Editorial

Juni 2013

Das vorliegende Heft behandelt aktuelle Veränderungen der Militärpolitik und Rüstungswirtschaft der Bundesrepublik und Europas. Es geht um „neue Kriege“ und deren Ursachen, um den Umbau der Bundeswehr und der Rüstungs-industrie der BRD sowie den Ausbau des politischen wie wirtschaftlichen Militärpotenzials der Europäischen Union.
Die Stellung zu Krieg und Rüstung ist auch heute der Lackmustest, bei dem sich Rechte und Linke scheiden. Niemand hat dies besser vor Augen geführt als August Bebel. Sein hundertster Todestag ist am 13. August dieses Jahres zu begehen. Bebel hat im deutschen Reichstag unter der Parole „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ einen unermüdlichen und höchst ak-tuellen Kampf gegen Militarismus, Krieg und Rüstung geführt. Wer seine Reichstagsreden zur Hand nimmt, findet dort die Themen, die auch heute für die Friedensbewegung und antimilitaristischen Initiativen im Mittelpunkt stehen – Ablehnung der Rüstungshaushalte und Aufrüstung, Verweigerung der auf Expansion, Territorialherrschaft und Ressourcenaneignung zielenden Kriegseinsätze in Afrika und Asien, Forderung nach Rüstungskonversion, Verurteilung der Verbrechen gegen das Völkerrecht. Bebel, der wegen seiner Anprangerung des aggressiv-expansionistischen Charakters des Krieges 1870/71 und der deutschen Reichseinigung von oben im Leipziger Hochverratsprozess 1872 zu einer mehrjährige Gefängnishaft verurteilt wurde, war sich des geschichtlichen Zusammenhangs von kapitalistischer Entwicklung, Außenexpansion und Rüstung absolut bewusst. Seine Reden durchzieht die frühzeitige, geradezu prophetische Warnung vor der Katastrophe des heraufziehenden Weltkrieges. 1889 erklärt er: „Der nächste Krieg wird … ein europäischer Krieg werden …; das alte bürgerliche Europa [ist] auf dem besten Wege, durch seine Riesenrüstungen … seinen eigenen Untergang zu finden.“ Auf diese Warnungen der Linken wird auch im nächsten Jahr, wenn in der öffentlichen Debatte die Ursachen des ersten Weltkrieges zur Diskussion stehen, zurückzukommen sein.

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Seit dem Epochenbruch 1989/90 und dem Wegfall der Systemkonfrontation hat sich die globale militärpolitische Konstellation grundlegend gewandelt. Die von manchen gehegte Hoffnung auf eine „Friedensdividende“ erwies sich rasch – spätestens seit dem Jugoslawienkrieg – als Illusion. Herrschaftswillen, Außenexpansion und Bereitschaft zur Kriegsführung des neuen Imperialismus gegenüber den peripheren, womöglich ressourcenreichen und unbotmäßigen Regionen traten deutlich hervor und fanden nach 9/11 mit dem „Krieg gegen den Terror“ ihre politisch-ideologische Begründung.
Die Erwartung kommender Kriege – Gegenstand des ersten Themenblocks – wird, so Norman Paech, nicht nur durch die tägliche Kriegsberichterstattung, sondern auch durch die Programmatik der neuesten Militärstrategien von NA-TO, USA und der EU untermauert. Dabei wird das Völkerrecht zur „Legitimation“ neuer imperialer Kriege bemüht. Paech sieht sowohl die Tendenz, „illegale aber legitime“ Einzelfälle auszumachen, als auch die subversive Strategie, das Völkerrecht entweder so umzudeuten, dass es Interventionskriegen nicht entgegensteht, oder in diesen Kriegen eine Fortentwicklung des Völkerrechts zu sehen. Ausgehend von strategischen Äußerungen aus den USA, aber auch aus der BRD, rekapituliert Inge Höger die Geschichte des militärischen Engagements westlicher Staaten in Nordafrika und dem mittleren Osten als Teil einer imperialistischen Rohstoffpolitik. Sie verweist auf die nach wie vor zentrale Rolle des Erdöls für das vorherrschende Kapitalismusmodell, aber auch auf die wachsende Bedeutung anderer Rohstoffe, deren Sicherung zum Kriegsgrund werden kann. Peter Strutynski sieht im Anschluss an David Harvey in der wachsenden Tendenz zu gewaltförmigen Konfliktlösungen, der forcierten Inwertsetzung von Naturressourcen und der Teilung der Welt in Elendszonen und abgeschottete Industriestaaten Formen eines „neuen Imperialismus“. Er stellt Prognosen zu Klima- und Rohstoffkriegen im 21. Jahrhundert vor; eine Schwäche sieht er in der ungenügenden Beachtung ihrer ökonomischen Grundlagen. Die vielfältigen Ziele und Motive kriegerischer Interventionen analysiert Johannes Becker am Beispiel der französischen Militäraktion in Mali. Die Intervention zeigt, dass ‚FrancAfrique’, d.h. die Behandlung der ehemaligen Kolonien als französischen Hinterhof, keineswegs Geschichte ist. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus spielt sicher eine Rolle; vor allem geht es aber um die Versorgung Frankreichs mit Rohstoffen, insbesondere den Schutz der Uranförderung im benachbarten Niger, ohne die dem französische Atomstrom das ‚Aus’ drohen würde.
Im zweiten Themenblock stehen Entwicklungen in der Bundesrepublik im Mittelpunkt. Wie die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit einsetzbaren Interventionstruppe umgebaut wird, erläutert Jürgen Rose. Er zeigt, dass dieses auf Kriegführung angelegte Militär-Konzept klar definierten wirtschaftlichen und politisch-strategischen Interessen folgt, die vom politischen Führungspersonal auch offen ausgesprochen werden. Die klassische Aufgabe der Landesverteidigung wird durch ein Konzept abgelöst, das Andreas Seifert in seiner Übersicht zum Umbau der Rüstungswirtschaft als „Versicherheitlichung“ bezeichnet. Es geht um die Sicherung globaler wirtschaftlicher und politischer Interessen. Die Rüstungsindustrie wandelt sich zur „Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, bei der militärische und zivile Produktionen sich stärker verflechten. Mit den Rahmenbedingungen und Regeln für den deutschen Rüstungsexport befassen sich Kerstin Seifer und Alexander Lurz. Angesichts der unter dem Druck der Haushaltskrise tendenziell stagnierenden öffentlichen Beschaffungen gewinnt die Förderung des Exports von Rüstungsgütern zur besseren Auslastung der Produzenten einen neuen Stellenwert. Regeln, die den Rüstungsexport an bestimmte moralische und politische Grundsätze binden sollen, werden immer mehr ausgehöhlt. Dagegen nennen die Autoren drei Sofortmaßnahmen: das Ende staatlicher Exportbürgschaften, das Verbot von Kleinwaffenexporten und die wirksame Kontrolle darüber, wo die Waffen letzten Endes eingesetzt werden.
Die Militarisierung der EU – Thema des dritten Themenblocks – setzte, so Gregor Schirmer, mit dem Untergang des realen Sozialismus in Europa ein. Schirmer gibt einen Überblick zu Militärmissionen der EU, ihrer indirekten Kriegsbeteiligung und den Widersprüchen der „gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Aber: Ein „Rückbau“ der EU zu einer zivilen Organisation ist „möglich und notwendig“. Sabine Lösing und Jürgen Wagner schildern in diesem Kontext die Veränderungen der europäischen Rüstungswirt-schaft. Eine Tendenz zum Ausbau der Dominanz der großen EU-Länder ist zu erkennen. Entsprechend der Herausbildung einer eigenen europäischen Militärpolitik wird versucht, den Konzentrationsprozess in der Verteidigungsindustrie politisch voranzutreiben. Ziel ist ein europäischer „Politisch-Militärisch-Industrieller-Komplex“, in dem – anders als im klassischen Militär-Industrie-Komplex – die politischen Entscheidungsträger eine größere Rolle spielen. Die Bemühungen um den Ausbau des europäischen Militärpotenzials einschließlich eigener strategischer Führungsinstitutionen werden von den USA mit Argusaugen verfolgt und mit Verweis auf die existierenden Strukturen der NATO abgebremst. Iraklis Oikonomou diskutiert diesen Prozess im Kontext der Debatte um die Herausbildung einer „transnationalen“ Bourgeoisie. Er konstatiert für den militärisch-industriellen Sektor eine wachsende Internationalisierung auf EU-Ebene, aber zugleich eine ausgeprägte transatlantische Konkurrenz.

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Weitere Beiträge: Simon Zeise (Die Linke.SDS) stellt die Frage nach den heutigen Möglichkeiten einer sozialistischen Studierendenpolitik. Er sieht einen entscheidenden Ansatz in einem reformulierten Konzept einer Gewerkschaftlichen Orientierung. Die derzeit auch medial viel beachteten Bewegungen für eine Zivilklausel an deutschen Universitäten sind Gegenstand des Artikels von Anne Geschonneck. Gerd Wiegel legt in seiner Bilanz der Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses den Fokus auf den „strukturellen Rassismus in den Sicherheitsbehörden“. Diesen Rassismus zu thematisieren und aufzuarbeiten hält er – neben der Forderung, den Verfassungsschutz abzuschaffen – für eine dringliche Aufgabe. Richard Sorg wertet das Stalin-Buch von Domenico Losurdo als eine „Gratwanderung“ zwischen moralischer Verdammung einerseits und Verharmlosung andererseits. Klaus Müller unterzieht die in der Alternativbewegung (Tauschringe, Regionalgeld) nicht resonanzlose Freiwirtschaftslehre und „Geldtheorie“ von Silvio Gesell einer gründlichen Kritik. Eine Diskussionsübersicht zu Charakteristika der heutigen ökologisch-sozialen Krise, ihren ökonomischen und außerökonomischen Ursa-chen, zu Voraussetzungen eines Ökosozialismus und möglichen Wegen dahin geben Rolf Czeskleba-Dupont und Karl Hermann Tjaden.
Zu verweisen ist auf eine Diskussion zu dem Beitrag von van der Pijl/Holman in Z 93, in der es um die Frage geht, ob heute noch von „deutschem Kapital“ gesprochen werden kann (Werner Rügemer; Jörg Goldberg/André Leisewitz), auf zahlreiche interessante Tagungsberichte (Militarismus-Fragen, Streiks, Eurokapitalismus, Intelligenz-Analyse) sowie die Buchbesprechungen.

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Im September-Heft (Z 95) sollen u.a. aktuelle Fragen des Miet- und Woh-nungsmarkts zur Debatte stehen.