Marx-Engels-Forschung

„Marx neu entdecken"?

Marx-Veranstaltungen an bundesdeutschen Universitäten

März 2009

Der SDS versucht momentan, Karl Marx und die Kritik der politischen Ökonomie durch Lesekreise wieder an die Uni zu bringen. Durch den Druck der Weltfinanzkrise auf den Kapitalismus wird selbst in bürgerlichen Medien mit Schlagwörtern wie „Marx zurück auf dem Campus – Die kleine Oktoberrevolution“[1] um sich geworfen und es scheint, als würde eine neue Welle von Marx-Begeisterten durch die Hörsäle deutscher Unis wandern. Unser Ziel war es nun, mit dieser kleinen Recherche eine – wenn auch nicht ganz repräsentative – Antwort auf die Frage zu geben, ob Marx tatsächlich in Vorlesungen und Seminaren – wieder – ernst genommen wird oder an deutschen Universitäten nur noch als überholter Klassiker in verstaubten Nischen mancher geisteswissenschaftlicher Bibliotheken als Gespenst umher geht.

Dazu haben wir die Vorlesungsverzeichnisse und Stundenpläne des Sommersemesters 2008 und des Wintersemesters 2008/2009 von über 100 staatlichen Universitäten und gleichgestellten Hochschulen in der Bundesrepublik – bei 15 kleineren dieser Unis war dies über das Internet nicht möglich– nach dem Begriff „Marx“ in den Veranstaltungstiteln mit folgendem Resultat durchkämmt:

- An einundzwanzig der 85 Unis fanden in beiden Semestern zusammen etwa 60 Veranstaltungen statt, bei denen Karl Marx oder „marxistisch“ im Titel vorkam und die der Ankündigung zufolge mehr oder weniger intensiv der Beschäftigung mit ihm bzw. dem Marxismus gewidmet waren.

- Nach Fakultäten und Fachrichtungen verteilt sich die Beschäftigung mit Marx etwa wie folgt: Politik- und Sozialwissenschaften: 25 Veranstaltungen, Philosophen 16, Geschichte 6, Erziehungswissenschaften 5, Wirtschaftswissenschaften 4, Germanistik und Kulturwissenschaften 2 Juristen 1; 2 Veranstaltungen waren als „interdisziplinäre“ („Karl Marx und die Frage nach der Gesellschaft“, Uni Freiburg) bzw. Sonderveranstaltung („Lehren aus 1968 – eine marxistische Einschätzung“, FU Berlin) ausgewiesen.

- Bei etwa einem Drittel der Veranstaltungen geht es um Marx/Marxismus als Klassiker/Richtung der Geistesgeschichte unter anderen: „Lektürekurs zu den Klassikern: von Marx bis Elias“ (Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg), „Einführung in die Wissenssoziologie von Marx bis Luhmann“ (Bielefeld), „Politische Ideengeschichte von Plato bis Marx“ (Göttingen), „Demokratietheorien von Aristoteles bis Karl Marx“ (Uni Jena); „Recht und Wirtschaft aus der Sicht des Liberalismus, Marxismus usw.“; Renaissance bis zur industriellen Moderne: Von Machiavelli bis Marx“ (Europa-Uni Frankfurt/Oder); bei den Soziologen in Erlangen-Nürnberg sind „Klassen- und Schichtkonzepte bei Marx, Sombart und Geiger“ und „Marx – Weber – Bourdieu“ Thema. „Marx und Bourdieu (Einführung in die soziologische Theorie) werden auch in Jena verhandelt. Eine Freiburger Vorlesung mit Tutorien behandelt die „Kritik der Kantischen Moralphilosophie (Hegel, Marx, Kierkegaard, Adorno)“; Pikantes wird an der Uni Heidelberg geboten: „Die sprachliche Konstruktion von Weltanschauung. Von Marx bis Hitler“. Weitere Themen: „Von Hegel/Marx bis Derrida. Kulturtheorie“ (Kulturwissenschaften Bremen), „Staat und Wirtschaft bei Smith, Mill und Marx“ (TU Darmstadt), „Zur Aktualität des ethischen Sozialismus: Neukantianismus und Marxismus“ (Münster); „Theorien der Entfremdung bei Rousseau, Schiller, Hegel und Marx“ (Jena, Philosophen). In diese Sammlung haben wir auch aufgenommen die erziehungswissenschaftliche Veranstaltung „Doing Gender im 21. Jahrhundert. Eine Einführung in die Soziologie“ an der Uni Münster, weil ihr das Motto „’Der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein persönliches Bedürfnis befriedigt.’ (Karl Marx)“ vorangestellt wurde.

- Die Mehrheit der Veranstaltungen bezieht sich im engeren Sinne auf Marx und den Marxismus: „Marx Reloaded“, „Marxistische Politische Ökonomie“, „Geschichte des Marxismus“, „Marx und Engels als Historiker“, „Marx Gespenster“, „Die politische Philosophie von Karl Marx“, „Was tun mit Marx? Historischer Materialismus und Kultur“ (alle FU Berlin); „Warum Marx? Neue Blicke auf einen einflussreichen Denker“, Marx für Historikerinnen“ (TU Berlin); „Karl Marx – Das Kapital“ (Uni Freiburg); „Politische Philosophie: Marx“ (TH Karlsruhe); „Grundzüge der Gesellschaftstheorie in Marx Kapital I“, „Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie“, „Marx Kritik der hegelianischen Staatsphilosophie“, „Soziologische Klassiker: Karl Marx“, „Politische Theorie: Marx’ Kritik der Politischen Ökonomie“ (alle Uni Tübingen); „Marx’ Methode der Kritik“ (Uni Stuttgart); „Karl Marx“ (Soziologie, Uni Bamberg); „Politische Philosophie: Ausgewählte Texte von Karl Marx“ (Bamberg, Philosophen); „Die dialektische Methode im ‚Kapital’ von Karl Marx“ (Uni München); „Marx Erben“ , „Marxismus, Krieg und Frieden“ (Uni Kassel); „Karl Marx: Konzepte für Geschichte“ (TU Darmstadt); „Karl Marx und die Kritik der politischen Ökonomie heute“, „Marxistische Krisentheorie“ (Göttingen); „Der Begriff der Arbeit bei Hegel und bei Marx“, Gesellschaft bei Marx“, „Karl Marx im 21. Jahrhundert“, „Marx neu entdecken“ (Uni Münster); „Marx: Die Frühschriften“ (Uni Trier); „Ideologie – Staat – Recht nach Marx und Engels“, „Zur Aktualität der Soziologie von Karl Marx“ (Uni Mainz), „Karl Marx“, „Karl Marx, ausgewählte Schriften“, „Marx, Das Kapital II“ (Halle-Wittenberg); „Die Rechtsphilosophie von Karl Marx“ (Rechtswissenschaftliche Fakultät!), „Westlicher Marxismus. Grundmuster und Entwicklungen“, „Die proletarische Revolution bei Marx und Lenin“ (Uni Jena); „Literaturübung ‚Karl Marx’“ (Frankfurt/M.).

- „Ranking“: Die Universitäten mit dem größten Angebot an Marx-Veranstaltungen sind die Freie Universität in Berlin mit neun Veranstaltungen, die Westfälische Wilhelms-Universität Münster mit sieben, die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit sechs und die Friedrich-Schiller-Universität Jena mit ebenfalls sechs Veranstaltungen.

Einschränkungen: Die Recherche lässt lediglich eine quantitative Aussage zu und sagt nichts über die Qualität der Veranstaltungen. Marx und der Marxismus werden in Seminare abgehandelt, deren Ankündigung das nicht direkt über das Kürzel „Marx“ erkennen lässt – das wissen wir von der Uni Marburg und das ist auch an der ehemaligen Karl-Marx-Uni in Leipzig der Fall, zwei Hochschulen, an denen ansonsten keine mit „Marx“ im Titel ausgeschilderten Veranstaltungen nachzuweisen waren. Insofern kann keine Garantie für die Vollständigkeit unserer Ergebnisse übernommen werden. Etwa fünfzehn Vorlesungsverzeichnisse waren nicht digitalisiert, aufgrund von technischen Mängeln nur schwer oder durch Passwortschutz überhaupt nicht zu durchsuchen.

Das Resultat ist, wie man sieht, eher ernüchternd. Gerade einmal 21 Universitäten von über 85 in Frage kommenden bieten im Laufe eines Jahres Marx-Veranstaltungen an. Die Marx-Lesebewegung ist aus unserer Sicht von daher zu begrüßen und hinsichtlich des Ziels der Re-Etablierung von Kritischer Wissenschaft an den Universitäten mehr als notwendig.

[1] http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,587371,00.html (Erscheinungsdatum: 31.10.2008)

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