Novemberrevolution – Aktualität und Geschichte

Auf dem Weg zu einem neuen Sozialismus

März 2009

Das unabgegoltene Erbe der Novemberrevolution*

Socialism itself must be viewed as part of a democratic movement which
long antedates it, but to which socialism alone can give its full meaning.
Ralph Miliband 1994

Armut, Hunger, Krieg und Wirtschaftskrise sind ins Zentrum unserer Gesellschaft zurückgekehrt und mit ihnen auch die Suche nach einem neuen Sozialismus. Man kann und sollte bezweifeln, dass es hier einen automatischen Zusammenhang gibt, denn es bedurfte nach dem tief greifenden Epochenbruch der 1990er Jahre mehr als nur der durch Armut, Hunger, Krieg und Wirtschaftskrise bedingten Notwendigkeiten, um eine politische Neuformierung einzuleiten. Es bedurfte vor allem neuer Möglichkeiten, neuer Mut machender Erfahrungen von Opposition und Widerstand. Nach den vielfältigen Bewegungen für eine andere Globalisierung und den wieder zunehmenden sozialen Verteidigungskämpfen der europäischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung waren dies die Erfahrungen vor allem des lateinamerikanischen Aufbruchs wie der neuen Linkspartei, um neue Suchbewegungen auch in Deutschland auszulösen. Noch sind diese Strömungen allerdings schwach und marginal – schwächer und marginaler als die wahlpolitischen Erfolge der Linkspartei suggerieren. Doch die Diskussionen haben begonnen.

Kapitalismus und Sozialismus

Jede Sozialismusdiskussion muss mit einer Kritik des Kapitalismus beginnen, denn der Sozialismus war und ist nicht die zeitlose Utopie einer wie auch immer beschaffenen Welt. Der Sozialismus des 19. und 20.Jahrhundert war eine aus den Eingeweiden der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft herausgewachsene politisch-soziale Bewegung, die sich historisch und logisch aus der theoretischen wie praktischen Kritik der herrschenden Gesellschaft entfaltet hat. Und genau dies wird auch der neue Sozialismus sein, wenn er mehr sein will als eine unverbindliche Utopistik.

Ich kann diese Kapitalismuskritik hier nicht ausführen. Trotzdem will ich deren klassische Ergebnisse wenigstens kurz benennen. Ökonomisch verspricht der Kapitalismus den Wohlstand für alle. Doch er schafft es nicht, die von ihm frei gesetzten immensen Produktivkräfte gesellschaftlich sinnvoll zu organisieren. Stattdessen beruht die kapitalistische Produktionsweise auf einem weitreichenden Verschleiß, einer weitreichenden Verschwendung und einer weitreichenden Gefährdung der menschlichen und natürlichen Lebensgrundlagen. Politisch verspricht der Kapitalismus Freiheit und Demokratie für alle. Doch die kapitalistische Gesellschaftsform ist auch in ihrer sozialstaatlichen und fordistischen Variante eine strukturell antagonistische Klassengesellschaft, die auf der (direkten wie indirekten) Ausbeutung der von Lohnarbeit lebenden Mehrheit einerseits[1] und der Herrschaft einer privilegierten Minderheit von ökonomischen und politischen Eliten andererseits beruht – was nicht ohne Folgen für Freiheit und Demokratie bleibt. Kulturell verspricht der Kapitalismus die prinzipielle Gleichwertigkeit der Menschen. Doch praktisch fördert er allüberall Spaltung und Ausgrenzung, Entfremdung und Verdinglichung, Neurotisierung und zynischen Nihilismus.

Die Neoliberalen behaupten, dass wir all diese Probleme haben, weil es angeblich zuwenig Marktwirtschaft, zu wenig Kapitalismus gibt. Das mag glauben wer will, die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte spricht dagegen eine deutlich andere Sprache. Es ist der immer weiter und tiefer um sich greifende Kapitalismus – in seiner ordinären wie in seiner wild gewordenen Form –, der all dies strukturell produziert und zementiert. Die sozialistische Kapitalismuskritik endet deswegen immer, sonst sollte man sie nicht sozialistisch nennen, im Ziel einer Aufhebung dieser herrschenden Trias von Ausbeutung, Verdinglichung und Entfremdung.

Das war aber auch – und daran möchte ich im Zusammenhang mit der Diskussion über das Erbe der Novemberrevolution besonders erinnern – die gemeinsame Zielvorstellung aller sozialistischen Strömungen der vorletzten Jahrhundertwende, sowohl des revolutionären wie auch des klassischen reformistischen Sozialismus. Es ging den klassischen Sozialisten zur Zeit Bebels, Kautskys, Bernsteins und Luxemburgs nicht um einzelne Reformen innerhalb des Systems, es ging ihnen – auch Bernstein – um eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft. Bei aller politischen Differenz hatten all diese Figuren nämlich gemeinsam, dass sie den Kapitalismus im marxistischen Sinne interpretierten und kritisierten. Und diese marxistische Theorie wollte und will mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen, dass die zentralen, die treibenden Widersprüche der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsformen, egal wie immer sie sich im Detail konkretisieren, weder auf dem Boden von ökonomischer Profitlogik und ökonomischem Konkurrenzkampf aufzulösen sind, noch im Rahmen einer lediglich politischen Emanzipation, wie sie die bürgerliche, politische Freiheit kennzeichnet. Die frühbürgerlichen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, so die klassische Marxsche Kritik bürgerlicher Freiheit, beschränken sich in der gesellschaftlichen Praxis auf die Entwicklung zum politischen Staat, d.h. zu einer säkularisierten und parlamentarisch verfassten Gesellschaftsform der formalen Gleichheit und Freiheit, die zwar – im besten Falle – Koalitions-, Versammlungs-, Religions- und Meinungsfreiheit, allgemeines und gleiches Wahlrecht und manches anderes garantiert, die aber nicht zur wirklichen Gesellschaft, d.h. in den gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Alltag der Menschen vordringt. Die bürgerlichen Menschenrechte und das ihnen zugrunde liegende Menschenbild gehen, so Marx, nicht über den egoistischen Menschen hinaus. Das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist und bleibt ein „auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum“.[2]

Die sozialistische Kritik bürgerlicher Freiheit ist also im Kern die Kritik des in der bürgerlichen Gesellschaft strukturell angelegten Widerspruchs zwischen der neuen, individual-rechtlichen und institutionell gefassten politischen Freiheit auf der einen Seite und den durch die kapitalistische Produktionsweise bedingten und sich immer weiter vertiefenden neuen sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten auf der anderen Seite. Man hat dies später treffend den Widerspruch von der Demokratie des Marktes zur Despotie von Fabrik und Büro genannt.

Reformismus und revolutionäre Linke

Nicht das Ziel einer strukturellen Aufhebung von Ausbeutung, Verdinglichung und Entfremdung[3] trennte vor hundert Jahren die sozialistischen Strömungen, d.h. Reformisten und Revolutionäre. Beide Strömungen setzten auf Demokratie, Freiheit und Brüderlichkeit/Solidarität als oberste Werte und Ziele auch der sozialistischen Bewegung. Die in der Novemberrevolution von 1918/19 schließlich erfolgte Trennung zwischen beiden verlief stattdessen entlang von Fragen der Strategie und Taktik, entlang der Frage also, wie, d.h. mit welchen Mitteln man das vermeintlich gemeinsame Ziel am besten erreichen könne – mittels Parteien und/oder Gewerkschaften, mittels Massenstreiks und Räten oder auf dem parlamentarischen Wege.

Für den klassischen Reformismus[4] sind in dieser Diskussion die emanzipativen Prinzipien bereits innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft vorhanden, und zwar im politisch-juridischen System, in den Prinzipien des Rechtsstaates und der parlamentarischen Demokratie. Sie müssen und sollen „nur“ von der politischen Ebene auf die soziale Ebene ausgedehnt werden und zwar mittels der politischen Instrumente, die uns die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft liefert, vor allem also mittels des politisch-parlamentarischen und des individual-rechtlichen Systems. Er stellt also einen kausalen, auf Kontinuität setzenden Zusammenhang von Zielen und Mitteln her, und, wenn man genau ist, sogar eine Identität, bzw. Untrennbarkeit von Zielen und Mitteln.[5] Dem Reformismus ist die sich im bürgerlichen Staat verkörpernde bürgerliche Demokratie eigentlich keine bürgerliche, ist der bürgerliche Staat eigentlich kein bürgerlicher, da Demokratie und Freiheit in ihm als politische Prinzipien und politische Formen bereits enthalten sind, „als Formen, die den Inhalt suchen, als Same, der Frucht tragen wird“ (Norman Geras[6]). Und weil im bürgerlichen Staat die wahre demokratische Form bereits enthalten ist – und die Solidarität in Form des Sozialstaats –, wird der Sozialismus für den Reformismus „zur Fortsetzung und Verwirklichung des Liberalismus, ist ihm gleichsam organisch, aber auch geistig verbunden, weil von den gleichen milden Idealen geleitet“.[7]

Betont also der Reformismus die Kontinuität zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Sozialismus, betont der revolutionäre Sozialismus dagegen die Notwendigkeit des Bruchs. Die politische Ordnung des Bürgertums sei zwar ein welthistorischer Fortschritt, aber eben nur bedingt ein Reich der Freiheit. Die bürgerliche Demokratie ist gerade als liberale Konstitution eine Verschleierung des antagonistischen Gesellschaftscharakters. Ausbeutung, Verdinglichung und Entfremdung sind nicht in den Gesetzen verankert und können mit einer nur politischen Emanzipation nicht überwunden werden.[8] Die Demokratie des Marktes und die sie garantierende formale Rechtsgleichheit lassen jene Despotie der Fabrik und des Büros, die im Arbeitsalltag herrscht, als nichtig erscheinen und verewigen auf diesem Wege Ausbeutung, Verdinglichung und Entfremdung. Die politischen Institutionen des Bürgertums, ihre Formen repräsentativer Demokratie, müssen gerade deswegen ebenso zerbrochen und transformiert werden wie die sozialen. Aus dieser spezifischen Gesellschaftskritik leitet sich der revolutionär-sozialistische, kommunistische Primat ab, alle politischen Kampfmittel auf das eine Ziel hin zu konzentrieren, auf den Sturz der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung.

Der revolutionäre Sozialismus konstatiert also eine gewisse Spannung zwischen Zielen und Mitteln. Es gibt für ihn nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen Unterschied zwischen Mitteln und Zielen. Die sozialistische Revolution ist für ihn ein qualitativer Bruch auch mit den in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten Formen politischer Repräsentation, ja selbst mit den bisherigen politisch-organisatorischen Mitteln der Arbeiterbewegung. Selbst Arbeiterparteien und Räteorgane sind weniger Vorwegnahmen einer sozialistischen Gesellschaft innerhalb der bürgerlichen, als vielmehr Kampfinstrumente gegen dieselbe.[9]

Bernstein sagte bekanntlich, dass ihm das Ziel nichts sei, der Weg alles und Luxemburg antwortete darauf mit dem gleichen Recht, dass ihr die Bewegung nichts, aber das Ziel alles sei. Beide Statements verdeutlichen die Richtung, in welche sich die Dialektik von Mitteln und Zielen sowohl im reformistischen wie im revolutionären Sozialismus entwickelt. Beide Statements sind aber auch falsch, weil sie einseitig sind. Es ist nämlich nicht so, wie es bürgerliche Denker immer wieder behaupten, dass reformistische Sozialisten deswegen automatisch Demokraten seien und revolutionäre Sozialisten der Diktatur das Wort reden würden. Das mag realgeschichtlich überwiegend so gewesen sein (mindestens was den zweiten Aspekt angeht), der politischen Theorie und dialektischen Logik nach war es jedoch nicht zwangsläufig. Denn auf einem anderen Weg kommt die demokratische Frage wieder in den revolutionären Sozialismus hinein.

Auch wenn die sozialistische Revolution für den revolutionären Sozialismus ein qualitativer Bruch mit den in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten Formen politischer Repräsentation, ja selbst mit den bisherigen politisch-organisatorischen Mitteln der Arbeiterbewegung ist, so kann dieser Bruch nicht willkürlich geschehen, sondern hat seine in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft wurzelnde spezifische Logik. Der revolutionäre Sozialismus findet nämlich seinen untrennbaren Zusammenhang von Zielen und Mitteln nicht an der politischen Oberfläche der gesellschaftlichen Institutionen, sondern in dem gleichermaßen ökonomisch, wie politisch und kulturell vonstatten gehenden berühmt-berüchtigten Klassenkampf. Er setzt auf den antagonistischen Kern bürgerlich-kapitalistischer Verhältnisse: Beruht die kapitalistische Marktvergesellschaftung auf Privateigentum und Konkurrenzkampf, auf der sich selbst entfaltenden Logik des Profits, so wird gerade diese Profitlogik, wenn auch nicht automatisch, so doch dem Prinzip nach in Frage gestellt durch die alltäglichen Kämpfe der lohnarbeitenden Klasse um Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung und Humanisierung der Arbeitswelt. Des Einen Vorteil ist hier des Anderen Nachteil. Und die Bedürfnisse der Produzenten sind den Bedürfnissen der sie Ausbeutenden mindestens partiell entgegengesetzt und geraten deswegen auch immer wieder aneinander. Es ist dieser antagonistische Kern kapitalistischer Produktionsverhältnisse, auf den revolutionäre Sozialisten ihr Prinzip Hoffnung gründen, denn er erlaubt ihnen, das sich immer wieder elementar entwickelnde Klassenbewusstsein unterdrückter und/oder ausgebeuteter Produzenten (und Konsumenten) zu politisieren.[10]

Sozialismus und Demokratie

Es gibt in diesem klassenkämpferischen Prozess keinen sich fatalistisch durchsetzenden Automatismus. Es gibt zwar von Seiten der Arbeiterklasse eine permanente spontane Infragestellung des Kapitals, sie ist aber erstens unbeständig und zweitens reformistisch verdrehbar. Ein grundlegender Bruch mit dem Kapitalismus kommt deswegen nicht von allein oder automatisch. Ein solcher Bruch kann nur politisch, d.h. als bewusster und kollektiver Akt vonstatten gehen. Sozialistische Logik ist keine unmittelbar entstehende und wachsende. Sie muss (theoretisch wie praktisch) vermittelt werden, und zwar, in dem konkrete Individuen im elementaren Klassenkampf theoretisch wie praktisch jene Momente herausschälen und unterstützen/propagieren, die über die unmittelbare Interessenvertretung hinaus weisen und den Keim einer neuen gesellschaftlichen Logik in sich tragen. Revolutionär-sozialistisch ist, wer es versteht, die spontanen und punktuellen Verstöße gegen die herrschende Rationalität zu verstetigen und sie zu politisieren.[11] Alle Mittel, die zu dieser Politisierung beitragen können, sind erlaubt. Alle Mittel sind erlaubt, sofern sie die Ohnmacht und Bewusstlosigkeit der lohnarbeitenden Klasse überwinden, deren Klassensolidarität und Klassenautonomie befördern und die allgemeinmenschliche Emanzipation aller ausgebeuteten, marginalisierten und entwürdigten Schichten, Ethnien und Geschlechter beflügeln. „Bei Marx und Engels findet die Theorie, dass der Weg aus Entfremdung und Unmündigkeit in der wachsenden bewusstseinsmäßigen und praktischen Aneignung der Wirklichkeit besteht, eine notwendige Ergänzung in dem Gedanken, dass die Aneignung nur durch die Massen selbst vollzogen werden kann. Beides ist zusammengefasst in dem Konzept einer sozialistischen Revolution als notwendigerweise Selbstbefreiung des Proletariats.“ (Peter Cardorf[12])

Und genau dies war das Revolutionsprogramm der deutschen Novemberrevolution – mindestens in ihrem radikalen Flügel. Die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung, lesen wir in dem von Rosa Luxemburg verfassten Spartakusprogramm von 1918, sei „die gewaltigste Aufgabe, die je einer Klasse und einer Revolution der Weltgeschichte zugefallen ist. Diese Aufgabe erfordert einen vollständigen Umbau des Staates und eine vollständige Umwälzung in den wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Gesellschaft. Dieser Umbau und diese Umwälzung können nicht durch irgendeine Behörde, Kommission oder ein Parlament dekretiert, sie können nur von der Volksmasse selbst in Angriff genommen und durchgeführt werden. In allen bisherigen Revolutionen war es eine kleine Minderheit des Volkes, die den revolutionären Kampf leitete, die ihm Ziel und Richtung gab und die Masse nur als Werkzeug benutzte, um ihre eigenen Interessen, die Interessen der Minderheit, zum Siege zu führen. Die sozialistische Revolution ist die erste, die im Interesse der großen Mehrheit und durch die große Mehrheit der Arbeitenden allein zum Siege gelangen kann. Die Masse des Proletariats ist berufen, nicht bloß der Revolution in klarer Erkenntnis Ziele und Richtung zu stecken. Sie muss auch selbst, durch eigene Aktivität Schritt um Schritt den Sozialismus ins Leben einführen. Das Wesen der sozialistischen Gesellschaft besteht darin, dass die große arbeitende Masse aufhört, eine regierte Masse zu sein, vielmehr das ganze politische und wirtschaftliche Leben selbst lebt und in bewusster freier Selbstbestimmung lenkt.“[13]

Leider hat sich die deutsche Linke nicht an diese Worte Luxemburgs gehalten. Auf der einen Seite hat sich der reformistische Sozialismus vom emanzipativen Ziel der Überwindung von Ausbeutung, Verdinglichung und Entfremdung verabschiedet. Das Ziel wurde zur „ethischen Phrase“ (Leo Kofler[14]), der Weg ein Weg in die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft. Auf der anderen Seite hat sich im stalinistischen Kommunismus das Ziel verselbstständigt und damit selbst ad absurdum geführt. Die soziale Freiheit, verstanden als Freiheit von materieller Unsicherheit und Verelendung wurde gegen die politische Freiheit ausgespielt. Das emanzipative Ideal wurde zur Rechtfertigung einer neuen Minderheitenherrschaft, zur Vorherrschaft einer bürokratischen Kaste. Beides hält dem Geiste Luxemburgs nicht stand.

Manche mögen hier einwenden, dass mehr eben nicht drin gewesen sei. Doch ist dies eine methodologisch angreifbare Feststellung, denn was sich historisch entwickelt hat, besaß keine mechanische Zwangsläufigkeit. Wer so redet, verurteilt den Sozialismus zu einer Utopie und landet schnell bei der Rechtfertigung jener im Namen der historischen Notwendigkeit verübten Verbrechen – die noch heute einen nachhaltig verdunkelnden Schatten auf die linke Neuformierung werfen.[15] Die von Marx, Luxemburg und anderen aufgezeigte Dialektik von Demokratie und Sozialismus war prinzipiell möglich und ist noch immer möglich. Ja mehr noch: Wenn es eine Lehre der linken Geschichte des 20. Jahrhunderts gibt, dann muss man sagen, dass sich alle Hoffnungen auf eine realsozialistische List der Geschichte als falsch und verheerend erwiesen haben. Wenn es einen Neubeginn der sozialistischen Linken geben soll, kann er einzig auf der Dialektik von Demokratie und Sozialismus gegründet werden.

Denken wir gut marxistisch den Zusammenhang von Demokratie und Sozialismus, dann verstehen wir auch, wie die Bedürfnisse nach radikaler Demokratisierung auf einen sozialistischen Weg führen. Ich will dies an den drei zentralen Bereichen der Ökonomie, der Politik und der Kultur kurz aufzeigen.

1.) Was ist Demokratisierung der Ökonomie?

Die Forderung nach einer Demokratisierung der Ökonomie liegt nicht nur in der Logik unserer gesellschaftlichen Traditionen und Strukturen verwurzelt (gegenwärtig taucht sie in der Parole von der Wirtschaftsdemokratie wieder auf), sie hat auch ihre eigene Logik. Denn die Ausweitung der politisch-rechtlichen Freiheit auf die soziale Freiheit bedeutet nichts anderes als die Aufhebung von Hierarchien und Ausbeutungsstrukturen in Betrieb und Büro. Dies geht jedoch nicht ohne die Aufhebung von Profitlogik, Konkurrenzkampf und Eigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln. Das wiederum ist nichts anderes als die Überwindung der Marktwirtschaft, die Überwindung des mit dem bürgerlichen Privateigentum unlöslich verschränkten Vergesellschaftungsprinzips.

Es ist keine grundsätzlich andere Gesellschaft, keine solidarische Gesellschaft denkbar, wenn sie nicht mit den Imperativen der Marktwirtschaft bricht, wenn sie nicht auch die Trennung von Produktionsmitteln und Produzenten prinzipiell aufhebt und Produktions- und Konsumentendemokratie verwirklicht. Eine „sozialistische Marktwirtschaft“ ist schon begrifflich Nonsens. Es muss vielmehr um die Sozialisierung des Marktes gehen, um eine geplante Ökonomie, um die planvolle Vergesellschaftung kollektiver Konsumtionsbedürfnisse (Ernährung, Gesundheit und Wohnen, Umwelt, Transport und Energie, Kultur und Erziehung). Die traumatischen Erfahrungen mit der bürokratisch gelenkten Planwirtschaft stellen dabei die Linken vor das besondere Problem der Bürokratie und die institutionellen Möglichkeiten einer nachhaltigen Demokratisierung jeder Form von Planwirtschaft.

2.) Was ist Demokratisierung der Politik?

Die Forderung nach einer Demokratisierung der Politik liegt nicht nur in der Logik unseres Gesellschaftssystems begründet. Ob in den vielfältigen Forderungen nach Mitbestimmung und Partizipation, nach einer „Rückkehr zur Politik“ oder einer Redemokratisierung autoritärer Tendenzen, ist und kann diese Logik niemals ganz verschwunden. Eine nachhaltige Demokratisierung der Politik beinhaltet jedoch mit der Überwindung sozialer Ungleichheit und Unfreiheit logischerweise auch die Überwindung der lediglich politischen Emanzipation und den Abbau von Hierarchien und Privilegien. Eine solche Überwindung beschränkt-politischer Emanzipation kann jedoch – dies ist eine der zentralen Lehren des 20. Jahrhunderts[16] – nur im klassischen Sinne einer Aufhebung vor sich gehen, d.h. beide Formen der Freiheit, die politische wie die soziale sind auf einer höheren Stufe, auf der Stufe einer Freiheit zur allseitigen Entfaltung der Persönlichkeit als Gattungswesen effektiv enthalten. Es geht also um die möglichst umfassende Durchsetzung direkter Demokratie und das Zerstören und Absterben rein politischer Herrschaftsformen. Und zuallererst muss es dabei um die Abschaffung der repressiven Elemente politischer Herrschaft wie Militär, Polizei, Geheimdienste usw. gehen, sodann um die Abschaffung von Bürokratie und Herrschaft überhaupt. Es geht um die alte Utopie einer freien Assoziation der Individuen.

Die Utopie einer herrschaftslosen Assoziation freier Individuen ist jedoch eine Zielvorstellung. Und unsere Erfahrungen mit dem ehemaligen „Realsozialismus“ verdeutlichen, dass wir, selbst wenn wir jetzt mit dem Aufbau des Sozialismus beginnen könnten, noch lange politische Repräsentations- und Verwaltungsorgane brauchen – und damit auch eine Form des Staates. Solange wir jedoch ein bestimmtes Maß an Macht und Entscheidungsbefugnis delegieren müssen, solange brauchen wir auch die Errungenschaften liberaldemokratischer Machtkontrolle.

3.) Was ist Demokratisierung der Kultur?

Eine Demokratisierung der Kultur schließlich verlangt vor allem die Überwindung der ausgrenzenden Spaltung von Völkern, Klassen, Schichten, Geschlechtern und Ethnien. Demokratisierung der Kultur heißt Überwindung der herrschenden Marktkultur ebenso wie die Überwindung eines militanten Partikularismus als deren oppositionellem Reflex (Nationalismus, Fundamentalismus, Sexismus, aber auch die verschiedenen Formen von Identitätskulturen). Sie richtet sich gegen bürgerliche Atomisierung und Klassenspaltung wie gegen die „Überspanntheiten des neurotisierten Menschen der Gegenwartsgesellschaft“ (Peter Cardorff). Es geht ihr um die „Veredelung“ des Menschen, um eine Aufhebung des tendenziellen Widerspruchs zwischen Kultur und Leben, zwischen Universalität und Lokalität. Es geht ihr, wie vor einigen Jahren der britische Kulturtheoretiker und Marxist Terry Eagleton schrieb, um eine durch kollektive Praxis ständig veränderte „Ethik der gemeinsamen Verantwortung“, die auf „umfassende(r) demokratische(r) Teilhabe auf allen Ebenen des sozialen Lebens einschließlich der materiellen Produktion sowie gleichberechtigte(m) Zugang zum Prozess der Kulturerzeugung“ beruht und „konzertiertes sozialistisches Handeln voraus(setzt)“.[17]

Sozialistische Demokratie als kollektive Selbstermächtigung

Das herrschende Bürgertum weiß um die immanente Logik dieses Demokratisierungsprozesses. Es hat ein über Jahrzehnte erfolgreich gepflegtes Klassenbewusstsein. Und das ist einer der entscheidenden Gründe, warum es sich immer wieder gegen die Ausweitung bürgerlich-demokratischer Freiheiten wehrt. Die ökonomisch abhängigen, politisch entmündigten und kulturell entfremdeten Klassen, Schichten und Individuen haben leider kein solch gutes kollektives Gedächtnis, und doch lauert hinter ihrem mal leiseren, mal lauteren Ruf nach Demokratisierung und sozialer Gerechtigkeit immer wieder dieselbe Logik, die auch am Beginn der sozialistischen Bewegung im 19. und 20.Jahrhundert stand.

Die Logik eines geschichtlichen Prozesses kann jedoch keine Zwangsläufigkeit beanspruchen – sie ist „nur“ eine immanente Möglichkeit. Die Realisierungschance dieser historischen wie politisch-theoretischen Möglichkeit ist nicht nur, aber auch nicht zuletzt vom bewussten Eingreifen der Subjekte der Emanzipation abhängig. Und hier wird es keine unschuldige Rückkehr zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts geben, denn die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist aus dem kollektiven Gedächtnis dieser zu emanzipierenden Subjekte nicht mehr wegzudenken. „Kein Versuch“, schrieb Perry Anderson zu Beginn der 1990er Jahre, unmittelbar nach dem Epochenbruch, „das sozialistische Projekt auf eine neue Grundlage zu stellen, wie immer er auch im Einzelnen aussehen mag, kann Glaubwürdigkeit beanspruchen, wenn er nicht die historische Erfahrung der Zweiten und Dritten Internationale aufarbeitet. Bloße Distanzierungsbekenntnisse sind heute nicht sinnvoller als die einfältige Ehrfurcht von gestern. Jede linke Kultur, die ex nihilo anfangen will oder sich zu den Prinzipien von 1789 (oder 1776) flüchtet, ist eine Totgeburt. Ernsthaftes Nachdenken über das politische und geistige Vermächtnis der modernen sozialistischen Bewegung in ihren verschiedenen Gestalten offenbart sowohl in Vergessenheit geratene Einsichten als auch Irrwege.“[18]

Zu den in Vergessenheit geratenen Einsichten scheint mir die marxistische Demokratietheorie zu gehören, aus der die frühe Kommunistische Internationale meines Erachtens zu Recht die Konsequenz gezogen hat, dass die sozialistische Revolution ein qualitativer Bruch auch mit den in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelten Formen politischer Repräsentation wie mit den bisherigen politisch-organisatorischen Mitteln der Arbeiterbewegung sein wird. Wenn es die Aufgabe der Revolutionäre ist, die Revolution zu machen, werden sie dies in einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft kaum tun können ohne ein gerüttelt Maß an auch organisatorischer Autorität – um nicht zu sagen: Diktatur. Ein Irrweg war jedoch, dass man diese Übergangsphase meinte zeitlich ausdehnen zu können, dass man meinte, die zu emanzipierenden Subjekte einer bürokratischen Erziehungsdiktatur unterwerfen und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten zu dürfen. Linke Organisationsformen sind auch als Kampfinstrumente Vorwegnahmen einer sozialistischen Logik. Der instrumentelle Charakter linker Organisierung kann nicht der Beantwortung der Frage entledigen, welchem Zweck das Instrument dienen soll. Und der Zweck ist eben verkörpert in der Dialektik von Mittel und Ziel und darf nicht vereinseitigt werden entweder zum Mittel oder zum Ziel.

Natürlich haben wir damit nicht die fertige Lösung eines alten Problems präsentiert, es vielmehr den Erfahrungen des 20.Jahrhunderts entsprechend „nur“ neu formuliert. Ohne eine Berücksichtigung der in der Mehrheit der Bevölkerungen tief verankerten Abscheu vor einem elitären und undemokratischen Pseudosozialismus wird ein neuer Sozialismus unmöglich werden. Ein neuer Sozialismus wird deswegen einzig als ein radikaldemokratischer hegemonie- und mehrheitsfähig werden. Ein Sozialismus, der diesen Namen verdient, kann nur siegen als umfassendste soziale wie politische Selbsttätigkeit der Bevölkerungsmehrheit. Und dies kann nur geschehen, wenn sich dieser Geist einer universellen demokratischen Selbsttätigkeit erstens in den Köpfen der Menschen im Allgemeinen, der Linken im Besonderen, wirklich durchsetzt, und wenn sich dieser Geist universeller demokratischer Selbsttätigkeit zweitens auch in demokratischen Organisationsformen, in institutionellen Organen einer sozialistischen Demokratie niederschlägt, die in der Lage sind, radikal-demokratische Bedürfnisse zu befriedigen und zu verstetigen. Erst wenn die Menschen die Organisationsformen der Linken wie der Arbeiterbewegung als radikaldemokratische Organe der Selbstermächtigung erfahren, erst wenn die Menschen in ihrer alltäglichen Praxis erkennen können, dass sozialistische Bewegung, dass ein neuer Sozialismus mehr Demokratie bedeutet als im Kapitalismus, werden sie ihn zu dem ihren machen.

Das ist der einfache Sozialismus, der so schwer zu machen ist. Und das ist mit den berühmten Worten Rosa Luxemburgs gemeint – niedergeschrieben aus Anlass der sowjetrussischen Revolution –, dass die sozialistische Demokratie „nicht erst im gelobten Lande (beginnt), wenn der Unterbau der sozialistischen Wirtschaft geschaffen ist, als fertiges Weihnachtsgeschenk für das brave Volk, das inzwischen treu die Handvoll sozialistischer Diktatoren unterstützt hat. Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei.“[19] Als diese Sätze vor nun 90 Jahren geschrieben wurden, waren sie kaum mehr als eine Form der Prophetie – allerdings eine, die sich aus der Erkenntnis proletarischer Lern- und Emanzipationsprozesse ergab. Heute kann man diese Worte als geschichtlich verifiziert betrachten. Sie sind das unabgegoltene Erbe der deutschen Novemberrevolution.

Der Sozialismus wird demokratisch sein oder er wird gar nicht sein, denn die sozialistische Linke wird nur entwicklungs- und mehrheitsfähig werden, wenn sie es der breiten Mehrheit der Bevölkerung ermöglicht, sich selbst ins emanzipative Spiel zu bringen. Und auch wenn jeder sozialistische Anfang in kleinen Gruppen und vereinzelten Bewegungen beginnt, wird die Umwälzung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ein Akt des breitesten Klassen- und Massenkampfes sein – ob uns dies gefällt oder nicht. Dieser Massen- und Klassenkampf findet, wie ich gesagt habe, seine Ethik in der Überwindung der theoretischen wie praktischen Ohnmacht und Bewusstlosigkeit der Mehrheit der Bevölkerung. Alle Mittel sind erlaubt, die zu einer solchen Politisierung beitragen. Alle Mittel sind erlaubt, insofern sie die Ohnmacht und Bewusstlosigkeit der lohnarbeitenden Klasse überwinden, deren Klassensolidarität und Klassenautonomie befördern und die allgemeinmenschliche Emanzipation aller unterdrückten und ausgebeuteten Schichten, Ethnien und Geschlechter beflügeln. Das heißt aber auch, dass jene Mittel nicht erlaubt sind, die diese Entwicklungsprozesse behindern oder verdrehen. Ich nenne dies die Ethik des Klassenkampfes.

Auch wenn das Ziel einer sozialistischen Emanzipation den Bruch mit der Welt des kapitalistischen Bürgertums verlangt, so sind die Leitwerte dieser sozialistischen Emanzipation dieselben wie jene, mit denen das Bürgertum einstmals angetreten ist, die Welt zu verändern: Freiheit, Gleichheit und Solidarität – kurz: der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit! Der große britische Sozialist Ralph Miliband hat uns in seinem letzten, 1994 erschienenen Werk über den Sozialismus im Zeitalter des Skeptizismus den entscheidenden Satz geschrieben: „Der Sozialismus muss als Teil einer demokratischen Bewegung gesehen werden, welche ihm lange vorausging, der jedoch allein der Sozialismus ihre volle Bedeutung zu geben vermag.“[20] Es ist genau diese Dialektik von Demokratie und Sozialismus, die wir wieder lernen müssen – theoretisch wie praktisch.

* Überarbeiteter Vortrag bei der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW und des Linken Dialogs Köln 90 Jahre Novemberrevolution Gestern – Heute – Morgen in Köln am 1.11.2008.

[1] Unter diesen Begriff der Ausbeutung fasse ich also auch jene Lohnabhängigen und ihre Familienangehörigen, die aus dem Produktionsprozess zum Teil weitgehend und auf Dauer ausgegrenzt sind.

[2] MEW 1, S.366.

[3] Von Verdinglichung und Entfremdung wird jedoch erst seit den 1920er und 1930er Jahren explizit gesprochen – nicht zuletzt ausgelöst durch Georg Lukács’ bahnbrechende Studie Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien zur materialistischen Dialektik von 1923. Über den sich auf den Produktionsprozess beziehenden Begriff der Ausbeutung hinaus bezeichnen Entfremdung und Verdinglichung die mit der im 20.Jahrundert vor sich gehenden Durchkapitalisierung der Gesellschaften verbundenen sozialpsychologischen Phänomene. Die zunehmende gesellschaftliche Arbeitsteilung entfremdet die Menschen im Zusammenhang mit der herrschaftsförmigen Organisation des Produktionsprozesses von ihren Arbeitsprodukten und den Mitmenschen, während die zunehmende Warenförmigkeit der Arbeitsprodukte und Lebensmittel wie der Menschen selbst und ihrer menschlichen Beziehungen zu einer allgemein vorherrschenden Verdinglichung führt.

[4] Im Gegensatz zum heutigen Verständnis von Reformismus als einer lediglich auf kleinere Reformen unserer an sich akzeptierten Gesellschaft hinzielenden politischen Strömung verstand sich der klassische Reformismus als eine Strategie, mittels Reformen die Gesellschaft grundlegend umzuwälzen.

[5] Ich stütze mich hierbei auf die noch immer herausragende Darstellung dieser Debatte bei Norman Geras: Rosa Luxemburg. Kämpferin für einen emanzipatorischen Sozialismus, Köln 1996, Kapitel 4 („Bürgerliche Macht und sozialistische Demokratie: Über das Verhältnis von Zweck und Mittel“).

[6] Ebenda, S.133.

[7] Ebenda.

[8] Die spezifische Problematik der Trennung von Ökonomie und Politik im Kapitalismus hat Ellen Meiksins Wood in ihrem Buch Democracy against Capitalism. Renewing Historical Materialism (1995) – und in anderen Werken – herausgearbeitet. Es soll im Neuen ISP-Verlag auch auf Deutsch erscheinen.

[9] „Berufsorganisationen, ökonomischer und politischer Streik, Boykott, parlamentarische und kommunale Wahlen, Parlamentstribüne, legale oder illegale Agitation, geheime Stützpunkte in der Armee, Arbeit in den Konsumvereinen, Barrikaden – keine einzige von der Entwicklung der Arbeiterbewegung geschaffene Form der Organisation oder des Kampfes verwirft die Kommunistische Internationale, und nicht eine einzige Form wird von ihr als Allheilmittel betrachtet.“ Diese Worte aus dem Manifest des 2.Weltkongress der Kommunistischen Internationale von 1920 richten sich explizit gegen eine Fetischisierung des Rätesystems, können und sollten aber auch auf die Organisationsform Partei ausgedehnt werden. Es gehört bspw. zu den hartnäckigsten Mythen der kommunistischen Linken, dass die sowjetrussische Revolution durch die bolschewistische Partei organisiert wurde. Die Machtergreifung in der Oktoberrevolution wurde zwar überwiegend von Mitgliedern und Sympathisierenden der bolschewistischen Partei vollzogen und von den führenden Funktionären angeleitet. Sie taten dies jedoch im Rahmen der Räteorgane und nicht der Partei, die als Partei in den ersten Monaten kaum eine Rolle gespielt hat und interessanter Weise nach 1918 von den linken Kommunisten gegen den ihnen bedrohlich erscheinenden Kurs der Sowjetmacht zuerst wieder stark gemacht werden musste, bis sie in die Hände einer neuen Partei- und Staatsbürokratie überging.

[10] Ich benutze hier, nebenbei gesagt, einen recht weiten Klassen- und Klassenkampfbegriff und weiß, dass es auch wichtiges anderes gibt als nur die Klassenkämpfe.

[11] Vgl. dazu Peter Cardorff: Irrationalismus und Rationalismus in der sozialistischen Bewegung. Über den Zugang zum sozialistischen Handeln, Hamburg 1980.

[12] Ebenda, S.20 (Hervorhebung: PC).

[13] Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Band 4, S.444 (Hervorhebungen: CJ).

[14] Leo Kofler: Die Wissenschaft von der Gesellschaft (1944), Köln 1971, S.101.

[15] Vgl. Christoph Jünke: Der lange Schatten des Stalinismus. Sozialismus und Demokratie gestern und heute, Köln 2007, sowie Bini Adamczak: Gestern Morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft, Münster 2008.

[16] Vgl. Christoph Jünke: „Sechs Thesen zum langen Schatten des Stalinismus“, in: Utopie kreativ, Heft 217, November 2008, S.989-996.

[17] Terry Eagleton: Was ist Kultur? Eine Einführung, München 2000, S.166 und 170.

[18] Perry Anderson: Zum Ende der Geschichte, Berlin 1993, S.148.

[19] Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Band 4, S. 363.

[20] Ralph Miliband: Socialism for a Sceptical Age, Cambridge 1994, S. 56.

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