nutzlosen, kriminalisierten und ignoranten „Neuen Arbeiterklasse“. Die „Daily Mail“ nimmt sich das Recht heraus, jeden, der nicht aus der Mittelschicht kommt oder der keine Arbeit hat, zu diffamieren – und gleichermaßen sein soziales Umfeld.

Ich sehe das anders. Der Kapitalismus ist das einzige System, das Arbeitslosigkeit als Normalfall kennt. Es ist die Verantwortlichkeit jedes Systems, Menschen Arbeit anzubieten, und wenn es dabei versagt, schiebe ich das nicht auf die Opfer. In den letzten zwei Wochen sind 11.000 Stellen weggefallen – bei HMV, Jessops und Honda – um nur ein paar zu nennen. Die heutigen Working-Poor, die zukünftigen Sozialschmarotzer – so stellt es die rechte Presse dar.

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Also: Wie reorganisieren und bauen wir auf – in der heutigen Umwelt und mit der Arbeiterklasse, die da ist, also nicht mehr jener, die es mal gegeben hat? Wenn wir bedenken, dass die Situation der Arbeiterklasse sich während des 20. Jahrhunderts verbessert hat, dann deshalb, weil sie – durch die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung – zusammen lernte und kämpfte als eine Klasse. Wir müssen uns heute auf den Ausgangspunkt dieses Prozesses konzentrieren. Marx’ Unterscheidung einer „Klasse an sich“, welche der Kapitalismus immer wieder spontan hervorbringt, und einer „Klasse für sich“, die in der Öffentlichkeit durch ihre Organisation und Kultur ihre eigenen Interessen artikuliert, hat ihre Gültigkeit behalten. Eine „Klasse für sich“ wieder aufzubauen ist mit vielen Herausforderungen verbunden, aber diese sind nicht absolut neu. An der Wende zum 20. Jahrhundert hatten die Gewerkschaften die Aufgabe, Arbeiterinnen und Arbeiter aus den neuen Industrien zu rekrutieren, Einheitsgewerkschaften zu schaffen und die Labour Party im Parlament und in der Nation zu verankern. Das war ein langer Kampf. Heute müssen wir uns mit einer Krise des Selbstvertrauens auseinandersetzen, dem Resultat aus Jahren von Niederlagen und einer zunehmenden Marginalisierung. Wir müssen deutlich machen, dass wir für die Arbeiterklasse sprechen, dass die Arbeiterklasse für eine bessere Welt für alle steht und wir müssen den Kampf an der Basis organisieren – nicht als Vertreter von Partikularinteressen oder als Lobbygruppe, sondern als bewegende Kraft der einzigen wirklichen Alternative zur Krise des Kapitalismus und zu den von herrschenden Eliten zu verantwortenden Fehlschlägen. Als Gewerkschaften ist es unsere erste Aufgabe, Arbeiter zu organisieren und für sie bessere Arbeitsbedingungen rauszuholen. Einfache Ziele – aber nur im Konflikt durchzusetzen, da wir so vielen ausbeuterischen und antigewerkschaftlichen Unternehmen gegenüberstehen.

Aber Arbeiterpolitik muss weiter gehen. Meine Gewerkschaft Unite zeigt mit einem neuen ambitionierten Programm zur Rekrutierung, Organisierung und Weiterbildung quer durch alle Gemeinden, wie es geht: Arbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Pflegekräfte, die Alten, die Freiwilligen und der Wohltätigkeitssektor – es ist für diese Leute an der Zeit, dass sie eine Stimme bekommen. Wer sollte das besser können als die Gewerkschaft? Gewerkschaften können nicht länger untätig dabei zusehen, wie der Staat so viele Menschen links liegen lässt – Menschen, von denen es immer mehr geben wird, solange die sogenannten ‚Sozialstaatsreformen’ weiter durchgesetzt werden. Gewerkschaften müssen wieder Anschluss an größere Gemeinschaften finden und das Band wieder aufbauen, das mit dem Umbruch der Arbeit – oder ihrem kompletten Fehlen – zerschnitten wurde. Unser Ziel ist es, Gemeinschaften wieder im gemeinsamen Handeln zusammenzuführen, wie es unserer Tradition entspricht.

Gewerkschaften haben immer soziale Räume angeboten (z.B. Working Man’s Club), wo Menschen bei einem Bier zusammenkamen und soziale und politische Aktionen planten. Es sind diese Wurzeln, zu denen wir wieder zurückkehren müssen, und das in einer modernen Form. Viel zu viele Menschen in unserem Land werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie haben es verdient, gehört zu werden; sie verdienen auch Unterstützung, um sich gemeinsam zu organisieren. In diesem Geiste hat Unite ihr „community membership scheme“ geformt: Wer keine Arbeit hat, kann unserer „Familie“ für 50 cent oder weniger beitreten. Das ist der Grund, warum jetzt im ganzen Land lokale Gruppen wie Pilze aus dem Boden schießen und Organisatoren über’s ganze Land verteilt arbeiten. Wir bieten individuelles Training für Menschen an, die Gemeindeaktivisten werden wollen. Unsere Aktivisten gehen in ihre Kommunen, bauen lokale Gruppen auf und ermöglichen es den Menschen, etwas für sich selbst zu tun. In Leeds z.B. organisieren Gruppen eine Kampagne gegen Billigarbeit und demonstrieren gegen Unternehmen wie ‚Argos’, die diese moderne Form der Sklaverei ausnutzen. In London gibt es organisiertes „benefit buddying“ – das Zusammenbringen von Arbeitslosen mit Menschen in Arbeit. In Sheffield haben sie eine Telefonkette eingerichtet, um ihre Mitglieder im Falle einer Zwangsräumung zu schützen. In Glasgow arbeiten unsere Gemeinschaftsmitglieder zusammen mit Mitgliedern aus der Industrie, um ein beliebtes Gemeindecafe zu retten. Wir haben Gemeindemitglieder gesehen, die ihre Solidarität für unsere Mitglieder aus der Industrie gezeigt haben, indem sie ihre Kämpfe mit Kundgebungen und Protesten unterstützten. Unite bemüht sich auch, den Bedürfnissen ihrer Mitglieder durch die Einrichtung einer neuen Genossenschaftsbank entgegen zu kommen. High-Street und Internetkreditinstitute sagen, dass sie einen viel gefragten Service bieten, der für viele sonst nicht zugänglich wäre. Meine Gewerkschaft hingegen sagt klar: Diese Unternehmen, die von dem Elend anderer Menschen profitieren, haben in unserer Gesellschaft nichts verloren. Eine Gewerkschaft kann nicht untätig dabei zusehen, wie ihre Mitglieder von kapitalistischen Geiern ausgenommen werden. Durch Genossenschaftsbanken können unsere Mitglieder Kredite bekommen, ohne auf die ruinösen Zinsraten der Pay-Day Kredit-Unternehmen angewiesen zu sein.

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Die Menschen, die heute behaupten, dass es nichts mehr gäbe, für das es sich zu kämpfen lohnt – dass die Gewerkschaft und die Arbeiterbewegung nicht mehr relevant seien – sind die ideologischen Enkel und Urenkel jener, die jede progressive Forderung der arbeitenden Menschen im letzten Jahrhundert bekämpft haben. Das ist auch der Grund dafür, dass die Rechten versuchen, die working-poor von den Arbeitslosen zu trennen; den Arbeiter im öffentlichen Sektor von dem im privaten; die im Süden von denen im Norden. Ihre Taktiken haben sich nicht verändert. Und das müssen unsere auch nicht.

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Mit dem 21. Jahrhundert schlägt der Arbeiterbewegung nicht das letzte Stündlein. Es ruft uns zu den Waffen, so, wie die scheinbar unendliche Wirtschaftskrise, die 2008 ihren Anfang genommen hat. 1992, nach der Wahl einer weiteren konservativen Regierung, erklärte Margaret Thatcher: „Dies ist ein großer Abend. Es ist das Ende des Sozialismus“. Ein paar Jahre später meinte Tony Blair: „Der Klassenkampf ist zu Ende.“ Natürlich, vom Konferenzraum der JP Morgan oder von wo auch immer er gerade herunterschaut, sieht das so aus. John Prescott[7] behauptete: „Wir sind jetzt alle in der Mittelschicht.“ Aber keine Sorge, New Labour hat die zur Menschheitsentwicklung gehörende Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterklasse nicht ausgemerzt. Meint irgend jemand – nach zweieinhalb Jahren dieser „Bullingdon Club“-Koalition[8] – behaupten zu können, dass Klassen heute kein Thema der Politik mehr wären? Natürlich sind solche Äußerungen keine politische Realität; sie sind Taktik, politisches Gehabe. Sie sollen suggerieren, dass wir heute nichts mehr hätten, für das es sich zu kämpfen lohnt. Das ist Teil einer Rhetorik, die uns dazu bringen soll, die Entscheidungen der Eliten nicht mehr in Frage zu stellen.

Uns wird beigebracht, dass Demokratie der Stützpfeiler einer modernen Gesellschaft sei; doch unsere Lords und Master wollen definieren, was Demokratie ist, und unser Zutun auf das Kreuzchen auf dem Wahlzettel beschränken. Das ist nicht mein Verständnis von Demokratie.

Sie sagen, Streik, ziviler Ungehorsam, direkte Aktion, Proteste – das ist unpatriotisch. Aber unsere Geschichte sagt uns: Sie sind es nicht. Und das ist der Grund, warum die Herrschenden sich so sehr vor Ralph Milibands Feststellung fürchten, dass es bei Politik um Konflikt geht. Sie meinen, dass alle, die ohne Hoffnung sind, ohne Jobs, die Kürzungen ihrer mageren Sozialhilfe entgegensehen, deren Familien wegen der Veränderung beim Wohngeld aus London verjagt werden, dass sie alle das einfach hinnehmen sollten.

Aber wartet die nächsten Wahlen ab – wenn sie dann noch zur Wahl zugelassen sind. Ich erinnere daran, dass einige Ratsvorsitzende in unseren größeren Städten davor gewarnt haben, dass die Menschen vielleicht mit Zorn oder Störung der öffentlichen Ordnung reagieren könnten. Es würde mich nicht wundern. Schlimmer als zu leiden ist es, allein und in Stille zu leiden. Wir haben in den letzten Jahren erstaunliche lokale Proteste gesehen: 20.000 Menschen, die ein Krankenhaus in Eastbourne verteidigten; 15.000, die in Lewisham auf die Straße gingen, bis zu 350 Menschen, die gegen die Schließung einer Bibliothek protestierten. Schaut auf die Riots im Jahr 2011 in England. Sie enthüllten die wachsende Kluft in einer kaputten Gesellschaft.

Aber das passierte nicht grundlos. Junge Menschen sprachen davon, wie frustriert sie sind, weil sie keine Arbeit finden konnten. Sie wurden schon von vornherein von der Gesellschaft ausgeschlossen – also, was hatten sie zu verlieren? Diese Ereignisse zeigten, dass ab einem gewissen Grad an Ungleichheit das ganze Konzept von „Gesellschaft“ seine Bedeutung verliert.

Arbeiterbewegung, Proteste und Arbeiterpolitik werden weit über das 21. Jahrhundert hinausgehen. Seid versichert, der Protest gegen Ungleichheit lebt und ist lebendig – schaut nur auf die Arbeit von UKuncut[9], die die unglaubliche Steuervermeidung von Vodafone und anderen Großkonzernen brandmarkt. Ihre Botschaft: Wenn Du in England Geschäfte machen willst und von unserer Infrastruktur und unseren gut ausgebildeten Arbeitskräften profitieren willst, dann zahl auch deine Steuern. Die Proteste im letzten Jahr gegen Starbucks. Am Anfang – klar – schlug den Protestierenden eine Welle von Feindschaft, Verunglimpfung und Angriffen in den Medien entgegen. Aber die Wahrheit ist: Diese Taktik ging auf. Als die rechten Medien mitbekamen, dass an diesen Protesten etwas dran war, konzentrierten sie sich plötzlich auf Starbucks, und was folgte, war ein bemerkenswerter öffentlicher Boykott dieses Unternehmens. Man braucht Mut, um Unpopularität und Verunglimpfungen zu riskieren. Aber die Wahrheit setzt sich durch.

Die Botschaft der Arbeiterbewegung muss „Hoffnung“ vermitteln. Sie muss mehr von ihren Siegen sprechen und der positiven Zukunft, die sie anstrebt. England ist kaputt. Aber es ist das System, das kaputt ist, nicht die Menschen. Gewerkschaften und Arbeiterbewegung müssen fortfahren, den Menschen Hoffnung zu geben, dass man es auch anders und besser machen kann. Sie müssen daran arbeiten: Erziehen – Agitieren – Organisieren. Ich bin stolz darauf, dass man Unite mit diesen Initiativen assoziieren kann, und ich setze meine Hoffnung darein, dass wir eine lang anhaltende Allianz zwischen organisierter Arbeit und radikalem Protest schaffen können, selbst wenn er von außerhalb unserer traditionellen Bewegung kommen mag. Und, wie ich es in Bezug auf die Gewerkschaftsgesetze klar gemacht habe: So, wie ich nie für Gewalt eingetreten bin, predige ich auch nicht Gesetzestreue um jeden Preis. Meine Botschaft an den Kapitalismus – falls man einem System überhaupt eine Botschaft schicken kann – lautet: Ändere grundlegend deine Methoden oder riskiere sozialen Kollaps und Chaos. Was immer auch das Ergebnis von Wahlen sein mag: Politik im Interesse der Lohnabhängigen muss wachsen und sich entwickeln, auf der Grundlage der sozialistischen Erziehung, für die sich Ralph Miliband ausgesprochen hat.

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Es gibt bestimmt einige hier, die es gar nicht abwarten können, meine Botschaft an die Labour Party zu hören. Na gut, ich werde euch nicht enttäuschen. Die Menschen brauchen eine politische Stimme. Sobald die Arbeiterklasse wieder Statur gewinnt, wird die Labour-Party das natürliche historische Vehikel, ihr Ausdruck sein. Aber nicht im Sinne einer Exklusion anderer in der Gesellschaft, die auch eine bessere Zukunft wollen. Jeder Sieg der Labour-Party basierte auf einer Allianz. Und eine solche Allianz sehe ich 2015 die Wahlen gewinnen. Aber lasst mich eines klarstellen – falls es in der Zukunft jemals wieder eine Rückkehr zu den diskreditierten Rezepten des Blairism gibt, wird sich das mit der Labour-Party für mich erledigt haben – und ich glaube, für viele Millionen andere auch. Einfach gesagt: Lohnabhängige brauchen eine Stimme, aber ihre Stimmen sollten nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden.

Mitten in dieser nicht enden wollenden Krise mit einer – wie es Ralph Miliband genannt hätte – diskreditierten herrschenden Klasse am Ruder ist es höchste Zeit für die Arbeiterklasse, mit ihrer eigenen Vision und Alternative vorwärts zu gehen. Unsere Werte sind ewig. Wir müssen so zuversichtlich sein, wie jene, die uns vorausgegangen sind. Auf der Suche nach einer schönen neue Welt.

[1] Die hier geringfügig gekürzte Rede kann im Internet abgerufen werden unter: http://www.unite4len.co.uk/len-mccluskey-ralph-miliband-lecture/ Zu Informationen zum Ralph Miliband Programme, in dessen Rahmen die Lectures gehalten werden, siehe: http://www.lse.ac.uk/publicEvents/miliband/Home.aspx.

[2] Daniel Boyle, Regisseur, zuständig für die Inszenierung der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele, London 2012.

[3] Taff Vale: 1901 wurden die Gewerkschaften in einem nach dem Eisenbahnunternehmen Taff Vale benannten Gerichtsverfahren für ökonomische Streik-Schäden haftbar gemacht. Diese Grundsatzentscheidung wurde 1906 durch den von Labour Party und Liberalen verabschiedeten Trades Dispute Act aufgehoben.

[4] „Big Society“: gesellschaftspolitisches Konzept des britischen Premierministers David Cameron, das versucht, staatlichen Interventionismus durch das „Empowerment zivilgesellschaftlicher Akteure“ zu ersetzen.

[5] Kate Pickett / Richard Wilkinson, Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Tolkemitt bei Zweitausendeins, Berlin 2010.

[6] George Orwell, Der Weg nach Wigan Pier, Zürich 1982, S. 124 (in der Übersetzung von Manfred Pabst).

[7] John Leslie Prescott, Baron Prescott, ehemaliger Gewerkschafter, Labour-Politiker, 1997-2007 stellv. Premierminister unter Tony Blair, seit 2010 Abgeordneter im House of Lords

[8] Exklusive Studentenverbindung, der viele Mitglieder der Regierung Cameron angehören.

[9] UKuncut: 2010 gegründete britische Protestbewegung gegen Steuerhinterziehung und Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor.